Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.Das abgeschaffte Herkommen. am besten, ich trage es dem ganzen Hofe vor; und was die-ser beschließt, das soll geschehen. Früh wie die Sonne aufgieng, eilte der Alte zum Meyer- gnädi- a) Dieses war das sicherste Mittel den Bauern gegen die Auf- bürdung neuer Pflichten zu sichern. Aliqui nostrorum solvunt Vullschuld; aliqui dimidia debita, qua vul- gariter vocantur Holfschuld; heißt es in verschiednen alten Urkunden. Hier wird die Schuld als eine sichere einförmige und bekanndte Sache vorausgesetzt; und ein Monarch, der die Pflichten in jedem Dorfe einför mig machte, würde das gemeine Eigenthum auf ewig versichern; und vielen Processen anheim zuvorkommen. b) Die Tafeln in den Kirchen, worauf die Pflichten der Ge-
richtsunterthanen beschrieben waren, waren ehedem häufig; und man muß die alten Deutschen bewundern, welche die Erfahrung zu dieser Vorsicht geleitet hat. Das abgeſchaffte Herkommen. am beſten, ich trage es dem ganzen Hofe vor; und was die-ſer beſchließt, das ſoll geſchehen. Fruͤh wie die Sonne aufgieng, eilte der Alte zum Meyer- gnaͤdi- a) Dieſes war das ſicherſte Mittel den Bauern gegen die Auf- buͤrdung neuer Pflichten zu ſichern. Aliqui noſtrorum ſolvunt Vullſchuld; aliqui dimidia debita, qua vul- gariter vocantur Holfſchuld; heißt es in verſchiednen alten Urkunden. Hier wird die Schuld als eine ſichere einfoͤrmige und bekanndte Sache vorausgeſetzt; und ein Monarch, der die Pflichten in jedem Dorfe einfoͤr mig machte, wuͤrde das gemeine Eigenthum auf ewig verſichern; und vielen Proceſſen anheim zuvorkommen. b) Die Tafeln in den Kirchen, worauf die Pflichten der Ge-
richtsunterthanen beſchrieben waren, waren ehedem haͤufig; und man muß die alten Deutſchen bewundern, welche die Erfahrung zu dieſer Vorſicht geleitet hat. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0514" n="496"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das abgeſchaffte Herkommen.</hi></fw><lb/> am beſten, ich trage es dem ganzen Hofe vor; und was die-<lb/> ſer beſchließt, das ſoll geſchehen.</p><lb/> <p>Fruͤh wie die Sonne aufgieng, eilte der Alte zum Meyer-<lb/> hofe, und erhielt ſogleich von dem Redemeyer, daß eine Hof-<lb/> ſprache angeſaget wurde. Ihr Maͤnner vom Hoſe, fieng<lb/> hierauf der beredete Redemeyer ſeine Rede gegen die verſam-<lb/> leten Hofesgenoſſen an, ihr wißt, wie oft ich das Ungluͤck be-<lb/> klagt habe, daß alle unſre Pflichten jetzt nach dem Herkommen<lb/> beurtheilet werden. In den aͤlteſten Zeiten, wie ich von mei-<lb/> nen Vorfahren gehoͤret habe, war es nicht alſo; ſondern die<lb/> Genoſſen eines Hofes hatten alle nach ihrem unterſchiedenen<lb/> Verhaͤltniſſe <note place="foot" n="a)">Dieſes war das ſicherſte Mittel den Bauern gegen die Auf-<lb/> buͤrdung neuer Pflichten zu ſichern. <hi rendition="#aq">Aliqui noſtrorum<lb/> ſolvunt</hi> Vullſchuld; <hi rendition="#aq">aliqui dimidia debita, qua vul-<lb/> gariter vocantur</hi> Holfſchuld; heißt es in verſchiednen<lb/> alten Urkunden. Hier wird die <hi rendition="#fr">Schuld</hi> als eine ſichere<lb/> einfoͤrmige und bekanndte Sache vorausgeſetzt; und ein<lb/> Monarch, der die Pflichten in jedem Dorfe einfoͤr mig machte,<lb/> wuͤrde das gemeine Eigenthum auf ewig verſichern; und<lb/> vielen Proceſſen anheim zuvorkommen.</note> einerley Pflichten, welche auf einer Tafel <note place="foot" n="b)">Die Tafeln in den Kirchen, worauf die Pflichten der Ge-<lb/> richtsunterthanen beſchrieben waren, waren ehedem haͤufig;<lb/> und man muß die alten Deutſchen bewundern, welche die<lb/> Erfahrung zu dieſer Vorſicht geleitet hat.</note><lb/> ſo hinter dem Altar hieng, beſchrieben waren. Man wußte<lb/> von keinem Lagerbuche und von keinem Beſitze, ſondern rich-<lb/> tete ſich lediglich nach dieſer oͤffentlichen und geheiligten Ur-<lb/> kunde. Und man ſagt, daß im Anfange mit Fleiß die Pflich-<lb/> ten in jedem Hofe gleichfoͤrmig gemacht worden, um den ge-<lb/> ringen Mann gegen alle einzelne Auſbuͤrdungen zu verſichern.<lb/> Zu dieſer Zeit machte man ſich kein Bedenken daraus, der<lb/> <fw place="bottom" type="catch">gnaͤdi-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [496/0514]
Das abgeſchaffte Herkommen.
am beſten, ich trage es dem ganzen Hofe vor; und was die-
ſer beſchließt, das ſoll geſchehen.
Fruͤh wie die Sonne aufgieng, eilte der Alte zum Meyer-
hofe, und erhielt ſogleich von dem Redemeyer, daß eine Hof-
ſprache angeſaget wurde. Ihr Maͤnner vom Hoſe, fieng
hierauf der beredete Redemeyer ſeine Rede gegen die verſam-
leten Hofesgenoſſen an, ihr wißt, wie oft ich das Ungluͤck be-
klagt habe, daß alle unſre Pflichten jetzt nach dem Herkommen
beurtheilet werden. In den aͤlteſten Zeiten, wie ich von mei-
nen Vorfahren gehoͤret habe, war es nicht alſo; ſondern die
Genoſſen eines Hofes hatten alle nach ihrem unterſchiedenen
Verhaͤltniſſe a) einerley Pflichten, welche auf einer Tafel b)
ſo hinter dem Altar hieng, beſchrieben waren. Man wußte
von keinem Lagerbuche und von keinem Beſitze, ſondern rich-
tete ſich lediglich nach dieſer oͤffentlichen und geheiligten Ur-
kunde. Und man ſagt, daß im Anfange mit Fleiß die Pflich-
ten in jedem Hofe gleichfoͤrmig gemacht worden, um den ge-
ringen Mann gegen alle einzelne Auſbuͤrdungen zu verſichern.
Zu dieſer Zeit machte man ſich kein Bedenken daraus, der
gnaͤdi-
a) Dieſes war das ſicherſte Mittel den Bauern gegen die Auf-
buͤrdung neuer Pflichten zu ſichern. Aliqui noſtrorum
ſolvunt Vullſchuld; aliqui dimidia debita, qua vul-
gariter vocantur Holfſchuld; heißt es in verſchiednen
alten Urkunden. Hier wird die Schuld als eine ſichere
einfoͤrmige und bekanndte Sache vorausgeſetzt; und ein
Monarch, der die Pflichten in jedem Dorfe einfoͤr mig machte,
wuͤrde das gemeine Eigenthum auf ewig verſichern; und
vielen Proceſſen anheim zuvorkommen.
b) Die Tafeln in den Kirchen, worauf die Pflichten der Ge-
richtsunterthanen beſchrieben waren, waren ehedem haͤufig;
und man muß die alten Deutſchen bewundern, welche die
Erfahrung zu dieſer Vorſicht geleitet hat.
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