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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Schreiben einer Mutter
griff kömmt mir gerade so vor, wie eine Habersuppe, worinn
man Wasser und Grütze, Butter und Salz völlig von einan-
der unterscheiden kan. Aber ein dunkler Begriff ist wie ein
Pudding von Miß Samsoe, worinn die Masse vortreflich
schmeckt, ohnerachtet man nur eine kleine Vermuthung von
allen einzelnen Ingredienzien bekömmt. Jene würket Ekel,
und dieser gleitet oft mit so vieler Wollust herunter, daß die
Vorstellungen des Leibarztes nichts dagegen vermögen. Die
ganze philosophische Moral scheinet mir eine solche Habersuppe
zu seyn, und es nimmt mich gar nicht Wunder, daß Menschen,
die blos durch deutliche Begriffe geführet werden, bey jedem
Pudding gegen ihre Ueberzeugung handeln.

Einer unsrer großen Philosophen hat das Uebergewicht der
dunklen Begriffe über die deutlichen auf einen solchen Pud-
ding gegründet, und da es unwidersprechlich ist, daß eine
größere Summe von Ingredienzien mächtiger würkt als we-
nigere, und daß jene nothwendig minder deutlich geschmeckt
werden können als diese: so sehe ich gar nicht ein, warum
man bey Erziehung der Kinder, blos die Habermoral gebrau-
chen solle.

Deutliche Begriffe helfen überdem allemal die Entschuldi-
gungen erleichtern. Wenn ich mein Mädgen für einen
üblen Ruf zittern mache und ihre ganze Ehrbegierde dadurch
in Flammen setze: so stürmen eine Menge von Begriffen und
Folgen auf ihre Seele, welche sie mächtig dahin reissen. Er-
kläre ich ihr aber die Bestandtheile des üblen Rufs, sage ihr
woraus das Publicum, was den bösen Ruf giebt, bestehe; aus
wie vielen alten Weibern dasselbe zusammen gesetzet sey, wo
die Gränze zwischen dem wahren und falschen liege, und was
wir für einen Werth auf das Urtheil des gemeinen Haufens
zu legen haben: so wird sie meine Warnung zerlegen, Stück-

weise

Schreiben einer Mutter
griff koͤmmt mir gerade ſo vor, wie eine Haberſuppe, worinn
man Waſſer und Gruͤtze, Butter und Salz voͤllig von einan-
der unterſcheiden kan. Aber ein dunkler Begriff iſt wie ein
Pudding von Miß Samſoe, worinn die Maſſe vortreflich
ſchmeckt, ohnerachtet man nur eine kleine Vermuthung von
allen einzelnen Ingredienzien bekoͤmmt. Jene wuͤrket Ekel,
und dieſer gleitet oft mit ſo vieler Wolluſt herunter, daß die
Vorſtellungen des Leibarztes nichts dagegen vermoͤgen. Die
ganze philoſophiſche Moral ſcheinet mir eine ſolche Haberſuppe
zu ſeyn, und es nimmt mich gar nicht Wunder, daß Menſchen,
die blos durch deutliche Begriffe gefuͤhret werden, bey jedem
Pudding gegen ihre Ueberzeugung handeln.

Einer unſrer großen Philoſophen hat das Uebergewicht der
dunklen Begriffe uͤber die deutlichen auf einen ſolchen Pud-
ding gegruͤndet, und da es unwiderſprechlich iſt, daß eine
groͤßere Summe von Ingredienzien maͤchtiger wuͤrkt als we-
nigere, und daß jene nothwendig minder deutlich geſchmeckt
werden koͤnnen als dieſe: ſo ſehe ich gar nicht ein, warum
man bey Erziehung der Kinder, blos die Habermoral gebrau-
chen ſolle.

Deutliche Begriffe helfen uͤberdem allemal die Entſchuldi-
gungen erleichtern. Wenn ich mein Maͤdgen fuͤr einen
uͤblen Ruf zittern mache und ihre ganze Ehrbegierde dadurch
in Flammen ſetze: ſo ſtuͤrmen eine Menge von Begriffen und
Folgen auf ihre Seele, welche ſie maͤchtig dahin reiſſen. Er-
klaͤre ich ihr aber die Beſtandtheile des uͤblen Rufs, ſage ihr
woraus das Publicum, was den boͤſen Ruf giebt, beſtehe; aus
wie vielen alten Weibern daſſelbe zuſammen geſetzet ſey, wo
die Graͤnze zwiſchen dem wahren und falſchen liege, und was
wir fuͤr einen Werth auf das Urtheil des gemeinen Haufens
zu legen haben: ſo wird ſie meine Warnung zerlegen, Stuͤck-

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[438/0456] Schreiben einer Mutter griff koͤmmt mir gerade ſo vor, wie eine Haberſuppe, worinn man Waſſer und Gruͤtze, Butter und Salz voͤllig von einan- der unterſcheiden kan. Aber ein dunkler Begriff iſt wie ein Pudding von Miß Samſoe, worinn die Maſſe vortreflich ſchmeckt, ohnerachtet man nur eine kleine Vermuthung von allen einzelnen Ingredienzien bekoͤmmt. Jene wuͤrket Ekel, und dieſer gleitet oft mit ſo vieler Wolluſt herunter, daß die Vorſtellungen des Leibarztes nichts dagegen vermoͤgen. Die ganze philoſophiſche Moral ſcheinet mir eine ſolche Haberſuppe zu ſeyn, und es nimmt mich gar nicht Wunder, daß Menſchen, die blos durch deutliche Begriffe gefuͤhret werden, bey jedem Pudding gegen ihre Ueberzeugung handeln. Einer unſrer großen Philoſophen hat das Uebergewicht der dunklen Begriffe uͤber die deutlichen auf einen ſolchen Pud- ding gegruͤndet, und da es unwiderſprechlich iſt, daß eine groͤßere Summe von Ingredienzien maͤchtiger wuͤrkt als we- nigere, und daß jene nothwendig minder deutlich geſchmeckt werden koͤnnen als dieſe: ſo ſehe ich gar nicht ein, warum man bey Erziehung der Kinder, blos die Habermoral gebrau- chen ſolle. Deutliche Begriffe helfen uͤberdem allemal die Entſchuldi- gungen erleichtern. Wenn ich mein Maͤdgen fuͤr einen uͤblen Ruf zittern mache und ihre ganze Ehrbegierde dadurch in Flammen ſetze: ſo ſtuͤrmen eine Menge von Begriffen und Folgen auf ihre Seele, welche ſie maͤchtig dahin reiſſen. Er- klaͤre ich ihr aber die Beſtandtheile des uͤblen Rufs, ſage ihr woraus das Publicum, was den boͤſen Ruf giebt, beſtehe; aus wie vielen alten Weibern daſſelbe zuſammen geſetzet ſey, wo die Graͤnze zwiſchen dem wahren und falſchen liege, und was wir fuͤr einen Werth auf das Urtheil des gemeinen Haufens zu legen haben: ſo wird ſie meine Warnung zerlegen, Stuͤck- weiſe

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/456>, abgerufen am 22.11.2024.