Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.zu vorigen Stück. Deklamation ist, für eine strengere Art der Rede, und z. E.die Gründe, so gegen die Wochenmärkte vorgebracht worden, für richterliche Entscheidungsgründe halten wollten. Die Deklamation ist ein gutes Mittel gewissen kleinen vernach- läßigten Wahrheiten eine solche Größe und Gestalt zu geben, daß der Richter bey Abfassung des Urtheils sie nicht übersehen möge. Hätte der Verfasser des obigen Aufsatzes ein gleiches bemerkt: so würde er die Gründe für das Flicken der Wege nicht so gar ernstlich genommen haben. Seiner Seits hat er große und auffallende Wahrheiten vorzutragen, welche sich jedem Auge frey darstellen, und ohne Kunst einleuchten. Die- ses hatte der Altflicker nicht, und gleichwohl hatte er doch auch etwas zu sagen, was nach Beschaffenheit der Umstände, ins- besondre aber des Bodens, worauf er flickt und schreibt, sicher richtig ist, wenn es auch in der Sphäre des Patriotismus, worinn der Herr Widerleger die Wege zu übersehen hat, ganz anders aussehen sollte. Das beste wird wohl seyn, den Streit in der Güte dahin abzuthun, daß Krücken vortrefliche Maschinen bleiben sollen, wenn es gleich besser ist, sie gar nicht nöthig zu haben. LXXVII. Wie viel braucht man um zu leben? Was braucht man um zu leben; ist zwar eine alte aber Es sey unmöglich bey den gegenwärtigen theuren und er
zu vorigen Stuͤck. Deklamation iſt, fuͤr eine ſtrengere Art der Rede, und z. E.die Gruͤnde, ſo gegen die Wochenmaͤrkte vorgebracht worden, fuͤr richterliche Entſcheidungsgruͤnde halten wollten. Die Deklamation iſt ein gutes Mittel gewiſſen kleinen vernach- laͤßigten Wahrheiten eine ſolche Groͤße und Geſtalt zu geben, daß der Richter bey Abfaſſung des Urtheils ſie nicht uͤberſehen moͤge. Haͤtte der Verfaſſer des obigen Aufſatzes ein gleiches bemerkt: ſo wuͤrde er die Gruͤnde fuͤr das Flicken der Wege nicht ſo gar ernſtlich genommen haben. Seiner Seits hat er große und auffallende Wahrheiten vorzutragen, welche ſich jedem Auge frey darſtellen, und ohne Kunſt einleuchten. Die- ſes hatte der Altflicker nicht, und gleichwohl hatte er doch auch etwas zu ſagen, was nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde, ins- beſondre aber des Bodens, worauf er flickt und ſchreibt, ſicher richtig iſt, wenn es auch in der Sphaͤre des Patriotiſmus, worinn der Herr Widerleger die Wege zu uͤberſehen hat, ganz anders ausſehen ſollte. Das beſte wird wohl ſeyn, den Streit in der Guͤte dahin abzuthun, daß Kruͤcken vortrefliche Maſchinen bleiben ſollen, wenn es gleich beſſer iſt, ſie gar nicht noͤthig zu haben. LXXVII. Wie viel braucht man um zu leben? Was braucht man um zu leben; iſt zwar eine alte aber Es ſey unmoͤglich bey den gegenwaͤrtigen theuren und er
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zu vorigen Stuͤck.
Deklamation iſt, fuͤr eine ſtrengere Art der Rede, und z. E.
die Gruͤnde, ſo gegen die Wochenmaͤrkte vorgebracht worden,
fuͤr richterliche Entſcheidungsgruͤnde halten wollten. Die
Deklamation iſt ein gutes Mittel gewiſſen kleinen vernach-
laͤßigten Wahrheiten eine ſolche Groͤße und Geſtalt zu geben,
daß der Richter bey Abfaſſung des Urtheils ſie nicht uͤberſehen
moͤge. Haͤtte der Verfaſſer des obigen Aufſatzes ein gleiches
bemerkt: ſo wuͤrde er die Gruͤnde fuͤr das Flicken der Wege
nicht ſo gar ernſtlich genommen haben. Seiner Seits hat
er große und auffallende Wahrheiten vorzutragen, welche ſich
jedem Auge frey darſtellen, und ohne Kunſt einleuchten. Die-
ſes hatte der Altflicker nicht, und gleichwohl hatte er doch auch
etwas zu ſagen, was nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde, ins-
beſondre aber des Bodens, worauf er flickt und ſchreibt, ſicher
richtig iſt, wenn es auch in der Sphaͤre des Patriotiſmus,
worinn der Herr Widerleger die Wege zu uͤberſehen hat,
ganz anders ausſehen ſollte. Das beſte wird wohl ſeyn, den
Streit in der Guͤte dahin abzuthun, daß Kruͤcken vortrefliche
Maſchinen bleiben ſollen, wenn es gleich beſſer iſt, ſie gar nicht
noͤthig zu haben.
LXXVII.
Wie viel braucht man um zu leben?
Was braucht man um zu leben; iſt zwar eine alte aber
auch noch nie voͤllig beantwortete Frage. Ein Thor-
ſchreiber dem der Fuͤrſt jaͤhrlich hundert Thaler gab, ſtellete
einmal unterthaͤnigſt vor:
Es ſey unmoͤglich bey den gegenwaͤrtigen theuren und
verſchwenderiſchen Zeiten von hundert Thalern zu leben;
er
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