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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Der Staat mit einer Pyramide verglichen.
mit einander betrachten, erstlich die Spitze, hernach die Mitte,
und zuletzt den Grund.

Die Spitze ist besonders fehlerhaft, wenn sie oben zu dicke
ist; oder um so gleich die Anwendung hievon zu machen,
wenn die Landesherrliche Familie sich zu sehr vermehrt, wenn
alle Prinzen heyrathen, und alle Prinzeßinnen Aussteuren er-
fordern, und solchergestalt die Bevölkerung oben stärker geht
als unten. Sie ist fehlerhaft, wenn sich alle Kräfte nach dem
Kopfe ziehen, und den untern Theil machtlos lassen; sie ist
endlich fehlerhaft, wenn der Kopf zittert, und die Kräfte, die
sich hinauf ziehen sollten, in der Mitte stocken.

Nach diesem Grundsatze sollte man meynen, daß ein geist-
licher Staat, dessen Fürst nicht heyrathen darf, allemal der
beste seyn müßte, weil hier der Kopf durch keine Aussteuren,
Wittwensitze und Apanagen zu sehr vergrößert werden kan.
Allein da leider dergleichen Köpfe sehr oft mit gefährlichen
Kröpfen heimgesuchet werden, die sich bisweilen so sehr aus-
dehnen, daß sie die ganze Pyramide durch ihre Schwere um-
stürzen: so läßt sich solches nicht mit Gewißheit behaupten.

Wir wollen uns also nur zur Mitte wenden. Nach dem
stärksten Pyramidalischen Verhältniß folgt auf Eins Zwey,
und so bekömmt der Schaft eine Unförmlichkeit, wenn oben
dieses Verhältniß überschritten wird, und die hohe Diener-
schaft sich oben am Halskragen zu sehr vermehret; der Schaft
bekömmt einen Bauch, wenn zu viel neue Edelleute gemacht
werden, oder der unbegüterte Adel sich zu stark in die Bedie-
nungen dringt, darauf heyrathet und eine Menge Kinder zeugt,
die niemals wieder zum Pfluge zurück kehren, sondern, wo
sie nicht todtgeschossen werden, lauter Auswüchse werden, die
von der Wurzel leben, ohne dem Stamme wiederum einigen
Saft mitzutheilen; sie bekömmt zuletzt unten einen Bruch,

und

Der Staat mit einer Pyramide verglichen.
mit einander betrachten, erſtlich die Spitze, hernach die Mitte,
und zuletzt den Grund.

Die Spitze iſt beſonders fehlerhaft, wenn ſie oben zu dicke
iſt; oder um ſo gleich die Anwendung hievon zu machen,
wenn die Landesherrliche Familie ſich zu ſehr vermehrt, wenn
alle Prinzen heyrathen, und alle Prinzeßinnen Ausſteuren er-
fordern, und ſolchergeſtalt die Bevoͤlkerung oben ſtaͤrker geht
als unten. Sie iſt fehlerhaft, wenn ſich alle Kraͤfte nach dem
Kopfe ziehen, und den untern Theil machtlos laſſen; ſie iſt
endlich fehlerhaft, wenn der Kopf zittert, und die Kraͤfte, die
ſich hinauf ziehen ſollten, in der Mitte ſtocken.

Nach dieſem Grundſatze ſollte man meynen, daß ein geiſt-
licher Staat, deſſen Fuͤrſt nicht heyrathen darf, allemal der
beſte ſeyn muͤßte, weil hier der Kopf durch keine Ausſteuren,
Wittwenſitze und Apanagen zu ſehr vergroͤßert werden kan.
Allein da leider dergleichen Koͤpfe ſehr oft mit gefaͤhrlichen
Kroͤpfen heimgeſuchet werden, die ſich bisweilen ſo ſehr aus-
dehnen, daß ſie die ganze Pyramide durch ihre Schwere um-
ſtuͤrzen: ſo laͤßt ſich ſolches nicht mit Gewißheit behaupten.

Wir wollen uns alſo nur zur Mitte wenden. Nach dem
ſtaͤrkſten Pyramidaliſchen Verhaͤltniß folgt auf Eins Zwey,
und ſo bekoͤmmt der Schaft eine Unfoͤrmlichkeit, wenn oben
dieſes Verhaͤltniß uͤberſchritten wird, und die hohe Diener-
ſchaft ſich oben am Halskragen zu ſehr vermehret; der Schaft
bekoͤmmt einen Bauch, wenn zu viel neue Edelleute gemacht
werden, oder der unbeguͤterte Adel ſich zu ſtark in die Bedie-
nungen dringt, darauf heyrathet und eine Menge Kinder zeugt,
die niemals wieder zum Pfluge zuruͤck kehren, ſondern, wo
ſie nicht todtgeſchoſſen werden, lauter Auswuͤchſe werden, die
von der Wurzel leben, ohne dem Stamme wiederum einigen
Saft mitzutheilen; ſie bekoͤmmt zuletzt unten einen Bruch,

und
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[382/0400] Der Staat mit einer Pyramide verglichen. mit einander betrachten, erſtlich die Spitze, hernach die Mitte, und zuletzt den Grund. Die Spitze iſt beſonders fehlerhaft, wenn ſie oben zu dicke iſt; oder um ſo gleich die Anwendung hievon zu machen, wenn die Landesherrliche Familie ſich zu ſehr vermehrt, wenn alle Prinzen heyrathen, und alle Prinzeßinnen Ausſteuren er- fordern, und ſolchergeſtalt die Bevoͤlkerung oben ſtaͤrker geht als unten. Sie iſt fehlerhaft, wenn ſich alle Kraͤfte nach dem Kopfe ziehen, und den untern Theil machtlos laſſen; ſie iſt endlich fehlerhaft, wenn der Kopf zittert, und die Kraͤfte, die ſich hinauf ziehen ſollten, in der Mitte ſtocken. Nach dieſem Grundſatze ſollte man meynen, daß ein geiſt- licher Staat, deſſen Fuͤrſt nicht heyrathen darf, allemal der beſte ſeyn muͤßte, weil hier der Kopf durch keine Ausſteuren, Wittwenſitze und Apanagen zu ſehr vergroͤßert werden kan. Allein da leider dergleichen Koͤpfe ſehr oft mit gefaͤhrlichen Kroͤpfen heimgeſuchet werden, die ſich bisweilen ſo ſehr aus- dehnen, daß ſie die ganze Pyramide durch ihre Schwere um- ſtuͤrzen: ſo laͤßt ſich ſolches nicht mit Gewißheit behaupten. Wir wollen uns alſo nur zur Mitte wenden. Nach dem ſtaͤrkſten Pyramidaliſchen Verhaͤltniß folgt auf Eins Zwey, und ſo bekoͤmmt der Schaft eine Unfoͤrmlichkeit, wenn oben dieſes Verhaͤltniß uͤberſchritten wird, und die hohe Diener- ſchaft ſich oben am Halskragen zu ſehr vermehret; der Schaft bekoͤmmt einen Bauch, wenn zu viel neue Edelleute gemacht werden, oder der unbeguͤterte Adel ſich zu ſtark in die Bedie- nungen dringt, darauf heyrathet und eine Menge Kinder zeugt, die niemals wieder zum Pfluge zuruͤck kehren, ſondern, wo ſie nicht todtgeſchoſſen werden, lauter Auswuͤchſe werden, die von der Wurzel leben, ohne dem Stamme wiederum einigen Saft mitzutheilen; ſie bekoͤmmt zuletzt unten einen Bruch, und

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/400>, abgerufen am 22.11.2024.