Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite
Vorschl. zur Veredel. der verlohr. gehend. Zeit.

Es liegt nichts daran, ob das Knütten auf dem Wege,
was die Dienstboten und andre gehende Personen thun kön-
nen, für die Herrschaft wobey sie dienen, oder für die Ar-
beiter selbst geschehe; allein dem Staat, der in beyden Fällen
gleichviel gewinnet, ist unendlich daran gelegen, daß es ge-
schehe, und manche Herrschaft machte sich vermuthlich ein Ver-
gnügen daraus, ihrem Gesinde das Garn dabey zu schenken.
Ich kenne eine Familie, worinn der Vater seinen Kindern,
allen Flachs schenkte, was sie verspinnen konnten, wogegen
sie sich aber in Kleidungen selbst unterhalten musten; und der
Eyfer der Kinder gieng so weit, daß er ihnen die Räder ver-
schließen muste, weil sie um zwey Uhr des Morgens schon
dahinter saßen, und der Sohn, der nachmals ein würdiger
Prediger ward, sich eben so früh mit seiner Grammatik an das
Rad setzte.

An dem guten Ton fehlt es hier gewiß nicht; alle unsre
vornehmen Damen arbeiten beständig in Gesellschaften, und
und haben ihren Nehebeutel im Wagen wie in der Comödie.
An der Mölichkeit ist kein Zweifel, da so gar blindgebohrne
Personen, die schönste Knüttearbeit verfertigen können, und
andre Länder, wie auch verschiedene hiesige Kirchspiele, be-
sonders aber die Münsterschen Aemter Kloppenburg und
Vechte, worinn gewiß jährlich für 100-000 Rthlr. wollene
Strümpfe mit der Nebenarbeit verfertiget werden, davon
zeugen. Woran liegt es also, daß viele Kinder unsrer Land-
leute im Sommer, wenn der Schulhalter zum Torfstechen
nach Holland geht, hinter den Kühen müßig liegen? An häus-
lichen Exempeln und an der Erziehung.



LXII.
Vorſchl. zur Veredel. der verlohr. gehend. Zeit.

Es liegt nichts daran, ob das Knuͤtten auf dem Wege,
was die Dienſtboten und andre gehende Perſonen thun koͤn-
nen, fuͤr die Herrſchaft wobey ſie dienen, oder fuͤr die Ar-
beiter ſelbſt geſchehe; allein dem Staat, der in beyden Faͤllen
gleichviel gewinnet, iſt unendlich daran gelegen, daß es ge-
ſchehe, und manche Herrſchaft machte ſich vermuthlich ein Ver-
gnuͤgen daraus, ihrem Geſinde das Garn dabey zu ſchenken.
Ich kenne eine Familie, worinn der Vater ſeinen Kindern,
allen Flachs ſchenkte, was ſie verſpinnen konnten, wogegen
ſie ſich aber in Kleidungen ſelbſt unterhalten muſten; und der
Eyfer der Kinder gieng ſo weit, daß er ihnen die Raͤder ver-
ſchließen muſte, weil ſie um zwey Uhr des Morgens ſchon
dahinter ſaßen, und der Sohn, der nachmals ein wuͤrdiger
Prediger ward, ſich eben ſo fruͤh mit ſeiner Grammatik an das
Rad ſetzte.

An dem guten Ton fehlt es hier gewiß nicht; alle unſre
vornehmen Damen arbeiten beſtaͤndig in Geſellſchaften, und
und haben ihren Nehebeutel im Wagen wie in der Comoͤdie.
An der Moͤlichkeit iſt kein Zweifel, da ſo gar blindgebohrne
Perſonen, die ſchoͤnſte Knuͤttearbeit verfertigen koͤnnen, und
andre Laͤnder, wie auch verſchiedene hieſige Kirchſpiele, be-
ſonders aber die Muͤnſterſchen Aemter Kloppenburg und
Vechte, worinn gewiß jaͤhrlich fuͤr 100-000 Rthlr. wollene
Struͤmpfe mit der Nebenarbeit verfertiget werden, davon
zeugen. Woran liegt es alſo, daß viele Kinder unſrer Land-
leute im Sommer, wenn der Schulhalter zum Torfſtechen
nach Holland geht, hinter den Kuͤhen muͤßig liegen? An haͤus-
lichen Exempeln und an der Erziehung.



LXII.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0384" n="366"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vor&#x017F;chl. zur Veredel. der verlohr. gehend. Zeit.</hi> </fw><lb/>
        <p>Es liegt nichts daran, ob das Knu&#x0364;tten auf dem Wege,<lb/>
was die Dien&#x017F;tboten und andre gehende Per&#x017F;onen thun ko&#x0364;n-<lb/>
nen, fu&#x0364;r die Herr&#x017F;chaft wobey &#x017F;ie dienen, oder fu&#x0364;r die Ar-<lb/>
beiter &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;chehe; allein dem Staat, der in beyden Fa&#x0364;llen<lb/>
gleichviel gewinnet, i&#x017F;t unendlich daran gelegen, daß es ge-<lb/>
&#x017F;chehe, und manche Herr&#x017F;chaft machte &#x017F;ich vermuthlich ein Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen daraus, ihrem Ge&#x017F;inde das Garn dabey zu &#x017F;chenken.<lb/>
Ich kenne eine Familie, worinn der Vater &#x017F;einen Kindern,<lb/>
allen Flachs &#x017F;chenkte, was &#x017F;ie ver&#x017F;pinnen konnten, wogegen<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich aber in Kleidungen &#x017F;elb&#x017F;t unterhalten mu&#x017F;ten; und der<lb/>
Eyfer der Kinder gieng &#x017F;o weit, daß er ihnen die Ra&#x0364;der ver-<lb/>
&#x017F;chließen mu&#x017F;te, weil &#x017F;ie um zwey Uhr des Morgens &#x017F;chon<lb/>
dahinter &#x017F;aßen, und der Sohn, der nachmals ein wu&#x0364;rdiger<lb/>
Prediger ward, &#x017F;ich eben &#x017F;o fru&#x0364;h mit &#x017F;einer Grammatik an das<lb/>
Rad &#x017F;etzte.</p><lb/>
        <p>An dem <hi rendition="#fr">guten Ton</hi> fehlt es hier gewiß nicht; alle un&#x017F;re<lb/>
vornehmen Damen arbeiten be&#x017F;ta&#x0364;ndig in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften, und<lb/>
und haben ihren Nehebeutel im Wagen wie in der Como&#x0364;die.<lb/>
An der Mo&#x0364;lichkeit i&#x017F;t kein Zweifel, da &#x017F;o gar blindgebohrne<lb/>
Per&#x017F;onen, die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Knu&#x0364;ttearbeit verfertigen ko&#x0364;nnen, und<lb/>
andre La&#x0364;nder, wie auch ver&#x017F;chiedene hie&#x017F;ige Kirch&#x017F;piele, be-<lb/>
&#x017F;onders aber die Mu&#x0364;n&#x017F;ter&#x017F;chen Aemter Kloppenburg und<lb/>
Vechte, worinn gewiß ja&#x0364;hrlich fu&#x0364;r 100-000 Rthlr. wollene<lb/>
Stru&#x0364;mpfe mit der Nebenarbeit verfertiget werden, davon<lb/>
zeugen. Woran liegt es al&#x017F;o, daß viele Kinder un&#x017F;rer Land-<lb/>
leute im Sommer, wenn der Schulhalter zum Torf&#x017F;techen<lb/>
nach Holland geht, hinter den Ku&#x0364;hen mu&#x0364;ßig liegen? An ha&#x0364;us-<lb/>
lichen Exempeln und an der Erziehung.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#b">LXII.</hi> </hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[366/0384] Vorſchl. zur Veredel. der verlohr. gehend. Zeit. Es liegt nichts daran, ob das Knuͤtten auf dem Wege, was die Dienſtboten und andre gehende Perſonen thun koͤn- nen, fuͤr die Herrſchaft wobey ſie dienen, oder fuͤr die Ar- beiter ſelbſt geſchehe; allein dem Staat, der in beyden Faͤllen gleichviel gewinnet, iſt unendlich daran gelegen, daß es ge- ſchehe, und manche Herrſchaft machte ſich vermuthlich ein Ver- gnuͤgen daraus, ihrem Geſinde das Garn dabey zu ſchenken. Ich kenne eine Familie, worinn der Vater ſeinen Kindern, allen Flachs ſchenkte, was ſie verſpinnen konnten, wogegen ſie ſich aber in Kleidungen ſelbſt unterhalten muſten; und der Eyfer der Kinder gieng ſo weit, daß er ihnen die Raͤder ver- ſchließen muſte, weil ſie um zwey Uhr des Morgens ſchon dahinter ſaßen, und der Sohn, der nachmals ein wuͤrdiger Prediger ward, ſich eben ſo fruͤh mit ſeiner Grammatik an das Rad ſetzte. An dem guten Ton fehlt es hier gewiß nicht; alle unſre vornehmen Damen arbeiten beſtaͤndig in Geſellſchaften, und und haben ihren Nehebeutel im Wagen wie in der Comoͤdie. An der Moͤlichkeit iſt kein Zweifel, da ſo gar blindgebohrne Perſonen, die ſchoͤnſte Knuͤttearbeit verfertigen koͤnnen, und andre Laͤnder, wie auch verſchiedene hieſige Kirchſpiele, be- ſonders aber die Muͤnſterſchen Aemter Kloppenburg und Vechte, worinn gewiß jaͤhrlich fuͤr 100-000 Rthlr. wollene Struͤmpfe mit der Nebenarbeit verfertiget werden, davon zeugen. Woran liegt es alſo, daß viele Kinder unſrer Land- leute im Sommer, wenn der Schulhalter zum Torfſtechen nach Holland geht, hinter den Kuͤhen muͤßig liegen? An haͤus- lichen Exempeln und an der Erziehung. LXII.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/384
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/384>, abgerufen am 24.11.2024.