Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.der verlohren gehenden Zeit. bey ihrem herumgehen zugleich wieder einen andern Strumpfzu knütten; und ich habe mannigmal aus den Städten dorti- ger Gegend hunderte von Mädgen zum Melken ausgehen sehen, worunter keine einzige war, die nicht mit dem größ- ten Eyfer ihren Strumpf knüttete. Hier sage ich, fühlt man den Verlust lebhaft, den andre Länder, worinn gewiß auch einige tausend Menschen zum Melken gehen, und täglich mit hin- und herlaufen sechs Stunden verlieren, erleiden müssen; und warum? blos weil es die Gewohnheit, oder weil der Mensch von seiner ersten Jugend an nicht dazu erzogen ist. Mit Recht belohnten die hiesigen Landstände beym vorigen Es a) Die Prämie ist ihr ohne ihr Gesuch, und ohne daß sie auch
nur dergleichen vermuthet, zugesandt worden. der verlohren gehenden Zeit. bey ihrem herumgehen zugleich wieder einen andern Strumpfzu knuͤtten; und ich habe mannigmal aus den Staͤdten dorti- ger Gegend hunderte von Maͤdgen zum Melken ausgehen ſehen, worunter keine einzige war, die nicht mit dem groͤß- ten Eyfer ihren Strumpf knuͤttete. Hier ſage ich, fuͤhlt man den Verluſt lebhaft, den andre Laͤnder, worinn gewiß auch einige tauſend Menſchen zum Melken gehen, und taͤglich mit hin- und herlaufen ſechs Stunden verlieren, erleiden muͤſſen; und warum? blos weil es die Gewohnheit, oder weil der Menſch von ſeiner erſten Jugend an nicht dazu erzogen iſt. Mit Recht belohnten die hieſigen Landſtaͤnde beym vorigen Es a) Die Praͤmie iſt ihr ohne ihr Geſuch, und ohne daß ſie auch
nur dergleichen vermuthet, zugeſandt worden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0383" n="365"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der verlohren gehenden Zeit.</hi></fw><lb/> bey ihrem herumgehen zugleich wieder einen andern Strumpf<lb/> zu knuͤtten; und ich habe mannigmal aus den Staͤdten dorti-<lb/> ger Gegend hunderte von Maͤdgen zum Melken ausgehen<lb/> ſehen, worunter keine einzige war, die nicht mit dem groͤß-<lb/> ten Eyfer ihren Strumpf knuͤttete. Hier ſage ich, fuͤhlt man<lb/> den Verluſt lebhaft, den andre Laͤnder, worinn gewiß auch<lb/> einige tauſend Menſchen zum Melken gehen, und taͤglich<lb/> mit hin- und herlaufen ſechs Stunden verlieren, erleiden<lb/> muͤſſen; und warum? blos weil es die Gewohnheit, oder weil<lb/> der Menſch von ſeiner erſten Jugend an nicht dazu erzogen iſt.</p><lb/> <p>Mit Recht belohnten die hieſigen Landſtaͤnde beym vorigen<lb/> Landtage eine junge Frau <note place="foot" n="a)">Die Praͤmie iſt ihr ohne ihr Geſuch, und ohne daß ſie auch<lb/> nur dergleichen vermuthet, zugeſandt worden.</note>, die ſeit vielen Jahren auf<lb/> zweyen Raͤdern zugleich geſponnen hatte, um ihren alten<lb/> Mann, und ihre Kinder zu ernaͤhren. Exempel von dieſer<lb/> Art zeigen was geſchehen koͤnne, wenn die fruͤhe Erziehung<lb/> der Landespolicey entgegen koͤmmt; und wie ſehr waͤre es zu<lb/> wuͤnſchen, daß auf dieſe Art der Erziehung nur ſo viel ver-<lb/> wendet wuͤrde, als auf manche verungluͤckte Fabrik verwen-<lb/> det iſt. Es wuͤrde freylich nicht zu verlangen ſeyn, daß alle<lb/> Menſchen ſo anhaltend arbeiten ſollten. Allein die Geſchick-<lb/> lichkeit dazu koͤnnte ein jeder durch die Erziehung erlangen;<lb/> und ſo wuͤſte er doch zur Zeit der Noth, daß er ſein Brodt<lb/> mit zweyen Raͤdern ſuchen muͤſte, was er mit einem nicht er-<lb/> halten koͤnnte; ſo wuͤrde ihm vielleicht die Arbeit zur Ge-<lb/> wohnheit, und Gewohnheit zur andern Natur: und ſo wuͤr-<lb/> den die 216000 Stunden, die von 36000 Menſchen alle<lb/> Tage regelmaͤßig mit holen und bringen verlohren werden,<lb/> zu einem wichtigen <hi rendition="#aq">plus</hi> in der Oekonomie des Staas.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Es</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [365/0383]
der verlohren gehenden Zeit.
bey ihrem herumgehen zugleich wieder einen andern Strumpf
zu knuͤtten; und ich habe mannigmal aus den Staͤdten dorti-
ger Gegend hunderte von Maͤdgen zum Melken ausgehen
ſehen, worunter keine einzige war, die nicht mit dem groͤß-
ten Eyfer ihren Strumpf knuͤttete. Hier ſage ich, fuͤhlt man
den Verluſt lebhaft, den andre Laͤnder, worinn gewiß auch
einige tauſend Menſchen zum Melken gehen, und taͤglich
mit hin- und herlaufen ſechs Stunden verlieren, erleiden
muͤſſen; und warum? blos weil es die Gewohnheit, oder weil
der Menſch von ſeiner erſten Jugend an nicht dazu erzogen iſt.
Mit Recht belohnten die hieſigen Landſtaͤnde beym vorigen
Landtage eine junge Frau a), die ſeit vielen Jahren auf
zweyen Raͤdern zugleich geſponnen hatte, um ihren alten
Mann, und ihre Kinder zu ernaͤhren. Exempel von dieſer
Art zeigen was geſchehen koͤnne, wenn die fruͤhe Erziehung
der Landespolicey entgegen koͤmmt; und wie ſehr waͤre es zu
wuͤnſchen, daß auf dieſe Art der Erziehung nur ſo viel ver-
wendet wuͤrde, als auf manche verungluͤckte Fabrik verwen-
det iſt. Es wuͤrde freylich nicht zu verlangen ſeyn, daß alle
Menſchen ſo anhaltend arbeiten ſollten. Allein die Geſchick-
lichkeit dazu koͤnnte ein jeder durch die Erziehung erlangen;
und ſo wuͤſte er doch zur Zeit der Noth, daß er ſein Brodt
mit zweyen Raͤdern ſuchen muͤſte, was er mit einem nicht er-
halten koͤnnte; ſo wuͤrde ihm vielleicht die Arbeit zur Ge-
wohnheit, und Gewohnheit zur andern Natur: und ſo wuͤr-
den die 216000 Stunden, die von 36000 Menſchen alle
Tage regelmaͤßig mit holen und bringen verlohren werden,
zu einem wichtigen plus in der Oekonomie des Staas.
Es
a) Die Praͤmie iſt ihr ohne ihr Geſuch, und ohne daß ſie auch
nur dergleichen vermuthet, zugeſandt worden.
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