Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

Schreiben eines reisenden Parisers
ansehen können: so würde ihn der ganze Hof ohne Gnade für
verrückt ausschreyen. Dem Pöbel allein liegt es ob die Welt
zu bevölkern; und eine so einfältige Fruchtbarkeit ist der höchste
Grad der Dummheit.

Und eben so denke ich von allen euren baren Tugenden und
ofnen Herzen. Jene sind wie eure rohen Schinken, und
diese gleichen einer nackten Haut ohne Schminke, die
man ohne zu schaudern nicht ansehen kan. Dafür ist es hier
denn doch noch gülden, da ist noch Tugend so schön wie But-
ter a quatre couleuts.

Eure Mannthiere sind aber in ihrer Art fast noch lächerli-
cher. Diejenigen, so bey uns das Land regieren, haben ihre
Hauscanzleyen, welchen sie einmal für alle sagen: zugestan-
den, was Geld einbringt, und alles übrige abgeschlagen. Die
Ausfertigungen gehn demnächst ihren Gang, und es braucht
keines weitern Vortrags. Der Staat ist da das Generalho-
spital; wenn der Arzt nur einmal gesagt hat: Zur Rechten
Ader gelassen, zur Linken abgeführt: so wissen die Handlanger
mehr als zu viel. Was würde es auch für eine erschreckliche
Arbeit seyn, alle Krankheiten zu untersuchen oder alle Sachen
selbst einzusehen, und so wie euer Herr M .... thut, bey
jedem Ja und Nein, was er auf die eingekommenen Vorstel-
lungen setzt, mit einem Buchstaben noch besonders zu bemer-
ken, ob das Nein piano, andante, andantino, grave, forte,
piacevole gratioso
oder stoccato und allabreve ertheilet
werden soll?

In eurem Lande hingegen arbeiten dergleichen Herrn oft
für einen armen Bauren, als wenn des ganzen Landes Wohl-
fahrt daran läge, ob ein Hundert dergleichen Krautköpfe
mehr oder weniger in der Welt wären; die edlen Abendstun-
den, die in der ganzen vernünftigen Welt der Freude heilig

sind,

Schreiben eines reiſenden Pariſers
anſehen koͤnnen: ſo wuͤrde ihn der ganze Hof ohne Gnade fuͤr
verruͤckt ausſchreyen. Dem Poͤbel allein liegt es ob die Welt
zu bevoͤlkern; und eine ſo einfaͤltige Fruchtbarkeit iſt der hoͤchſte
Grad der Dummheit.

Und eben ſo denke ich von allen euren baren Tugenden und
ofnen Herzen. Jene ſind wie eure rohen Schinken, und
dieſe gleichen einer nackten Haut ohne Schminke, die
man ohne zu ſchaudern nicht anſehen kan. Dafuͤr iſt es hier
denn doch noch guͤlden, da iſt noch Tugend ſo ſchoͤn wie But-
ter a quatre couleuts.

Eure Mannthiere ſind aber in ihrer Art faſt noch laͤcherli-
cher. Diejenigen, ſo bey uns das Land regieren, haben ihre
Hauscanzleyen, welchen ſie einmal fuͤr alle ſagen: zugeſtan-
den, was Geld einbringt, und alles uͤbrige abgeſchlagen. Die
Ausfertigungen gehn demnaͤchſt ihren Gang, und es braucht
keines weitern Vortrags. Der Staat iſt da das Generalho-
ſpital; wenn der Arzt nur einmal geſagt hat: Zur Rechten
Ader gelaſſen, zur Linken abgefuͤhrt: ſo wiſſen die Handlanger
mehr als zu viel. Was wuͤrde es auch fuͤr eine erſchreckliche
Arbeit ſeyn, alle Krankheiten zu unterſuchen oder alle Sachen
ſelbſt einzuſehen, und ſo wie euer Herr M .... thut, bey
jedem Ja und Nein, was er auf die eingekommenen Vorſtel-
lungen ſetzt, mit einem Buchſtaben noch beſonders zu bemer-
ken, ob das Nein piano, andante, andantino, grave, forte,
piacevole gratioſo
oder ſtoccato und allabreve ertheilet
werden ſoll?

In eurem Lande hingegen arbeiten dergleichen Herrn oft
fuͤr einen armen Bauren, als wenn des ganzen Landes Wohl-
fahrt daran laͤge, ob ein Hundert dergleichen Krautkoͤpfe
mehr oder weniger in der Welt waͤren; die edlen Abendſtun-
den, die in der ganzen vernuͤnftigen Welt der Freude heilig

ſind,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0368" n="350"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Schreiben eines rei&#x017F;enden Pari&#x017F;ers</hi></fw><lb/>
an&#x017F;ehen ko&#x0364;nnen: &#x017F;o wu&#x0364;rde ihn der ganze Hof ohne Gnade fu&#x0364;r<lb/>
verru&#x0364;ckt aus&#x017F;chreyen. Dem Po&#x0364;bel allein liegt es ob die Welt<lb/>
zu bevo&#x0364;lkern; und eine &#x017F;o einfa&#x0364;ltige Fruchtbarkeit i&#x017F;t der ho&#x0364;ch&#x017F;te<lb/>
Grad der Dummheit.</p><lb/>
        <p>Und eben &#x017F;o denke ich von allen euren baren Tugenden und<lb/>
ofnen Herzen. Jene &#x017F;ind wie eure rohen Schinken, und<lb/>
die&#x017F;e gleichen einer nackten Haut ohne Schminke, die<lb/>
man ohne zu &#x017F;chaudern nicht an&#x017F;ehen kan. Dafu&#x0364;r i&#x017F;t es hier<lb/>
denn doch noch gu&#x0364;lden, da i&#x017F;t noch Tugend &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n wie But-<lb/>
ter <hi rendition="#aq">a quatre couleuts.</hi></p><lb/>
        <p>Eure Mannthiere &#x017F;ind aber in ihrer Art fa&#x017F;t noch la&#x0364;cherli-<lb/>
cher. Diejenigen, &#x017F;o bey uns das Land regieren, haben ihre<lb/>
Hauscanzleyen, welchen &#x017F;ie einmal fu&#x0364;r alle &#x017F;agen: zuge&#x017F;tan-<lb/>
den, was Geld einbringt, und alles u&#x0364;brige abge&#x017F;chlagen. Die<lb/>
Ausfertigungen gehn demna&#x0364;ch&#x017F;t ihren Gang, und es braucht<lb/>
keines weitern Vortrags. Der Staat i&#x017F;t da das Generalho-<lb/>
&#x017F;pital; wenn der Arzt nur einmal ge&#x017F;agt hat: Zur Rechten<lb/>
Ader gela&#x017F;&#x017F;en, zur Linken abgefu&#x0364;hrt: &#x017F;o wi&#x017F;&#x017F;en die Handlanger<lb/>
mehr als zu viel. Was wu&#x0364;rde es auch fu&#x0364;r eine er&#x017F;chreckliche<lb/>
Arbeit &#x017F;eyn, alle Krankheiten zu unter&#x017F;uchen oder alle Sachen<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t einzu&#x017F;ehen, und &#x017F;o wie euer Herr M .... thut, bey<lb/>
jedem <hi rendition="#fr">Ja</hi> und <hi rendition="#fr">Nein,</hi> was er auf die eingekommenen Vor&#x017F;tel-<lb/>
lungen &#x017F;etzt, mit einem Buch&#x017F;taben noch be&#x017F;onders zu bemer-<lb/>
ken, ob das <hi rendition="#fr">Nein</hi> <hi rendition="#aq">piano, andante, andantino, grave, forte,<lb/>
piacevole gratio&#x017F;o</hi> oder <hi rendition="#aq">&#x017F;toccato</hi> und <hi rendition="#aq">allabreve</hi> ertheilet<lb/>
werden &#x017F;oll?</p><lb/>
        <p>In eurem Lande hingegen arbeiten dergleichen Herrn oft<lb/>
fu&#x0364;r einen armen Bauren, als wenn des ganzen Landes Wohl-<lb/>
fahrt daran la&#x0364;ge, ob ein Hundert dergleichen Krautko&#x0364;pfe<lb/>
mehr oder weniger in der Welt wa&#x0364;ren; die edlen Abend&#x017F;tun-<lb/>
den, die in der ganzen vernu&#x0364;nftigen Welt der Freude heilig<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ind,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[350/0368] Schreiben eines reiſenden Pariſers anſehen koͤnnen: ſo wuͤrde ihn der ganze Hof ohne Gnade fuͤr verruͤckt ausſchreyen. Dem Poͤbel allein liegt es ob die Welt zu bevoͤlkern; und eine ſo einfaͤltige Fruchtbarkeit iſt der hoͤchſte Grad der Dummheit. Und eben ſo denke ich von allen euren baren Tugenden und ofnen Herzen. Jene ſind wie eure rohen Schinken, und dieſe gleichen einer nackten Haut ohne Schminke, die man ohne zu ſchaudern nicht anſehen kan. Dafuͤr iſt es hier denn doch noch guͤlden, da iſt noch Tugend ſo ſchoͤn wie But- ter a quatre couleuts. Eure Mannthiere ſind aber in ihrer Art faſt noch laͤcherli- cher. Diejenigen, ſo bey uns das Land regieren, haben ihre Hauscanzleyen, welchen ſie einmal fuͤr alle ſagen: zugeſtan- den, was Geld einbringt, und alles uͤbrige abgeſchlagen. Die Ausfertigungen gehn demnaͤchſt ihren Gang, und es braucht keines weitern Vortrags. Der Staat iſt da das Generalho- ſpital; wenn der Arzt nur einmal geſagt hat: Zur Rechten Ader gelaſſen, zur Linken abgefuͤhrt: ſo wiſſen die Handlanger mehr als zu viel. Was wuͤrde es auch fuͤr eine erſchreckliche Arbeit ſeyn, alle Krankheiten zu unterſuchen oder alle Sachen ſelbſt einzuſehen, und ſo wie euer Herr M .... thut, bey jedem Ja und Nein, was er auf die eingekommenen Vorſtel- lungen ſetzt, mit einem Buchſtaben noch beſonders zu bemer- ken, ob das Nein piano, andante, andantino, grave, forte, piacevole gratioſo oder ſtoccato und allabreve ertheilet werden ſoll? In eurem Lande hingegen arbeiten dergleichen Herrn oft fuͤr einen armen Bauren, als wenn des ganzen Landes Wohl- fahrt daran laͤge, ob ein Hundert dergleichen Krautkoͤpfe mehr oder weniger in der Welt waͤren; die edlen Abendſtun- den, die in der ganzen vernuͤnftigen Welt der Freude heilig ſind,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/368
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/368>, abgerufen am 24.11.2024.