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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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an seinen Wirth in Westphalen.
letztern, wie ich ihnen einmal einen Begrif davon geben wollte,
und glaubten, welche Einfalt! man könnte bey gewissen Vor-
fällen wohl von Natur schamroth werden, ohne eben nöthig
zu haben, das Licht durch rothe Vorhänge fallen zu lassen,
und mit diesem Wiederscheine einem leichtfertigen Falle das
Ansehen einer überwundenen Tugend zu geben. So entfernt
seyd ihr noch von den herrlichen Kunsttrieben und Kunst-
tugenden, die sich doch zu dem natürlichen, wie eine Pastete
von La Boulaye zu euren großen Bohnen verhalten. Eine
solche thierische Art von Menschen, die ihre Seele blos mit
gesunden Wahrheiten füttert, und wenn man ihr die neuesten
Erfindungen in der Kunst zu genießen, mit den feurigsten
Farben mahlt, oder ein Operetgen von Gretry mit aller Gra-
zie vorsingt, kaltsinnig antwortet, daß wir das italiänische
nur süß und leicht, das englische schwach und mishellig, ihr
deutsches aber vollends lahm machten, habe ich in meinem Le-
ben nicht angetroffen.

Der Hang zum vernünftigen und nützlichen ist zwar frey-
lich nicht zu verachten; und ich gönne es euren Bauren gern,
daß sie lieber eine gute lange Predigt als eine Opera hören.
Aber daß Leute von Stande einen solchen groben Geschmack
haben; und daß Damen, die doch nur zum Vergnügen in der
Welt erschaffen sind, ein solches Pflanzenleben führen können,
dieses ist mehr als ein Philosoph berechnen kan. Wann man
dergleichen Charaktere auf unser Bühne vorstellen wollte; so
würde die parisische Welt den Verfasser für eine so abentheur-
liche Uebertretung der menschlichen Natur ohne Barmherzig-
keit auspfeifen; und entdeckte er ihnen dann vollends was ich
noch weiter gesehen, daß alle eure verheyratheten Weiber,
Kinder und oft sehr viele haben; daß sie ihre edelste Zeit mit
deren Erziehung zubringen; und daß es bey euch Männer
giebt, welche dergleichen Kindermütter mit zärtlichen Augen

anse-

an ſeinen Wirth in Weſtphalen.
letztern, wie ich ihnen einmal einen Begrif davon geben wollte,
und glaubten, welche Einfalt! man koͤnnte bey gewiſſen Vor-
faͤllen wohl von Natur ſchamroth werden, ohne eben noͤthig
zu haben, das Licht durch rothe Vorhaͤnge fallen zu laſſen,
und mit dieſem Wiederſcheine einem leichtfertigen Falle das
Anſehen einer uͤberwundenen Tugend zu geben. So entfernt
ſeyd ihr noch von den herrlichen Kunſttrieben und Kunſt-
tugenden, die ſich doch zu dem natuͤrlichen, wie eine Paſtete
von La Boulaye zu euren großen Bohnen verhalten. Eine
ſolche thieriſche Art von Menſchen, die ihre Seele blos mit
geſunden Wahrheiten fuͤttert, und wenn man ihr die neueſten
Erfindungen in der Kunſt zu genießen, mit den feurigſten
Farben mahlt, oder ein Operetgen von Gretry mit aller Gra-
zie vorſingt, kaltſinnig antwortet, daß wir das italiaͤniſche
nur ſuͤß und leicht, das engliſche ſchwach und mishellig, ihr
deutſches aber vollends lahm machten, habe ich in meinem Le-
ben nicht angetroffen.

Der Hang zum vernuͤnftigen und nuͤtzlichen iſt zwar frey-
lich nicht zu verachten; und ich goͤnne es euren Bauren gern,
daß ſie lieber eine gute lange Predigt als eine Opera hoͤren.
Aber daß Leute von Stande einen ſolchen groben Geſchmack
haben; und daß Damen, die doch nur zum Vergnuͤgen in der
Welt erſchaffen ſind, ein ſolches Pflanzenleben fuͤhren koͤnnen,
dieſes iſt mehr als ein Philoſoph berechnen kan. Wann man
dergleichen Charaktere auf unſer Buͤhne vorſtellen wollte; ſo
wuͤrde die pariſiſche Welt den Verfaſſer fuͤr eine ſo abentheur-
liche Uebertretung der menſchlichen Natur ohne Barmherzig-
keit auspfeifen; und entdeckte er ihnen dann vollends was ich
noch weiter geſehen, daß alle eure verheyratheten Weiber,
Kinder und oft ſehr viele haben; daß ſie ihre edelſte Zeit mit
deren Erziehung zubringen; und daß es bey euch Maͤnner
giebt, welche dergleichen Kindermuͤtter mit zaͤrtlichen Augen

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[349/0367] an ſeinen Wirth in Weſtphalen. letztern, wie ich ihnen einmal einen Begrif davon geben wollte, und glaubten, welche Einfalt! man koͤnnte bey gewiſſen Vor- faͤllen wohl von Natur ſchamroth werden, ohne eben noͤthig zu haben, das Licht durch rothe Vorhaͤnge fallen zu laſſen, und mit dieſem Wiederſcheine einem leichtfertigen Falle das Anſehen einer uͤberwundenen Tugend zu geben. So entfernt ſeyd ihr noch von den herrlichen Kunſttrieben und Kunſt- tugenden, die ſich doch zu dem natuͤrlichen, wie eine Paſtete von La Boulaye zu euren großen Bohnen verhalten. Eine ſolche thieriſche Art von Menſchen, die ihre Seele blos mit geſunden Wahrheiten fuͤttert, und wenn man ihr die neueſten Erfindungen in der Kunſt zu genießen, mit den feurigſten Farben mahlt, oder ein Operetgen von Gretry mit aller Gra- zie vorſingt, kaltſinnig antwortet, daß wir das italiaͤniſche nur ſuͤß und leicht, das engliſche ſchwach und mishellig, ihr deutſches aber vollends lahm machten, habe ich in meinem Le- ben nicht angetroffen. Der Hang zum vernuͤnftigen und nuͤtzlichen iſt zwar frey- lich nicht zu verachten; und ich goͤnne es euren Bauren gern, daß ſie lieber eine gute lange Predigt als eine Opera hoͤren. Aber daß Leute von Stande einen ſolchen groben Geſchmack haben; und daß Damen, die doch nur zum Vergnuͤgen in der Welt erſchaffen ſind, ein ſolches Pflanzenleben fuͤhren koͤnnen, dieſes iſt mehr als ein Philoſoph berechnen kan. Wann man dergleichen Charaktere auf unſer Buͤhne vorſtellen wollte; ſo wuͤrde die pariſiſche Welt den Verfaſſer fuͤr eine ſo abentheur- liche Uebertretung der menſchlichen Natur ohne Barmherzig- keit auspfeifen; und entdeckte er ihnen dann vollends was ich noch weiter geſehen, daß alle eure verheyratheten Weiber, Kinder und oft ſehr viele haben; daß ſie ihre edelſte Zeit mit deren Erziehung zubringen; und daß es bey euch Maͤnner giebt, welche dergleichen Kindermuͤtter mit zaͤrtlichen Augen anſe-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/367>, abgerufen am 26.11.2024.