Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

zwischen dem Kaufmann und Krämer.
geschickter und fähiger seyn die Krämerey mit den dahin gehö-
rigen Sachen zu treiben, als eben diese? Warum wird nicht
dem Handwerker oder deren Frauen eine eingeschränkte Art
von Handel damit gestattet? und was braucht man eigne Krä-
mer, deren Vortheil immer gerade dem Vortheil der Hand-
werker entgegen steht; der selbst keine Waare kennet, und bloß
nach dem Scheine urtheilet, selbst betrogen wird und andre
wieder vetriegt?

Gleichwohl ist es ein Verbrechen der beleidigten Bürger-
schaft, so oft ein Schneider mit Nehenadeln, oder ein Mah-
ler mit Farben handelt; oder ein Schmidt fremde eiserne
Waare, die auf Hütten und großen Fabriken wohlfeiler ge-
macht werden, mit durchsetzt, oder daran eine Politur und
Verbesserung gewinnet? Unsre Vorfahren haben zwar den
Grundsatz gehabt, die Zweige der bürgerlichen Nahrung so
viel thunlich zu trennen, um die Zahl der bürgerlichen Fami-
lien zu vermehren, und zu verhindern daß nicht eine mächtige
Hand alles an sich ziehen, und anstatt den Staat mit seßhaf-
ten Bürgern zu vermehren, mit einer Menge flüchtiger Ge-
sellen arbeiten mögte. Diese Grundsätze waren gut, und blei-
ben allezeit richtig, wenn auch ein Reichsabschied die unend-
liche Anzahl von Gesellen der Vermehrung bürgerlicher Fami-
lien vorzieht. Allein unsre Vorfahren haben es nie gearg-
wohnet, daß eine Zeit kommen würde, worinn die Krämer
alle Ehre und Geld an sich ziehen, und mit Hülfe von bey-
den ihre Mitbürger die Handwerker verdunkeln und erstücken
würden. Bey diesen offenbaren Verfall würden sie nicht ih-
ren Plan geändert, aber sicher eine Wendung in ihre Poli-
cey gemacht, den Kaufmann erhoben, den Krämer herunter
gesetzt und den Handwerker durch neue Privilegien begünsti-
get haben. Dieses hätten sie nach ihrer großen Einsicht ge-
wiß gethan, und ich sehe keinen Grund ein, warum nicht eben

dieje-
Mösers patr. Phantas. II. Th. U

zwiſchen dem Kaufmann und Kraͤmer.
geſchickter und faͤhiger ſeyn die Kraͤmerey mit den dahin gehoͤ-
rigen Sachen zu treiben, als eben dieſe? Warum wird nicht
dem Handwerker oder deren Frauen eine eingeſchraͤnkte Art
von Handel damit geſtattet? und was braucht man eigne Kraͤ-
mer, deren Vortheil immer gerade dem Vortheil der Hand-
werker entgegen ſteht; der ſelbſt keine Waare kennet, und bloß
nach dem Scheine urtheilet, ſelbſt betrogen wird und andre
wieder vetriegt?

Gleichwohl iſt es ein Verbrechen der beleidigten Buͤrger-
ſchaft, ſo oft ein Schneider mit Nehenadeln, oder ein Mah-
ler mit Farben handelt; oder ein Schmidt fremde eiſerne
Waare, die auf Huͤtten und großen Fabriken wohlfeiler ge-
macht werden, mit durchſetzt, oder daran eine Politur und
Verbeſſerung gewinnet? Unſre Vorfahren haben zwar den
Grundſatz gehabt, die Zweige der buͤrgerlichen Nahrung ſo
viel thunlich zu trennen, um die Zahl der buͤrgerlichen Fami-
lien zu vermehren, und zu verhindern daß nicht eine maͤchtige
Hand alles an ſich ziehen, und anſtatt den Staat mit ſeßhaf-
ten Buͤrgern zu vermehren, mit einer Menge fluͤchtiger Ge-
ſellen arbeiten moͤgte. Dieſe Grundſaͤtze waren gut, und blei-
ben allezeit richtig, wenn auch ein Reichsabſchied die unend-
liche Anzahl von Geſellen der Vermehrung buͤrgerlicher Fami-
lien vorzieht. Allein unſre Vorfahren haben es nie gearg-
wohnet, daß eine Zeit kommen wuͤrde, worinn die Kraͤmer
alle Ehre und Geld an ſich ziehen, und mit Huͤlfe von bey-
den ihre Mitbuͤrger die Handwerker verdunkeln und erſtuͤcken
wuͤrden. Bey dieſen offenbaren Verfall wuͤrden ſie nicht ih-
ren Plan geaͤndert, aber ſicher eine Wendung in ihre Poli-
cey gemacht, den Kaufmann erhoben, den Kraͤmer herunter
geſetzt und den Handwerker durch neue Privilegien beguͤnſti-
get haben. Dieſes haͤtten ſie nach ihrer großen Einſicht ge-
wiß gethan, und ich ſehe keinen Grund ein, warum nicht eben

dieje-
Möſers patr. Phantaſ. II. Th. U
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0323" n="305"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">zwi&#x017F;chen dem Kaufmann und Kra&#x0364;mer.</hi></fw><lb/>
ge&#x017F;chickter und fa&#x0364;higer &#x017F;eyn die Kra&#x0364;merey mit den dahin geho&#x0364;-<lb/>
rigen Sachen zu treiben, als eben die&#x017F;e? Warum wird nicht<lb/>
dem Handwerker oder deren Frauen eine einge&#x017F;chra&#x0364;nkte Art<lb/>
von Handel damit ge&#x017F;tattet? und was braucht man eigne Kra&#x0364;-<lb/>
mer, deren Vortheil immer gerade dem Vortheil der Hand-<lb/>
werker entgegen &#x017F;teht; der &#x017F;elb&#x017F;t keine Waare kennet, und bloß<lb/>
nach dem Scheine urtheilet, &#x017F;elb&#x017F;t betrogen wird und andre<lb/>
wieder vetriegt?</p><lb/>
        <p>Gleichwohl i&#x017F;t es ein Verbrechen der beleidigten Bu&#x0364;rger-<lb/>
&#x017F;chaft, &#x017F;o oft ein Schneider mit Nehenadeln, oder ein Mah-<lb/>
ler mit Farben handelt; oder ein Schmidt fremde ei&#x017F;erne<lb/>
Waare, die auf Hu&#x0364;tten und großen Fabriken wohlfeiler ge-<lb/>
macht werden, mit durch&#x017F;etzt, oder daran eine Politur und<lb/>
Verbe&#x017F;&#x017F;erung gewinnet? Un&#x017F;re Vorfahren haben zwar den<lb/>
Grund&#x017F;atz gehabt, die Zweige der bu&#x0364;rgerlichen Nahrung &#x017F;o<lb/>
viel thunlich zu trennen, um die Zahl der bu&#x0364;rgerlichen Fami-<lb/>
lien zu vermehren, und zu verhindern daß nicht eine ma&#x0364;chtige<lb/>
Hand alles an &#x017F;ich ziehen, und an&#x017F;tatt den Staat mit &#x017F;eßhaf-<lb/>
ten Bu&#x0364;rgern zu vermehren, mit einer Menge flu&#x0364;chtiger Ge-<lb/>
&#x017F;ellen arbeiten mo&#x0364;gte. Die&#x017F;e Grund&#x017F;a&#x0364;tze waren gut, und blei-<lb/>
ben allezeit richtig, wenn auch ein Reichsab&#x017F;chied die unend-<lb/>
liche Anzahl von Ge&#x017F;ellen der Vermehrung bu&#x0364;rgerlicher Fami-<lb/>
lien vorzieht. Allein un&#x017F;re Vorfahren haben es nie gearg-<lb/>
wohnet, daß eine Zeit kommen wu&#x0364;rde, worinn die Kra&#x0364;mer<lb/>
alle Ehre und Geld an &#x017F;ich ziehen, und mit Hu&#x0364;lfe von bey-<lb/>
den ihre Mitbu&#x0364;rger die Handwerker verdunkeln und er&#x017F;tu&#x0364;cken<lb/>
wu&#x0364;rden. Bey die&#x017F;en offenbaren Verfall wu&#x0364;rden &#x017F;ie nicht ih-<lb/>
ren Plan gea&#x0364;ndert, aber &#x017F;icher eine Wendung in ihre Poli-<lb/>
cey gemacht, den Kaufmann erhoben, den Kra&#x0364;mer herunter<lb/>
ge&#x017F;etzt und den Handwerker durch neue Privilegien begu&#x0364;n&#x017F;ti-<lb/>
get haben. Die&#x017F;es ha&#x0364;tten &#x017F;ie nach ihrer großen Ein&#x017F;icht ge-<lb/>
wiß gethan, und ich &#x017F;ehe keinen Grund ein, warum nicht eben<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">&#x017F;ers patr. Phanta&#x017F;.</hi><hi rendition="#aq">II.</hi><hi rendition="#fr">Th.</hi> U</fw><fw place="bottom" type="catch">dieje-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[305/0323] zwiſchen dem Kaufmann und Kraͤmer. geſchickter und faͤhiger ſeyn die Kraͤmerey mit den dahin gehoͤ- rigen Sachen zu treiben, als eben dieſe? Warum wird nicht dem Handwerker oder deren Frauen eine eingeſchraͤnkte Art von Handel damit geſtattet? und was braucht man eigne Kraͤ- mer, deren Vortheil immer gerade dem Vortheil der Hand- werker entgegen ſteht; der ſelbſt keine Waare kennet, und bloß nach dem Scheine urtheilet, ſelbſt betrogen wird und andre wieder vetriegt? Gleichwohl iſt es ein Verbrechen der beleidigten Buͤrger- ſchaft, ſo oft ein Schneider mit Nehenadeln, oder ein Mah- ler mit Farben handelt; oder ein Schmidt fremde eiſerne Waare, die auf Huͤtten und großen Fabriken wohlfeiler ge- macht werden, mit durchſetzt, oder daran eine Politur und Verbeſſerung gewinnet? Unſre Vorfahren haben zwar den Grundſatz gehabt, die Zweige der buͤrgerlichen Nahrung ſo viel thunlich zu trennen, um die Zahl der buͤrgerlichen Fami- lien zu vermehren, und zu verhindern daß nicht eine maͤchtige Hand alles an ſich ziehen, und anſtatt den Staat mit ſeßhaf- ten Buͤrgern zu vermehren, mit einer Menge fluͤchtiger Ge- ſellen arbeiten moͤgte. Dieſe Grundſaͤtze waren gut, und blei- ben allezeit richtig, wenn auch ein Reichsabſchied die unend- liche Anzahl von Geſellen der Vermehrung buͤrgerlicher Fami- lien vorzieht. Allein unſre Vorfahren haben es nie gearg- wohnet, daß eine Zeit kommen wuͤrde, worinn die Kraͤmer alle Ehre und Geld an ſich ziehen, und mit Huͤlfe von bey- den ihre Mitbuͤrger die Handwerker verdunkeln und erſtuͤcken wuͤrden. Bey dieſen offenbaren Verfall wuͤrden ſie nicht ih- ren Plan geaͤndert, aber ſicher eine Wendung in ihre Poli- cey gemacht, den Kaufmann erhoben, den Kraͤmer herunter geſetzt und den Handwerker durch neue Privilegien beguͤnſti- get haben. Dieſes haͤtten ſie nach ihrer großen Einſicht ge- wiß gethan, und ich ſehe keinen Grund ein, warum nicht eben dieje- Möſers patr. Phantaſ. II. Th. U

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/323
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/323>, abgerufen am 24.11.2024.