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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Von dem Einflusse der Bevölkerung
messen ist. Ganz anders verhält es sich mit der gemeinen
Handarbeit, denn von Kunstarbeiten ist die Rede nicht, und
denjenigen so davon leben sollen. Hier ist weit mehr An-
strengung nöthig, die Arbeit belohnt sich nicht so wie jene, es
wächst dem Handarbeiter nichts zu, und einer muß die Mi-
nuten beym Spinnrade in Acht nehmen, der sich davon erhal-
ten will. Zu einem so geitzigen Fleiße sind nicht alle Men-
schen gebohren, auch der Beste läßt wohl einmal die Hände
sinken, wenn er beständig einem Sclaven gleich arbeiten soll;
und der Böse legt sich aufs rauben oder stehlen. Um die
Masse von solchen Handarbeitern in ihrem strengen Lause zum
Ziele zu erhalten, muß der Gesetzgeber gleichsam beständig mit
dem Prügel darüber stehen, er muß die Bettler unter ihnen
durch Werkhäuser abschrecken, er muß die Almosen verbieten,
er muß die Masse dieses Volks zu einem ganz andrem Preise
schätzen, wie er vorher seine Landeigenthümer schätzte, er
muß nicht zehn Schuldige laufen lassen um einen Unschuldi-
gen zu retten, wie bey einer mindern Bevölkerung billig Rech-
tens ist, und großen Endzwecken große Opfer bringen.

Gesetzt, die größte Bevölkerung durch Handarbeiter könne
nicht erhalten werden, ohne von hundert tausend funfzig tau-
send aufzuopfern; so ist doch das Land was dieses Opfer bringt,
und seinen Endzweck bey funfzig tausend fleißigen Handarbei-
tern erhält, größer und glücklicher als ein Land, worinn man
aus Furcht für Diebe und Bettler die Heuerleute gar nicht
duldet. Die Engländer opferten in vorigem Kriege 135000
Matrosen und Schiffsoldaten auf, wovon etwa 1700 im Tref-
sen oder an ihren Wunden fielen, die übrige Menge aber ein
Raub der Schiffskrankheiten wurde. Vermuthlich könnte
man den Land Armeen eine gleiche Rechnung machen. Was
würde man aber sagen, wenn man um einen Menschen ge-

sund

Von dem Einfluſſe der Bevoͤlkerung
meſſen iſt. Ganz anders verhaͤlt es ſich mit der gemeinen
Handarbeit, denn von Kunſtarbeiten iſt die Rede nicht, und
denjenigen ſo davon leben ſollen. Hier iſt weit mehr An-
ſtrengung noͤthig, die Arbeit belohnt ſich nicht ſo wie jene, es
waͤchſt dem Handarbeiter nichts zu, und einer muß die Mi-
nuten beym Spinnrade in Acht nehmen, der ſich davon erhal-
ten will. Zu einem ſo geitzigen Fleiße ſind nicht alle Men-
ſchen gebohren, auch der Beſte laͤßt wohl einmal die Haͤnde
ſinken, wenn er beſtaͤndig einem Sclaven gleich arbeiten ſoll;
und der Boͤſe legt ſich aufs rauben oder ſtehlen. Um die
Maſſe von ſolchen Handarbeitern in ihrem ſtrengen Lauſe zum
Ziele zu erhalten, muß der Geſetzgeber gleichſam beſtaͤndig mit
dem Pruͤgel daruͤber ſtehen, er muß die Bettler unter ihnen
durch Werkhaͤuſer abſchrecken, er muß die Almoſen verbieten,
er muß die Maſſe dieſes Volks zu einem ganz andrem Preiſe
ſchaͤtzen, wie er vorher ſeine Landeigenthuͤmer ſchaͤtzte, er
muß nicht zehn Schuldige laufen laſſen um einen Unſchuldi-
gen zu retten, wie bey einer mindern Bevoͤlkerung billig Rech-
tens iſt, und großen Endzwecken große Opfer bringen.

Geſetzt, die groͤßte Bevoͤlkerung durch Handarbeiter koͤnne
nicht erhalten werden, ohne von hundert tauſend funfzig tau-
ſend aufzuopfern; ſo iſt doch das Land was dieſes Opfer bringt,
und ſeinen Endzweck bey funfzig tauſend fleißigen Handarbei-
tern erhaͤlt, groͤßer und gluͤcklicher als ein Land, worinn man
aus Furcht fuͤr Diebe und Bettler die Heuerleute gar nicht
duldet. Die Englaͤnder opferten in vorigem Kriege 135000
Matroſen und Schiffſoldaten auf, wovon etwa 1700 im Tref-
ſen oder an ihren Wunden fielen, die uͤbrige Menge aber ein
Raub der Schiffskrankheiten wurde. Vermuthlich koͤnnte
man den Land Armeen eine gleiche Rechnung machen. Was
wuͤrde man aber ſagen, wenn man um einen Menſchen ge-

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[10/0028] Von dem Einfluſſe der Bevoͤlkerung meſſen iſt. Ganz anders verhaͤlt es ſich mit der gemeinen Handarbeit, denn von Kunſtarbeiten iſt die Rede nicht, und denjenigen ſo davon leben ſollen. Hier iſt weit mehr An- ſtrengung noͤthig, die Arbeit belohnt ſich nicht ſo wie jene, es waͤchſt dem Handarbeiter nichts zu, und einer muß die Mi- nuten beym Spinnrade in Acht nehmen, der ſich davon erhal- ten will. Zu einem ſo geitzigen Fleiße ſind nicht alle Men- ſchen gebohren, auch der Beſte laͤßt wohl einmal die Haͤnde ſinken, wenn er beſtaͤndig einem Sclaven gleich arbeiten ſoll; und der Boͤſe legt ſich aufs rauben oder ſtehlen. Um die Maſſe von ſolchen Handarbeitern in ihrem ſtrengen Lauſe zum Ziele zu erhalten, muß der Geſetzgeber gleichſam beſtaͤndig mit dem Pruͤgel daruͤber ſtehen, er muß die Bettler unter ihnen durch Werkhaͤuſer abſchrecken, er muß die Almoſen verbieten, er muß die Maſſe dieſes Volks zu einem ganz andrem Preiſe ſchaͤtzen, wie er vorher ſeine Landeigenthuͤmer ſchaͤtzte, er muß nicht zehn Schuldige laufen laſſen um einen Unſchuldi- gen zu retten, wie bey einer mindern Bevoͤlkerung billig Rech- tens iſt, und großen Endzwecken große Opfer bringen. Geſetzt, die groͤßte Bevoͤlkerung durch Handarbeiter koͤnne nicht erhalten werden, ohne von hundert tauſend funfzig tau- ſend aufzuopfern; ſo iſt doch das Land was dieſes Opfer bringt, und ſeinen Endzweck bey funfzig tauſend fleißigen Handarbei- tern erhaͤlt, groͤßer und gluͤcklicher als ein Land, worinn man aus Furcht fuͤr Diebe und Bettler die Heuerleute gar nicht duldet. Die Englaͤnder opferten in vorigem Kriege 135000 Matroſen und Schiffſoldaten auf, wovon etwa 1700 im Tref- ſen oder an ihren Wunden fielen, die uͤbrige Menge aber ein Raub der Schiffskrankheiten wurde. Vermuthlich koͤnnte man den Land Armeen eine gleiche Rechnung machen. Was wuͤrde man aber ſagen, wenn man um einen Menſchen ge- ſund

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/28>, abgerufen am 21.11.2024.