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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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durch Nebenwohner, auf die Gesetzgebung.
keinen Anspruch. Wenn in großen Städten ein Bettler auf
der Gasse; gefunden wird: so schickt man ihn ohne Untersu-
chung, ob er durch ein großes oder kleines Unglück hiezu ge-
bracht worden, ins Werkhaus; und man hat im Kriege einen
weit kürzern Proceß wie im Frieden; ja die Noth steigt oft
so hoch, daß man das Recht über Leben und Tod zu erkennen,
und das Erkänntniß auf der Stelle zu vollstrecken, dem Ge-
neralgewaltiger überläßt. So richtig die Grundsätze sind,
worauf ein solches Verfahren gebauet ist, eben so richtig sind
auch bey zunehmender Bevölkerung durch Heuerleute, die
Grundsätze jener Anstalt, und der Heuermann hat sich so we-
nig als der Soldat zu beklagen, der sich zum Gehorsam gegen
vorher bekannte Gesetze verpflichtet hat.

Die alten Deutschen behandelten jeden Fremden als einen
Knecht; und wenn die neuern dieses Verfahren barbarisch nen-
nen: so verrathen sie nur ihre Unwissenheit. Ein Knecht ist
derjenige, welcher so wenig an der Gesetzgebenden Macht, als
der Steuerbewilligung Antheil hat, und nicht fordern kann,
daß man ihn durch seines Gleichen verurtheilen lassen solle.
Nach diesem Begriffe sind noch jetzt alle Fremde Knechte; sie
müssen das Recht erkennen was im Lande ist, ohne es mit be-
williget zu haben; sie müssen die Abgaben entrichten, welche
allen Fremden, ohne ihre Zustimmung aufgelegt sind; und
man verurtheilet sie durch gesetzte Richter, und erlaubt ihnen
nicht sich auf das Urtheil ihrer auswärtigen Rechtsgenossen zu
berufen. Ganz anders verhält es sich mit den Hofgesessenen
im Staat; diese haben entweder noch jetzt den Genuß obiger
alten Rechte, oder ihre natürliche und Verfassungsmäßige
Vertretung, und obgleich die Folgen hievon nicht mehr so wich-
tig sind, wie bey den alten Deutschen: so leuchtet doch der
Grund daraus deutlich hervor, daß man Hofgesessenen und

Heuer-
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durch Nebenwohner, auf die Geſetzgebung.
keinen Anſpruch. Wenn in großen Staͤdten ein Bettler auf
der Gaſſe; gefunden wird: ſo ſchickt man ihn ohne Unterſu-
chung, ob er durch ein großes oder kleines Ungluͤck hiezu ge-
bracht worden, ins Werkhaus; und man hat im Kriege einen
weit kuͤrzern Proceß wie im Frieden; ja die Noth ſteigt oft
ſo hoch, daß man das Recht uͤber Leben und Tod zu erkennen,
und das Erkaͤnntniß auf der Stelle zu vollſtrecken, dem Ge-
neralgewaltiger uͤberlaͤßt. So richtig die Grundſaͤtze ſind,
worauf ein ſolches Verfahren gebauet iſt, eben ſo richtig ſind
auch bey zunehmender Bevoͤlkerung durch Heuerleute, die
Grundſaͤtze jener Anſtalt, und der Heuermann hat ſich ſo we-
nig als der Soldat zu beklagen, der ſich zum Gehorſam gegen
vorher bekannte Geſetze verpflichtet hat.

Die alten Deutſchen behandelten jeden Fremden als einen
Knecht; und wenn die neuern dieſes Verfahren barbariſch nen-
nen: ſo verrathen ſie nur ihre Unwiſſenheit. Ein Knecht iſt
derjenige, welcher ſo wenig an der Geſetzgebenden Macht, als
der Steuerbewilligung Antheil hat, und nicht fordern kann,
daß man ihn durch ſeines Gleichen verurtheilen laſſen ſolle.
Nach dieſem Begriffe ſind noch jetzt alle Fremde Knechte; ſie
muͤſſen das Recht erkennen was im Lande iſt, ohne es mit be-
williget zu haben; ſie muͤſſen die Abgaben entrichten, welche
allen Fremden, ohne ihre Zuſtimmung aufgelegt ſind; und
man verurtheilet ſie durch geſetzte Richter, und erlaubt ihnen
nicht ſich auf das Urtheil ihrer auswaͤrtigen Rechtsgenoſſen zu
berufen. Ganz anders verhaͤlt es ſich mit den Hofgeſeſſenen
im Staat; dieſe haben entweder noch jetzt den Genuß obiger
alten Rechte, oder ihre natuͤrliche und Verfaſſungsmaͤßige
Vertretung, und obgleich die Folgen hievon nicht mehr ſo wich-
tig ſind, wie bey den alten Deutſchen: ſo leuchtet doch der
Grund daraus deutlich hervor, daß man Hofgeſeſſenen und

Heuer-
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[7/0025] durch Nebenwohner, auf die Geſetzgebung. keinen Anſpruch. Wenn in großen Staͤdten ein Bettler auf der Gaſſe; gefunden wird: ſo ſchickt man ihn ohne Unterſu- chung, ob er durch ein großes oder kleines Ungluͤck hiezu ge- bracht worden, ins Werkhaus; und man hat im Kriege einen weit kuͤrzern Proceß wie im Frieden; ja die Noth ſteigt oft ſo hoch, daß man das Recht uͤber Leben und Tod zu erkennen, und das Erkaͤnntniß auf der Stelle zu vollſtrecken, dem Ge- neralgewaltiger uͤberlaͤßt. So richtig die Grundſaͤtze ſind, worauf ein ſolches Verfahren gebauet iſt, eben ſo richtig ſind auch bey zunehmender Bevoͤlkerung durch Heuerleute, die Grundſaͤtze jener Anſtalt, und der Heuermann hat ſich ſo we- nig als der Soldat zu beklagen, der ſich zum Gehorſam gegen vorher bekannte Geſetze verpflichtet hat. Die alten Deutſchen behandelten jeden Fremden als einen Knecht; und wenn die neuern dieſes Verfahren barbariſch nen- nen: ſo verrathen ſie nur ihre Unwiſſenheit. Ein Knecht iſt derjenige, welcher ſo wenig an der Geſetzgebenden Macht, als der Steuerbewilligung Antheil hat, und nicht fordern kann, daß man ihn durch ſeines Gleichen verurtheilen laſſen ſolle. Nach dieſem Begriffe ſind noch jetzt alle Fremde Knechte; ſie muͤſſen das Recht erkennen was im Lande iſt, ohne es mit be- williget zu haben; ſie muͤſſen die Abgaben entrichten, welche allen Fremden, ohne ihre Zuſtimmung aufgelegt ſind; und man verurtheilet ſie durch geſetzte Richter, und erlaubt ihnen nicht ſich auf das Urtheil ihrer auswaͤrtigen Rechtsgenoſſen zu berufen. Ganz anders verhaͤlt es ſich mit den Hofgeſeſſenen im Staat; dieſe haben entweder noch jetzt den Genuß obiger alten Rechte, oder ihre natuͤrliche und Verfaſſungsmaͤßige Vertretung, und obgleich die Folgen hievon nicht mehr ſo wich- tig ſind, wie bey den alten Deutſchen: ſo leuchtet doch der Grund daraus deutlich hervor, daß man Hofgeſeſſenen und Heuer- A 4

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/25>, abgerufen am 21.11.2024.