Und ist der Gutsherr nicht berechtiget, seinen wöchentlichen Spanndienst zu fordern? Allerdings. Die Sache selbst redet so klar, daß man sich wundern muß, warum der Gesetzgeber nicht hier im Stifte, so wie in benachbarten Ländern würklich geschehen, den Bauer mit seinem ganzen Hofgewehr eisern gemacht habe.
Doch jetzt fällt mir ein einziger kleiner Zweifel ein. Wie soll es der Leibeigne machen, wenn er sein Hofgewehr durch Feuer, Krieg, Seuchen oder andre Unglücksfälle verlieret, aber kein baar Geld hat? Woher nimmt alsdann der Guts- herr den Spanndienst und die gemeine Noth ihre Kriegsfuhr? Wird er hier nicht borgen müssen? Und wenn er dieses thun muß: hat er es denn nicht auch vorher in gleichen Fällen thun können? Freylich, wird man sagen; allein diese Fälle sind nicht vorhanden gewesen. O! wenn der Proceß nur erst so weit kömmt, daß es auf den Beweis der Unglücksfälle an- kömmt: so gehts dem Gutsherrn mit seinem Leibeignen wie der Schönen mit ihrem Anbeter. So bald sie anfangen zu philosophiren, sind beyde halb verlohren.
Nun so mag der Leibeigne dann so viel borgen als die höchste Noth immer erfordert; braucht doch der Gutsherr um des- willen nicht zuzugeben, daß Pferde und Kühe für den Gläu- biger vom Hofe gepfändet werden? .... Nein. Aber die Frage ist vorerst noch, wie Kühe und Pferde herauf kommen, wenn sie durch Unglück abfallen? Ob ein Gläubiger im ganzen Lande sey, der dem Leibeignen eine Klaue leihen werde, wenn sie eisern wird, so bald sie auf den Hof kommt? oder ob ihm jemand Geld zu einem Pferde leihen werde, ohne ihm dieses und was er sonst hat, wenn er nicht bezahlt, pfänden zu dürfen?
Hier
Vom Glaͤubiger
Und iſt der Gutsherr nicht berechtiget, ſeinen woͤchentlichen Spanndienſt zu fordern? Allerdings. Die Sache ſelbſt redet ſo klar, daß man ſich wundern muß, warum der Geſetzgeber nicht hier im Stifte, ſo wie in benachbarten Laͤndern wuͤrklich geſchehen, den Bauer mit ſeinem ganzen Hofgewehr eiſern gemacht habe.
Doch jetzt faͤllt mir ein einziger kleiner Zweifel ein. Wie ſoll es der Leibeigne machen, wenn er ſein Hofgewehr durch Feuer, Krieg, Seuchen oder andre Ungluͤcksfaͤlle verlieret, aber kein baar Geld hat? Woher nimmt alsdann der Guts- herr den Spanndienſt und die gemeine Noth ihre Kriegsfuhr? Wird er hier nicht borgen muͤſſen? Und wenn er dieſes thun muß: hat er es denn nicht auch vorher in gleichen Faͤllen thun koͤnnen? Freylich, wird man ſagen; allein dieſe Faͤlle ſind nicht vorhanden geweſen. O! wenn der Proceß nur erſt ſo weit koͤmmt, daß es auf den Beweis der Ungluͤcksfaͤlle an- koͤmmt: ſo gehts dem Gutsherrn mit ſeinem Leibeignen wie der Schoͤnen mit ihrem Anbeter. So bald ſie anfangen zu philoſophiren, ſind beyde halb verlohren.
Nun ſo mag der Leibeigne dann ſo viel borgen als die hoͤchſte Noth immer erfordert; braucht doch der Gutsherr um des- willen nicht zuzugeben, daß Pferde und Kuͤhe fuͤr den Glaͤu- biger vom Hofe gepfaͤndet werden? .... Nein. Aber die Frage iſt vorerſt noch, wie Kuͤhe und Pferde herauf kommen, wenn ſie durch Ungluͤck abfallen? Ob ein Glaͤubiger im ganzen Lande ſey, der dem Leibeignen eine Klaue leihen werde, wenn ſie eiſern wird, ſo bald ſie auf den Hof kommt? oder ob ihm jemand Geld zu einem Pferde leihen werde, ohne ihm dieſes und was er ſonſt hat, wenn er nicht bezahlt, pfaͤnden zu duͤrfen?
Hier
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Vom Glaͤubiger
Und iſt der Gutsherr nicht berechtiget, ſeinen woͤchentlichen
Spanndienſt zu fordern? Allerdings. Die Sache ſelbſt redet
ſo klar, daß man ſich wundern muß, warum der Geſetzgeber
nicht hier im Stifte, ſo wie in benachbarten Laͤndern wuͤrklich
geſchehen, den Bauer mit ſeinem ganzen Hofgewehr eiſern
gemacht habe.
Doch jetzt faͤllt mir ein einziger kleiner Zweifel ein. Wie
ſoll es der Leibeigne machen, wenn er ſein Hofgewehr durch
Feuer, Krieg, Seuchen oder andre Ungluͤcksfaͤlle verlieret,
aber kein baar Geld hat? Woher nimmt alsdann der Guts-
herr den Spanndienſt und die gemeine Noth ihre Kriegsfuhr?
Wird er hier nicht borgen muͤſſen? Und wenn er dieſes thun
muß: hat er es denn nicht auch vorher in gleichen Faͤllen thun
koͤnnen? Freylich, wird man ſagen; allein dieſe Faͤlle ſind
nicht vorhanden geweſen. O! wenn der Proceß nur erſt ſo
weit koͤmmt, daß es auf den Beweis der Ungluͤcksfaͤlle an-
koͤmmt: ſo gehts dem Gutsherrn mit ſeinem Leibeignen wie
der Schoͤnen mit ihrem Anbeter. So bald ſie anfangen zu
philoſophiren, ſind beyde halb verlohren.
Nun ſo mag der Leibeigne dann ſo viel borgen als die hoͤchſte
Noth immer erfordert; braucht doch der Gutsherr um des-
willen nicht zuzugeben, daß Pferde und Kuͤhe fuͤr den Glaͤu-
biger vom Hofe gepfaͤndet werden? .... Nein. Aber die
Frage iſt vorerſt noch, wie Kuͤhe und Pferde herauf kommen,
wenn ſie durch Ungluͤck abfallen? Ob ein Glaͤubiger im ganzen
Lande ſey, der dem Leibeignen eine Klaue leihen werde, wenn
ſie eiſern wird, ſo bald ſie auf den Hof kommt? oder ob ihm
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/230>, abgerufen am 24.11.2024.
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