schwärmte räuberisch zur See, aber auch aus eben dem Grunde, woraus andere zu Lande schwärmten, weil man nemlich ihnen keine Nebenwohnungen im Lande verstatten, und höchstens eine Hütte auf der Küste erlauben mogte.
Alle diese großen Vortheile für Tugend, Sitten und Po- licey verlieren sich, so bald eine starke Bevölkerung durch Städte, Dörfer oder Heuerleute verstattet wird. Derglei- chen kleine Beywohner haben keine genugsame Holzungen, keinen hinreichenden Acker, und gerathen leicht in die Noth oder in die Versuchung dasjenige was ihnen sehlt, zu steh- len oder zu erbetteln. Die Gastfreyheit kan gegen die Men- ge so vieler kleinen und unsichern Leute nicht so reichlich mehr ausgeübet werden, als gegen die wenigen hofgesessenen Nachbarn; man kan ihnen auf ihren Hochzeiten, Kindtaufen und Leichen nicht so nachbarlich zu Hülfe kommen; man kan nicht verlangen, daß sie ihre Kinder so fleißig und recht- sich erziehen sollen, als die alten Hofgesessenen; was män ihnen in Nothfällen giebt, hat man in gleichen Begeben- heiten von ihnen nicht wieder zu erwarten: und Geiz, Miß- trauen, Furcht schleichen sich in die besten Herzen ein, die sich gegen eine Menge von ungleichen Leuten nicht mehr so öfnen können, als gegen edle Nachbarn, welche der Hülfe nie mißbrauchen, und allezeit im Stande sind, das em- pfangene durch Gegendienste zu vergüten. Die ganze Ge- setzgebung verändert sich; es ist nun nicht mehr das würdige Capittel, das aus ebenbürtigen Mitgliedern besteht, das durch den Verlust seiner Präbende in den Schranken der Ord- nung gehalten werden kan, und eine Verweisung aus der Versammlung für die empfindlichste Strafe hält. Die Na- tion ist nun mit Flüchtlingen vermischt, die sich aus einer Landesverweisung nichts machen, die durch Galgen und Rad
gebän-
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durch Nebenwohner, auf die Geſetzgebung.
ſchwaͤrmte raͤuberiſch zur See, aber auch aus eben dem Grunde, woraus andere zu Lande ſchwaͤrmten, weil man nemlich ihnen keine Nebenwohnungen im Lande verſtatten, und hoͤchſtens eine Huͤtte auf der Kuͤſte erlauben mogte.
Alle dieſe großen Vortheile fuͤr Tugend, Sitten und Po- licey verlieren ſich, ſo bald eine ſtarke Bevoͤlkerung durch Staͤdte, Doͤrfer oder Heuerleute verſtattet wird. Derglei- chen kleine Beywohner haben keine genugſame Holzungen, keinen hinreichenden Acker, und gerathen leicht in die Noth oder in die Verſuchung dasjenige was ihnen ſehlt, zu ſteh- len oder zu erbetteln. Die Gaſtfreyheit kan gegen die Men- ge ſo vieler kleinen und unſichern Leute nicht ſo reichlich mehr ausgeuͤbet werden, als gegen die wenigen hofgeſeſſenen Nachbarn; man kan ihnen auf ihren Hochzeiten, Kindtaufen und Leichen nicht ſo nachbarlich zu Huͤlfe kommen; man kan nicht verlangen, daß ſie ihre Kinder ſo fleißig und recht- ſich erziehen ſollen, als die alten Hofgeſeſſenen; was maͤn ihnen in Nothfaͤllen giebt, hat man in gleichen Begeben- heiten von ihnen nicht wieder zu erwarten: und Geiz, Miß- trauen, Furcht ſchleichen ſich in die beſten Herzen ein, die ſich gegen eine Menge von ungleichen Leuten nicht mehr ſo oͤfnen koͤnnen, als gegen edle Nachbarn, welche der Huͤlfe nie mißbrauchen, und allezeit im Stande ſind, das em- pfangene durch Gegendienſte zu verguͤten. Die ganze Ge- ſetzgebung veraͤndert ſich; es iſt nun nicht mehr das wuͤrdige Capittel, das aus ebenbuͤrtigen Mitgliedern beſteht, das durch den Verluſt ſeiner Praͤbende in den Schranken der Ord- nung gehalten werden kan, und eine Verweiſung aus der Verſammlung fuͤr die empfindlichſte Strafe haͤlt. Die Na- tion iſt nun mit Fluͤchtlingen vermiſcht, die ſich aus einer Landesverweiſung nichts machen, die durch Galgen und Rad
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[3/0021]
durch Nebenwohner, auf die Geſetzgebung.
ſchwaͤrmte raͤuberiſch zur See, aber auch aus eben dem
Grunde, woraus andere zu Lande ſchwaͤrmten, weil man
nemlich ihnen keine Nebenwohnungen im Lande verſtatten,
und hoͤchſtens eine Huͤtte auf der Kuͤſte erlauben mogte.
Alle dieſe großen Vortheile fuͤr Tugend, Sitten und Po-
licey verlieren ſich, ſo bald eine ſtarke Bevoͤlkerung durch
Staͤdte, Doͤrfer oder Heuerleute verſtattet wird. Derglei-
chen kleine Beywohner haben keine genugſame Holzungen,
keinen hinreichenden Acker, und gerathen leicht in die Noth
oder in die Verſuchung dasjenige was ihnen ſehlt, zu ſteh-
len oder zu erbetteln. Die Gaſtfreyheit kan gegen die Men-
ge ſo vieler kleinen und unſichern Leute nicht ſo reichlich mehr
ausgeuͤbet werden, als gegen die wenigen hofgeſeſſenen
Nachbarn; man kan ihnen auf ihren Hochzeiten, Kindtaufen
und Leichen nicht ſo nachbarlich zu Huͤlfe kommen; man
kan nicht verlangen, daß ſie ihre Kinder ſo fleißig und recht-
ſich erziehen ſollen, als die alten Hofgeſeſſenen; was maͤn
ihnen in Nothfaͤllen giebt, hat man in gleichen Begeben-
heiten von ihnen nicht wieder zu erwarten: und Geiz, Miß-
trauen, Furcht ſchleichen ſich in die beſten Herzen ein, die
ſich gegen eine Menge von ungleichen Leuten nicht mehr ſo
oͤfnen koͤnnen, als gegen edle Nachbarn, welche der Huͤlfe
nie mißbrauchen, und allezeit im Stande ſind, das em-
pfangene durch Gegendienſte zu verguͤten. Die ganze Ge-
ſetzgebung veraͤndert ſich; es iſt nun nicht mehr das wuͤrdige
Capittel, das aus ebenbuͤrtigen Mitgliedern beſteht, das
durch den Verluſt ſeiner Praͤbende in den Schranken der Ord-
nung gehalten werden kan, und eine Verweiſung aus der
Verſammlung fuͤr die empfindlichſte Strafe haͤlt. Die Na-
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/21>, abgerufen am 18.12.2024.
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