Die Einziehung der Erbschaft von allen solchen Leuten, welche sich in keine Classe der Unterthanen begeben hatten, beruhete in der höchsten Billigkeit. Denn erstlich hatte man damals fast keine Geldsteuren, sondern jede Classe im Staat hatte ihre angenommene oder angewiesene Verpflich- tung. Wer sich also nicht in die eine oder die andre einschrei- ben ließ, der entzog sich den öffentlichen Lasten. Zweytens hatte man keine Territorialgesetze, oder Verordnungen für Menschen, sondern die Gesetze und Verordnungen bezogen sich alle auf Classen[;] eben wie jetzt die Kriegsartikel keine Territorialgesetze sind, sondern nur diejenigen, so zum Krie- gesstaat gehören, verbinden. Ein Biesterfreyer entzog sich also auch den Gesetzen. Er hatte folglich drittens auch kein Recht, keinen Richter, keinen Advocaten nach damaliger Art, und keine Zeugen. Denn dies waren derozeit bürgerliche Wohlthaten, welche einem jeden, umsonst angediehen; und Richter, Advocaten und Zeugen waren immindesten nicht verpflichtet, solchen unholden, ungetreuen und ungewärtigen Leuten ihre Dienste zu weihen. Er war viertens ohne Ehre, weil alle Ehre nothwendig ganz allein für die Classe war; und überall mit der Last, welche einer für das gemeine Beste übernimmt, verknüpft ist. Er konnte wenn er starb, so we- nig auf den Kirchhof kommen, als verläutet und begleitet werden. Denn der Kirchhof und die Glocke gehörte einzig und allein den Genossen; und die Leichenbegleitung ist überall die Folgen einer Vereinigung. Der Biesterfreye hatte sich aber darinn nicht begeben. Da fünftens das römische und canonische Recht noch nicht das Recht aller derjenigen war, die gar keines hatten: so würde es hundert Schwierig- keiten gesetzt haben, ihnen zu Rechte zu helfen. Denn man wuste nicht, ob sie in Gemeinschaft der Güter lebten, ob der älteste oder jüngste erbte, ob die Witwe ein Witthum hatte etc. etc. etc.
Die
der ſogenandten Hyen, Echten oder Hoden.
Die Einziehung der Erbſchaft von allen ſolchen Leuten, welche ſich in keine Claſſe der Unterthanen begeben hatten, beruhete in der hoͤchſten Billigkeit. Denn erſtlich hatte man damals faſt keine Geldſteuren, ſondern jede Claſſe im Staat hatte ihre angenommene oder angewieſene Verpflich- tung. Wer ſich alſo nicht in die eine oder die andre einſchrei- ben ließ, der entzog ſich den oͤffentlichen Laſten. Zweytens hatte man keine Territorialgeſetze, oder Verordnungen fuͤr Menſchen, ſondern die Geſetze und Verordnungen bezogen ſich alle auf Claſſen[;] eben wie jetzt die Kriegsartikel keine Territorialgeſetze ſind, ſondern nur diejenigen, ſo zum Krie- gesſtaat gehoͤren, verbinden. Ein Bieſterfreyer entzog ſich alſo auch den Geſetzen. Er hatte folglich drittens auch kein Recht, keinen Richter, keinen Advocaten nach damaliger Art, und keine Zeugen. Denn dies waren derozeit buͤrgerliche Wohlthaten, welche einem jeden, umſonſt angediehen; und Richter, Advocaten und Zeugen waren immindeſten nicht verpflichtet, ſolchen unholden, ungetreuen und ungewaͤrtigen Leuten ihre Dienſte zu weihen. Er war viertens ohne Ehre, weil alle Ehre nothwendig ganz allein fuͤr die Claſſe war; und uͤberall mit der Laſt, welche einer fuͤr das gemeine Beſte uͤbernimmt, verknuͤpft iſt. Er konnte wenn er ſtarb, ſo we- nig auf den Kirchhof kommen, als verlaͤutet und begleitet werden. Denn der Kirchhof und die Glocke gehoͤrte einzig und allein den Genoſſen; und die Leichenbegleitung iſt uͤberall die Folgen einer Vereinigung. Der Bieſterfreye hatte ſich aber darinn nicht begeben. Da fünftens das roͤmiſche und canoniſche Recht noch nicht das Recht aller derjenigen war, die gar keines hatten: ſo wuͤrde es hundert Schwierig- keiten geſetzt haben, ihnen zu Rechte zu helfen. Denn man wuſte nicht, ob ſie in Gemeinſchaft der Guͤter lebten, ob der aͤlteſte oder juͤngſte erbte, ob die Witwe ein Witthum hatte ꝛc. ꝛc. ꝛc.
Die
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[291[191]/0209]
der ſogenandten Hyen, Echten oder Hoden.
Die Einziehung der Erbſchaft von allen ſolchen Leuten,
welche ſich in keine Claſſe der Unterthanen begeben hatten,
beruhete in der hoͤchſten Billigkeit. Denn erſtlich hatte man
damals faſt keine Geldſteuren, ſondern jede Claſſe im
Staat hatte ihre angenommene oder angewieſene Verpflich-
tung. Wer ſich alſo nicht in die eine oder die andre einſchrei-
ben ließ, der entzog ſich den oͤffentlichen Laſten. Zweytens
hatte man keine Territorialgeſetze, oder Verordnungen fuͤr
Menſchen, ſondern die Geſetze und Verordnungen bezogen
ſich alle auf Claſſen; eben wie jetzt die Kriegsartikel keine
Territorialgeſetze ſind, ſondern nur diejenigen, ſo zum Krie-
gesſtaat gehoͤren, verbinden. Ein Bieſterfreyer entzog ſich
alſo auch den Geſetzen. Er hatte folglich drittens auch kein
Recht, keinen Richter, keinen Advocaten nach damaliger Art,
und keine Zeugen. Denn dies waren derozeit buͤrgerliche
Wohlthaten, welche einem jeden, umſonſt angediehen; und
Richter, Advocaten und Zeugen waren immindeſten nicht
verpflichtet, ſolchen unholden, ungetreuen und ungewaͤrtigen
Leuten ihre Dienſte zu weihen. Er war viertens ohne Ehre,
weil alle Ehre nothwendig ganz allein fuͤr die Claſſe war;
und uͤberall mit der Laſt, welche einer fuͤr das gemeine Beſte
uͤbernimmt, verknuͤpft iſt. Er konnte wenn er ſtarb, ſo we-
nig auf den Kirchhof kommen, als verlaͤutet und begleitet
werden. Denn der Kirchhof und die Glocke gehoͤrte einzig
und allein den Genoſſen; und die Leichenbegleitung iſt uͤberall
die Folgen einer Vereinigung. Der Bieſterfreye hatte
ſich aber darinn nicht begeben. Da fünftens das roͤmiſche
und canoniſche Recht noch nicht das Recht aller derjenigen
war, die gar keines hatten: ſo wuͤrde es hundert Schwierig-
keiten geſetzt haben, ihnen zu Rechte zu helfen. Denn man
wuſte nicht, ob ſie in Gemeinſchaft der Guͤter lebten, ob der
aͤlteſte oder juͤngſte erbte, ob die Witwe ein Witthum hatte ꝛc. ꝛc. ꝛc.
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 291[191]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/209>, abgerufen am 28.11.2024.
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