Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

der sogenandten Hyen, Echten oder Hoden.
dem besten Kleide gelöset werden konnte; a) Ihre Cammer-
jungfer aber, welche aus dem Dorfe Gütersloh, worin noch
jetzt die Luft eigen macht, zu Hause war, verheyrathete sich
in unser Stift und setzte sich auf ein ofnes Dorf, worin ihr
Mann ein freyes Haus gekaufet hatte. Kaum hatte sie ein
Jahr in vergnügter Ehe gelebt: so entriß ihr der Tod den
besten Mann; und zur Vermehrung ihres Schmerzens ka-
men die Beamte, um ihr alles was er verlassen hatte, zu
nehmen. Voll Schrecken zeigte sie ihr einziges Kind, den
Erben ihres Mannes, und bat mit Thränen, wo nicht ihr,
doch diesem Unmündigen das väterliche Erbtheil zu lassen.
Allein ihr Flehen war vergebens. Die Beamte, so sehr sie
auch selbst über diesen Vorfall bewegt waren, antworteten
nach Landesrecht: Ihr Mann sey Biesterfrey b) verstorben
und seine Nachlassenschaft daher der Landesherrschaft verfallen.
Seine Schuldigkeit sey gewesen, sich sofort, als er sich dahier
niedergelassen, in eine Hode einschreiben c) zu lassen; und
da er dieses versäumet, und darüber weggestorben: so wäre
nichts als die Gnade der Landesherrschaft übrig, um sich von
den Folgen der Biesterfreyheit zu retten.

O Himmel, rief sie aus, ich bin aus einem Dorfe zu
Hause, wo die Luft das Einschreiben ersetzt; wo jedes

Haus
a) Die Urkunde steht beym Lunig in spec. eccl. Contin.
I. p.
134.
b) Biester heißt bey den Westphälingern so viel als arg. Er ist
biesterkrank, biester grämlich etc. sagt man. Die arge
Freyheit
ist aber, wenn einer ohne Schutz und Schirm so
frey als ein Vogel (doch muß es kein Auerhahn seyn, der Kö-
nigsfrieden hat: in der Luft ist, den man herab schiessen kan.
c) Dieß ist wie bekant noch jetzt im ganzen Stifte Oßnabrück
gebräuchlich.

der ſogenandten Hyen, Echten oder Hoden.
dem beſten Kleide geloͤſet werden konnte; a) Ihre Cammer-
jungfer aber, welche aus dem Dorfe Guͤtersloh, worin noch
jetzt die Luft eigen macht, zu Hauſe war, verheyrathete ſich
in unſer Stift und ſetzte ſich auf ein ofnes Dorf, worin ihr
Mann ein freyes Haus gekaufet hatte. Kaum hatte ſie ein
Jahr in vergnuͤgter Ehe gelebt: ſo entriß ihr der Tod den
beſten Mann; und zur Vermehrung ihres Schmerzens ka-
men die Beamte, um ihr alles was er verlaſſen hatte, zu
nehmen. Voll Schrecken zeigte ſie ihr einziges Kind, den
Erben ihres Mannes, und bat mit Thraͤnen, wo nicht ihr,
doch dieſem Unmuͤndigen das vaͤterliche Erbtheil zu laſſen.
Allein ihr Flehen war vergebens. Die Beamte, ſo ſehr ſie
auch ſelbſt uͤber dieſen Vorfall bewegt waren, antworteten
nach Landesrecht: Ihr Mann ſey Bieſterfrey b) verſtorben
und ſeine Nachlaſſenſchaft daher der Landesherrſchaft verfallen.
Seine Schuldigkeit ſey geweſen, ſich ſofort, als er ſich dahier
niedergelaſſen, in eine Hode einſchreiben c) zu laſſen; und
da er dieſes verſaͤumet, und daruͤber weggeſtorben: ſo waͤre
nichts als die Gnade der Landesherrſchaft uͤbrig, um ſich von
den Folgen der Bieſterfreyheit zu retten.

O Himmel, rief ſie aus, ich bin aus einem Dorfe zu
Hauſe, wo die Luft das Einſchreiben erſetzt; wo jedes

Haus
a) Die Urkunde ſteht beym Lunig in ſpec. eccl. Contin.
I. p.
134.
b) Bieſter heißt bey den Weſtphaͤlingern ſo viel als arg. Er iſt
bieſterkrank, bieſter grämlich ꝛc. ſagt man. Die arge
Freyheit
iſt aber, wenn einer ohne Schutz und Schirm ſo
frey als ein Vogel (doch muß es kein Auerhahn ſeyn, der Koͤ-
nigsfrieden hat: in der Luft iſt, den man herab ſchieſſen kan.
c) Dieß iſt wie bekant noch jetzt im ganzen Stifte Oßnabruͤck
gebraͤuchlich.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0205" n="187"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der &#x017F;ogenandten Hyen, Echten oder Hoden.</hi></fw><lb/>
dem be&#x017F;ten Kleide gelo&#x0364;&#x017F;et werden konnte; <note place="foot" n="a)">Die Urkunde &#x017F;teht beym <hi rendition="#aq">Lunig in &#x017F;pec. eccl. Contin.<lb/>
I. p.</hi> 134.</note> Ihre Cammer-<lb/>
jungfer aber, welche aus dem Dorfe Gu&#x0364;tersloh, worin noch<lb/>
jetzt die Luft eigen macht, zu Hau&#x017F;e war, verheyrathete &#x017F;ich<lb/>
in un&#x017F;er Stift und &#x017F;etzte &#x017F;ich auf ein ofnes Dorf, worin ihr<lb/>
Mann ein freyes Haus gekaufet hatte. Kaum hatte &#x017F;ie ein<lb/>
Jahr in vergnu&#x0364;gter Ehe gelebt: &#x017F;o entriß ihr der Tod den<lb/>
be&#x017F;ten Mann; und zur Vermehrung ihres Schmerzens ka-<lb/>
men die Beamte, um ihr alles was er verla&#x017F;&#x017F;en hatte, zu<lb/>
nehmen. Voll Schrecken zeigte &#x017F;ie ihr einziges Kind, den<lb/>
Erben ihres Mannes, und bat mit Thra&#x0364;nen, wo nicht ihr,<lb/>
doch die&#x017F;em Unmu&#x0364;ndigen das va&#x0364;terliche Erbtheil zu la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Allein ihr Flehen war vergebens. Die Beamte, &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;ie<lb/>
auch &#x017F;elb&#x017F;t u&#x0364;ber die&#x017F;en Vorfall bewegt waren, antworteten<lb/>
nach Landesrecht: Ihr Mann &#x017F;ey Bie&#x017F;terfrey <note place="foot" n="b)">Bie&#x017F;ter heißt bey den We&#x017F;tpha&#x0364;lingern &#x017F;o viel als <hi rendition="#fr">arg.</hi> Er i&#x017F;t<lb/><hi rendition="#fr">bie&#x017F;terkrank, bie&#x017F;ter grämlich &#xA75B;c.</hi> &#x017F;agt man. Die <hi rendition="#fr">arge<lb/>
Freyheit</hi> i&#x017F;t aber, wenn einer ohne Schutz und Schirm &#x017F;o<lb/>
frey als ein Vogel (doch muß es kein Auerhahn &#x017F;eyn, der Ko&#x0364;-<lb/>
nigsfrieden hat: in der Luft i&#x017F;t, den man herab &#x017F;chie&#x017F;&#x017F;en kan.</note> ver&#x017F;torben<lb/>
und &#x017F;eine Nachla&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft daher der Landesherr&#x017F;chaft verfallen.<lb/>
Seine Schuldigkeit &#x017F;ey gewe&#x017F;en, &#x017F;ich &#x017F;ofort, als er &#x017F;ich dahier<lb/>
niedergela&#x017F;&#x017F;en, in eine Hode <hi rendition="#fr">ein&#x017F;chreiben</hi> <note place="foot" n="c)">Dieß i&#x017F;t wie bekant noch jetzt im ganzen Stifte Oßnabru&#x0364;ck<lb/>
gebra&#x0364;uchlich.</note> zu la&#x017F;&#x017F;en; und<lb/>
da er die&#x017F;es ver&#x017F;a&#x0364;umet, und daru&#x0364;ber wegge&#x017F;torben: &#x017F;o wa&#x0364;re<lb/>
nichts als die Gnade der Landesherr&#x017F;chaft u&#x0364;brig, um &#x017F;ich von<lb/>
den Folgen der Bie&#x017F;terfreyheit zu retten.</p><lb/>
        <p>O Himmel, rief &#x017F;ie aus, ich bin aus einem Dorfe zu<lb/>
Hau&#x017F;e, wo <hi rendition="#fr">die Luft das Ein&#x017F;chreiben er&#x017F;etzt;</hi> wo jedes<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Haus</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0205] der ſogenandten Hyen, Echten oder Hoden. dem beſten Kleide geloͤſet werden konnte; a) Ihre Cammer- jungfer aber, welche aus dem Dorfe Guͤtersloh, worin noch jetzt die Luft eigen macht, zu Hauſe war, verheyrathete ſich in unſer Stift und ſetzte ſich auf ein ofnes Dorf, worin ihr Mann ein freyes Haus gekaufet hatte. Kaum hatte ſie ein Jahr in vergnuͤgter Ehe gelebt: ſo entriß ihr der Tod den beſten Mann; und zur Vermehrung ihres Schmerzens ka- men die Beamte, um ihr alles was er verlaſſen hatte, zu nehmen. Voll Schrecken zeigte ſie ihr einziges Kind, den Erben ihres Mannes, und bat mit Thraͤnen, wo nicht ihr, doch dieſem Unmuͤndigen das vaͤterliche Erbtheil zu laſſen. Allein ihr Flehen war vergebens. Die Beamte, ſo ſehr ſie auch ſelbſt uͤber dieſen Vorfall bewegt waren, antworteten nach Landesrecht: Ihr Mann ſey Bieſterfrey b) verſtorben und ſeine Nachlaſſenſchaft daher der Landesherrſchaft verfallen. Seine Schuldigkeit ſey geweſen, ſich ſofort, als er ſich dahier niedergelaſſen, in eine Hode einſchreiben c) zu laſſen; und da er dieſes verſaͤumet, und daruͤber weggeſtorben: ſo waͤre nichts als die Gnade der Landesherrſchaft uͤbrig, um ſich von den Folgen der Bieſterfreyheit zu retten. O Himmel, rief ſie aus, ich bin aus einem Dorfe zu Hauſe, wo die Luft das Einſchreiben erſetzt; wo jedes Haus a) Die Urkunde ſteht beym Lunig in ſpec. eccl. Contin. I. p. 134. b) Bieſter heißt bey den Weſtphaͤlingern ſo viel als arg. Er iſt bieſterkrank, bieſter grämlich ꝛc. ſagt man. Die arge Freyheit iſt aber, wenn einer ohne Schutz und Schirm ſo frey als ein Vogel (doch muß es kein Auerhahn ſeyn, der Koͤ- nigsfrieden hat: in der Luft iſt, den man herab ſchieſſen kan. c) Dieß iſt wie bekant noch jetzt im ganzen Stifte Oßnabruͤck gebraͤuchlich.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/205
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/205>, abgerufen am 24.11.2024.