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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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an die Frau ... in der Hauptstadt.

Wie leicht ist aber dieser Fehler zu heben, wenn man nur
demjenigen eine Achtung erwiese, welcher sich am besten nach
seinem Stande richtete und wie vieles würden die Vornehmen
(die Vornehmsten berühre ich nicht, denn diese schränken sich
merklich ein) nicht dazu beytragen, wenn sie auf dem Lande
nicht das Kostbarste und Prächtigste, sondern nur dasjenige
bewunderten, was jeder durch die Kunst seiner Wirthschaft
zur großen Vollkommenheit gebracht hätte? Sie glauben nicht,
wertheste Freundin, wie gut ich in diesem Stücke von meiner
Einfalt gedienet bin. Ein jeder, der in unser Haus kömmt,
bleibt in seiner Einbildung überzeuget, daß er in Ansehung
der Kostbarkeiten vor uns einen Vorzug habe. Dieser Ge-
danke schmeichelt ihm, und er ist mit uns als mit Leuten zu-
frieden, welche ihm den Rang nicht streitig zu machen ge-
denken. Aus einer gleichen Dankbarkeit sieht unsere Frau
Oberhauptmannin mit einem nicht eifersüchtigen Auge unsere
Wirthschaft an. Sie bewundert alles und fühlet sich bey uns
weit bequemer als bey der Frau Oberamtmannin, deren dam-
mastenes Bette dem ihrigen Trotz bietet. Wir sind ihre gu-
ten Leute, sie geht mit uns, wie mit ihren besten Freunden
um, wir sehen sie stündlich, so liebenswürdig, wie sie würk-
lich ist; und wir genießen der Herzen, ohne uns an den ty-
rannischen Zwang der städtischen Rangordnung zu binden.

Gewiß wertheste Freundin, die Damen aus der Hauptstadt
sorgen würklich sehr schlecht für ihr Vergnügen, wenn sie auf
dem Lande die Nachahmung der Stadt suchen; das Landle-
ben hat was originales, welches sie ihm billig zu einer ver-
gnügten Abwechselung lassen sollten. Ich freue mich wenig-
stens recht, wenn ich in ein wohleingerichtetes Bauerhaus
komme, die besondern Vortheile und Erfindungen dieser Fa-
milie sehe; und eine Tapete von Flachs, das schon zubereitet
und nett auf einander gelegt ist, ergötzet mich da mehr, als

eine
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an die Frau … in der Hauptſtadt.

Wie leicht iſt aber dieſer Fehler zu heben, wenn man nur
demjenigen eine Achtung erwieſe, welcher ſich am beſten nach
ſeinem Stande richtete und wie vieles wuͤrden die Vornehmen
(die Vornehmſten beruͤhre ich nicht, denn dieſe ſchraͤnken ſich
merklich ein) nicht dazu beytragen, wenn ſie auf dem Lande
nicht das Koſtbarſte und Praͤchtigſte, ſondern nur dasjenige
bewunderten, was jeder durch die Kunſt ſeiner Wirthſchaft
zur großen Vollkommenheit gebracht haͤtte? Sie glauben nicht,
wertheſte Freundin, wie gut ich in dieſem Stuͤcke von meiner
Einfalt gedienet bin. Ein jeder, der in unſer Haus koͤmmt,
bleibt in ſeiner Einbildung uͤberzeuget, daß er in Anſehung
der Koſtbarkeiten vor uns einen Vorzug habe. Dieſer Ge-
danke ſchmeichelt ihm, und er iſt mit uns als mit Leuten zu-
frieden, welche ihm den Rang nicht ſtreitig zu machen ge-
denken. Aus einer gleichen Dankbarkeit ſieht unſere Frau
Oberhauptmannin mit einem nicht eiferſuͤchtigen Auge unſere
Wirthſchaft an. Sie bewundert alles und fuͤhlet ſich bey uns
weit bequemer als bey der Frau Oberamtmannin, deren dam-
maſtenes Bette dem ihrigen Trotz bietet. Wir ſind ihre gu-
ten Leute, ſie geht mit uns, wie mit ihren beſten Freunden
um, wir ſehen ſie ſtuͤndlich, ſo liebenswuͤrdig, wie ſie wuͤrk-
lich iſt; und wir genießen der Herzen, ohne uns an den ty-
ranniſchen Zwang der ſtaͤdtiſchen Rangordnung zu binden.

Gewiß wertheſte Freundin, die Damen aus der Hauptſtadt
ſorgen wuͤrklich ſehr ſchlecht fuͤr ihr Vergnuͤgen, wenn ſie auf
dem Lande die Nachahmung der Stadt ſuchen; das Landle-
ben hat was originales, welches ſie ihm billig zu einer ver-
gnuͤgten Abwechſelung laſſen ſollten. Ich freue mich wenig-
ſtens recht, wenn ich in ein wohleingerichtetes Bauerhaus
komme, die beſondern Vortheile und Erfindungen dieſer Fa-
milie ſehe; und eine Tapete von Flachs, das ſchon zubereitet
und nett auf einander gelegt iſt, ergoͤtzet mich da mehr, als

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[85/0103] an die Frau … in der Hauptſtadt. Wie leicht iſt aber dieſer Fehler zu heben, wenn man nur demjenigen eine Achtung erwieſe, welcher ſich am beſten nach ſeinem Stande richtete und wie vieles wuͤrden die Vornehmen (die Vornehmſten beruͤhre ich nicht, denn dieſe ſchraͤnken ſich merklich ein) nicht dazu beytragen, wenn ſie auf dem Lande nicht das Koſtbarſte und Praͤchtigſte, ſondern nur dasjenige bewunderten, was jeder durch die Kunſt ſeiner Wirthſchaft zur großen Vollkommenheit gebracht haͤtte? Sie glauben nicht, wertheſte Freundin, wie gut ich in dieſem Stuͤcke von meiner Einfalt gedienet bin. Ein jeder, der in unſer Haus koͤmmt, bleibt in ſeiner Einbildung uͤberzeuget, daß er in Anſehung der Koſtbarkeiten vor uns einen Vorzug habe. Dieſer Ge- danke ſchmeichelt ihm, und er iſt mit uns als mit Leuten zu- frieden, welche ihm den Rang nicht ſtreitig zu machen ge- denken. Aus einer gleichen Dankbarkeit ſieht unſere Frau Oberhauptmannin mit einem nicht eiferſuͤchtigen Auge unſere Wirthſchaft an. Sie bewundert alles und fuͤhlet ſich bey uns weit bequemer als bey der Frau Oberamtmannin, deren dam- maſtenes Bette dem ihrigen Trotz bietet. Wir ſind ihre gu- ten Leute, ſie geht mit uns, wie mit ihren beſten Freunden um, wir ſehen ſie ſtuͤndlich, ſo liebenswuͤrdig, wie ſie wuͤrk- lich iſt; und wir genießen der Herzen, ohne uns an den ty- ranniſchen Zwang der ſtaͤdtiſchen Rangordnung zu binden. Gewiß wertheſte Freundin, die Damen aus der Hauptſtadt ſorgen wuͤrklich ſehr ſchlecht fuͤr ihr Vergnuͤgen, wenn ſie auf dem Lande die Nachahmung der Stadt ſuchen; das Landle- ben hat was originales, welches ſie ihm billig zu einer ver- gnuͤgten Abwechſelung laſſen ſollten. Ich freue mich wenig- ſtens recht, wenn ich in ein wohleingerichtetes Bauerhaus komme, die beſondern Vortheile und Erfindungen dieſer Fa- milie ſehe; und eine Tapete von Flachs, das ſchon zubereitet und nett auf einander gelegt iſt, ergoͤtzet mich da mehr, als eine F 3

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/103>, abgerufen am 24.11.2024.