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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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eine Osnabrückische Geschichte.
einförmigen Zirkel verfloß der erste Winter in einer benach-
barten Stadt, wohin sie sich nach der Mode begeben hatten.

Wie der folgende Winter sich näherte, fing Arist all-
mählig an Ueberlegungen zu machen. Sein ganzes Hausge-
sinde hatte sich nach seinem Muster gebildet. In der Haus-
haltung war vieles verlohren, vieles nicht gewonnen, und
in der Stadt ein ansehnliches mehr als sonst verzehrt. Er
mußte sich also entschliessen auf dem Lande zu bleiben, wofern
er seine Wirthschaft in Ordnung halten wollte. Selinde
hatte ihm bis dahin noch nichts gesagt. Denn auch dieses
hatte er sich bedungen. Allein nunmehr da das Probjahr zu
Ende gieng, schien sie allmählig mit einem Blicke zu fragen,
wiewohl mit aller Bescheidenheit, und nur so, daß man schon
etwas auf dem Herzen haben mußte, um diesen Blick zu
verstehen.

Zur Zeit, wie Arist in Paris gewesen war, hatte man
eben die Spinnräder erfunden, welche die Damen mit sich
in Gesellschaft trugen, auf dem Schooß setzten, und mit ei-
nem stählernen Hacken an eben derselbigen Stelle befestigten,
wo jetzt die Uhr zu hängen pflegt. Man drehete das Rad
mit einem schönen kleinen Finger, und tändelte oder spann
mit einem andern. Von dieser Art hatte er heimlich eines
für Selinden kommen lassen; und für sich ein Gestell zu
Knötgen. Denn die Mannspersonen fingen eher an zu knöt-
gen als zu trenseln. *) Ehe sichs Selinde versah, rückte Arist
mit diesen allerliebsten Kleinigkeiten hervor; und gedachte da-
mit eine Wendung gegen sein feyerliches Versprechen zu ma-

chen.
*) Das Trenseln, welches vor dreyßig Jahren Mode war,
bestand darinn, daß man goldne und silberne Borten,
auch seidne Zeuge in ihre Fäden auflösete. Viele modische
Leute kauften sich neue Borten, um ihre Hände solcherge-
stalt zu beschäftigen.
D 3

eine Oſnabruͤckiſche Geſchichte.
einfoͤrmigen Zirkel verfloß der erſte Winter in einer benach-
barten Stadt, wohin ſie ſich nach der Mode begeben hatten.

Wie der folgende Winter ſich naͤherte, fing Ariſt all-
maͤhlig an Ueberlegungen zu machen. Sein ganzes Hausge-
ſinde hatte ſich nach ſeinem Muſter gebildet. In der Haus-
haltung war vieles verlohren, vieles nicht gewonnen, und
in der Stadt ein anſehnliches mehr als ſonſt verzehrt. Er
mußte ſich alſo entſchlieſſen auf dem Lande zu bleiben, wofern
er ſeine Wirthſchaft in Ordnung halten wollte. Selinde
hatte ihm bis dahin noch nichts geſagt. Denn auch dieſes
hatte er ſich bedungen. Allein nunmehr da das Probjahr zu
Ende gieng, ſchien ſie allmaͤhlig mit einem Blicke zu fragen,
wiewohl mit aller Beſcheidenheit, und nur ſo, daß man ſchon
etwas auf dem Herzen haben mußte, um dieſen Blick zu
verſtehen.

Zur Zeit, wie Ariſt in Paris geweſen war, hatte man
eben die Spinnraͤder erfunden, welche die Damen mit ſich
in Geſellſchaft trugen, auf dem Schooß ſetzten, und mit ei-
nem ſtaͤhlernen Hacken an eben derſelbigen Stelle befeſtigten,
wo jetzt die Uhr zu haͤngen pflegt. Man drehete das Rad
mit einem ſchoͤnen kleinen Finger, und taͤndelte oder ſpann
mit einem andern. Von dieſer Art hatte er heimlich eines
fuͤr Selinden kommen laſſen; und fuͤr ſich ein Geſtell zu
Knoͤtgen. Denn die Mannsperſonen fingen eher an zu knoͤt-
gen als zu trenſeln. *) Ehe ſichs Selinde verſah, ruͤckte Ariſt
mit dieſen allerliebſten Kleinigkeiten hervor; und gedachte da-
mit eine Wendung gegen ſein feyerliches Verſprechen zu ma-

chen.
*) Das Trenſeln, welches vor dreyßig Jahren Mode war,
beſtand darinn, daß man goldne und ſilberne Borten,
auch ſeidne Zeuge in ihre Faͤden aufloͤſete. Viele modiſche
Leute kauften ſich neue Borten, um ihre Haͤnde ſolcherge-
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[53/0071] eine Oſnabruͤckiſche Geſchichte. einfoͤrmigen Zirkel verfloß der erſte Winter in einer benach- barten Stadt, wohin ſie ſich nach der Mode begeben hatten. Wie der folgende Winter ſich naͤherte, fing Ariſt all- maͤhlig an Ueberlegungen zu machen. Sein ganzes Hausge- ſinde hatte ſich nach ſeinem Muſter gebildet. In der Haus- haltung war vieles verlohren, vieles nicht gewonnen, und in der Stadt ein anſehnliches mehr als ſonſt verzehrt. Er mußte ſich alſo entſchlieſſen auf dem Lande zu bleiben, wofern er ſeine Wirthſchaft in Ordnung halten wollte. Selinde hatte ihm bis dahin noch nichts geſagt. Denn auch dieſes hatte er ſich bedungen. Allein nunmehr da das Probjahr zu Ende gieng, ſchien ſie allmaͤhlig mit einem Blicke zu fragen, wiewohl mit aller Beſcheidenheit, und nur ſo, daß man ſchon etwas auf dem Herzen haben mußte, um dieſen Blick zu verſtehen. Zur Zeit, wie Ariſt in Paris geweſen war, hatte man eben die Spinnraͤder erfunden, welche die Damen mit ſich in Geſellſchaft trugen, auf dem Schooß ſetzten, und mit ei- nem ſtaͤhlernen Hacken an eben derſelbigen Stelle befeſtigten, wo jetzt die Uhr zu haͤngen pflegt. Man drehete das Rad mit einem ſchoͤnen kleinen Finger, und taͤndelte oder ſpann mit einem andern. Von dieſer Art hatte er heimlich eines fuͤr Selinden kommen laſſen; und fuͤr ſich ein Geſtell zu Knoͤtgen. Denn die Mannsperſonen fingen eher an zu knoͤt- gen als zu trenſeln. *) Ehe ſichs Selinde verſah, ruͤckte Ariſt mit dieſen allerliebſten Kleinigkeiten hervor; und gedachte da- mit eine Wendung gegen ſein feyerliches Verſprechen zu ma- chen. *) Das Trenſeln, welches vor dreyßig Jahren Mode war, beſtand darinn, daß man goldne und ſilberne Borten, auch ſeidne Zeuge in ihre Faͤden aufloͤſete. Viele modiſche Leute kauften ſich neue Borten, um ihre Haͤnde ſolcherge- ſtalt zu beſchaͤftigen. D 3

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/71>, abgerufen am 22.11.2024.