Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Spinnstube,
liche Arbeit unsre dauerhafteste Freundinn sey. Da ich auf
das Land zurückkam, überlegte ich lange, wie ich mit mei-
ner Familie meine Zeit für mich ruhig und vergnügt hinbrin-
gen wollte. Die Sommertage machten mich nicht verlegen.
Allein die Winterabende fielen mir desto länger. Ich fieng
an zu lesen, und meine Frau nehete. Im Anfang gieng al-
les gut. Bald aber wollten unsre Augen diese Anstrengung
nicht aushalten, und wir kamen oft zu dem Schlusse, daß das
Spinnen die einzige Arbeit sey, welche ein Mensch bis ins
höchste Alter ohne Nachtheil seiner Gesundheit aushalten
könnte. Meine Frau entschloß sich also dazu; und nach und
nach kamen wir zu dem Plan, welcher ihnen so sehr mißfällt.
Dies ist die natürliche Geschichte unsers Verfahrens; Nun
lassen sie uns auch ihre Einwürfe als Philosophen be-
trachten.

In meiner Jugend diente ich unter dem General Mon-
tecuculi. Wie oft habe ich diesen Helden in regnigten Näch-
ten auf den Vorposten, sich an ein schlechtes Wachfeuer nie-
dersetzen, aus einer versauerten Flasche mit den Soldaten
trinken, und ein Stück Commisbrod essen sehen? Wie gern
unterredete er sich mit jedem Gemeinen? Wie aufmerksam
hörte er oft von ihnen Wahrheiten, welche ihm von keinen
Adjutanten hinterbracht wurden? Und wie groß dünkte er sich
nicht, wenn er in der Brust eines jeden Gemeinen Muth,
Gedult und Vertrauen erwecket hatte? Was dort der Feld-
herr that, das thue ich in meiner Haushaltung. Im Kriege
sind einige Augenblicke groß; in der Haushaltung alle, und
es muß keiner verlohren werden. Solte nun aber wohl das-
jenige, was den Helden größer macht, den Landbauer beschim-
pfen können? Ist der Ackerbau minder edel als das Krieges-
handwerk? Und sollte es vornehmer seyn, sein Leben zu ver-
miethen, als sein eigner Herr zu seyn, und dem Staate ohne

Sold

Die Spinnſtube,
liche Arbeit unſre dauerhafteſte Freundinn ſey. Da ich auf
das Land zuruͤckkam, uͤberlegte ich lange, wie ich mit mei-
ner Familie meine Zeit fuͤr mich ruhig und vergnuͤgt hinbrin-
gen wollte. Die Sommertage machten mich nicht verlegen.
Allein die Winterabende fielen mir deſto laͤnger. Ich fieng
an zu leſen, und meine Frau nehete. Im Anfang gieng al-
les gut. Bald aber wollten unſre Augen dieſe Anſtrengung
nicht aushalten, und wir kamen oft zu dem Schluſſe, daß das
Spinnen die einzige Arbeit ſey, welche ein Menſch bis ins
hoͤchſte Alter ohne Nachtheil ſeiner Geſundheit aushalten
koͤnnte. Meine Frau entſchloß ſich alſo dazu; und nach und
nach kamen wir zu dem Plan, welcher ihnen ſo ſehr mißfaͤllt.
Dies iſt die natuͤrliche Geſchichte unſers Verfahrens; Nun
laſſen ſie uns auch ihre Einwuͤrfe als Philoſophen be-
trachten.

In meiner Jugend diente ich unter dem General Mon-
tecuculi. Wie oft habe ich dieſen Helden in regnigten Naͤch-
ten auf den Vorpoſten, ſich an ein ſchlechtes Wachfeuer nie-
derſetzen, aus einer verſauerten Flaſche mit den Soldaten
trinken, und ein Stuͤck Commisbrod eſſen ſehen? Wie gern
unterredete er ſich mit jedem Gemeinen? Wie aufmerkſam
hoͤrte er oft von ihnen Wahrheiten, welche ihm von keinen
Adjutanten hinterbracht wurden? Und wie groß duͤnkte er ſich
nicht, wenn er in der Bruſt eines jeden Gemeinen Muth,
Gedult und Vertrauen erwecket hatte? Was dort der Feld-
herr that, das thue ich in meiner Haushaltung. Im Kriege
ſind einige Augenblicke groß; in der Haushaltung alle, und
es muß keiner verlohren werden. Solte nun aber wohl das-
jenige, was den Helden groͤßer macht, den Landbauer beſchim-
pfen koͤnnen? Iſt der Ackerbau minder edel als das Krieges-
handwerk? Und ſollte es vornehmer ſeyn, ſein Leben zu ver-
miethen, als ſein eigner Herr zu ſeyn, und dem Staate ohne

Sold
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0064" n="46"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die Spinn&#x017F;tube,</hi></fw><lb/>
liche Arbeit un&#x017F;re dauerhafte&#x017F;te Freundinn &#x017F;ey. Da ich auf<lb/>
das Land zuru&#x0364;ckkam, u&#x0364;berlegte ich lange, wie ich mit mei-<lb/>
ner Familie meine Zeit fu&#x0364;r mich ruhig und vergnu&#x0364;gt hinbrin-<lb/>
gen wollte. Die Sommertage machten mich nicht verlegen.<lb/>
Allein die Winterabende fielen mir de&#x017F;to la&#x0364;nger. Ich fieng<lb/>
an zu le&#x017F;en, und meine Frau nehete. Im Anfang gieng al-<lb/>
les gut. Bald aber wollten un&#x017F;re Augen die&#x017F;e An&#x017F;trengung<lb/>
nicht aushalten, und wir kamen oft zu dem Schlu&#x017F;&#x017F;e, daß das<lb/>
Spinnen die einzige Arbeit &#x017F;ey, welche ein Men&#x017F;ch bis ins<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;te Alter ohne Nachtheil &#x017F;einer Ge&#x017F;undheit aushalten<lb/>
ko&#x0364;nnte. Meine Frau ent&#x017F;chloß &#x017F;ich al&#x017F;o dazu; und nach und<lb/>
nach kamen wir zu dem Plan, welcher ihnen &#x017F;o &#x017F;ehr mißfa&#x0364;llt.<lb/>
Dies i&#x017F;t die natu&#x0364;rliche Ge&#x017F;chichte un&#x017F;ers Verfahrens; Nun<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie uns auch ihre Einwu&#x0364;rfe als Philo&#x017F;ophen be-<lb/>
trachten.</p><lb/>
        <p>In meiner Jugend diente ich unter dem General Mon-<lb/>
tecuculi. Wie oft habe ich die&#x017F;en Helden in regnigten Na&#x0364;ch-<lb/>
ten auf den Vorpo&#x017F;ten, &#x017F;ich an ein &#x017F;chlechtes Wachfeuer nie-<lb/>
der&#x017F;etzen, aus einer ver&#x017F;auerten Fla&#x017F;che mit den Soldaten<lb/>
trinken, und ein Stu&#x0364;ck Commisbrod e&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ehen? Wie gern<lb/>
unterredete er &#x017F;ich mit jedem Gemeinen? Wie aufmerk&#x017F;am<lb/>
ho&#x0364;rte er oft von ihnen Wahrheiten, welche ihm von keinen<lb/>
Adjutanten hinterbracht wurden? Und wie groß du&#x0364;nkte er &#x017F;ich<lb/>
nicht, wenn er in der Bru&#x017F;t eines jeden Gemeinen Muth,<lb/>
Gedult und Vertrauen erwecket hatte? Was dort der Feld-<lb/>
herr that, das thue ich in meiner Haushaltung. Im Kriege<lb/>
&#x017F;ind einige Augenblicke groß; in der Haushaltung alle, und<lb/>
es muß keiner verlohren werden. Solte nun aber wohl das-<lb/>
jenige, was den Helden gro&#x0364;ßer macht, den Landbauer be&#x017F;chim-<lb/>
pfen ko&#x0364;nnen? I&#x017F;t der Ackerbau minder edel als das Krieges-<lb/>
handwerk? Und &#x017F;ollte es vornehmer &#x017F;eyn, &#x017F;ein Leben zu ver-<lb/>
miethen, als &#x017F;ein eigner Herr zu &#x017F;eyn, und dem Staate ohne<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Sold</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0064] Die Spinnſtube, liche Arbeit unſre dauerhafteſte Freundinn ſey. Da ich auf das Land zuruͤckkam, uͤberlegte ich lange, wie ich mit mei- ner Familie meine Zeit fuͤr mich ruhig und vergnuͤgt hinbrin- gen wollte. Die Sommertage machten mich nicht verlegen. Allein die Winterabende fielen mir deſto laͤnger. Ich fieng an zu leſen, und meine Frau nehete. Im Anfang gieng al- les gut. Bald aber wollten unſre Augen dieſe Anſtrengung nicht aushalten, und wir kamen oft zu dem Schluſſe, daß das Spinnen die einzige Arbeit ſey, welche ein Menſch bis ins hoͤchſte Alter ohne Nachtheil ſeiner Geſundheit aushalten koͤnnte. Meine Frau entſchloß ſich alſo dazu; und nach und nach kamen wir zu dem Plan, welcher ihnen ſo ſehr mißfaͤllt. Dies iſt die natuͤrliche Geſchichte unſers Verfahrens; Nun laſſen ſie uns auch ihre Einwuͤrfe als Philoſophen be- trachten. In meiner Jugend diente ich unter dem General Mon- tecuculi. Wie oft habe ich dieſen Helden in regnigten Naͤch- ten auf den Vorpoſten, ſich an ein ſchlechtes Wachfeuer nie- derſetzen, aus einer verſauerten Flaſche mit den Soldaten trinken, und ein Stuͤck Commisbrod eſſen ſehen? Wie gern unterredete er ſich mit jedem Gemeinen? Wie aufmerkſam hoͤrte er oft von ihnen Wahrheiten, welche ihm von keinen Adjutanten hinterbracht wurden? Und wie groß duͤnkte er ſich nicht, wenn er in der Bruſt eines jeden Gemeinen Muth, Gedult und Vertrauen erwecket hatte? Was dort der Feld- herr that, das thue ich in meiner Haushaltung. Im Kriege ſind einige Augenblicke groß; in der Haushaltung alle, und es muß keiner verlohren werden. Solte nun aber wohl das- jenige, was den Helden groͤßer macht, den Landbauer beſchim- pfen koͤnnen? Iſt der Ackerbau minder edel als das Krieges- handwerk? Und ſollte es vornehmer ſeyn, ſein Leben zu ver- miethen, als ſein eigner Herr zu ſeyn, und dem Staate ohne Sold

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/64
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/64>, abgerufen am 25.11.2024.