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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Die Spinnstube,

Man fand das schönste Gartengewächse nur bey Selinden.
Ihre Rüben giengen den märkischen weit vor; und der Bi-
schof hatte keine andre Butter auf seiner Tafel, als die von
ihrer Hand gemacht war. Was man von ihrer Kleidung se-
hen konnte, war klares oder dichtes Linnen, ungestickt und
unbesetzt; jedoch so nett von ihr gesäumt, daß man in jedem
Stiche eine Grazie versteckt zu seyn glaubte. Das einzige,
was man an ihr überflüßiges bemerkte, war ein Heideblüm-
gen in den lichtbraunen Locken. Sie pflegte aber diesen Staat
damit zu entschuldigen, daß es der einzige wäre, welchen sie
jemals zu machen gedächte; und man konnte denselben um so
viel eher gelten lassen, weil sie die Kunst verstand, diese Blu-
men so zu trocknen, daß sie im Winter nichts von ihrer Schön-
heit verlohren hatten.

In ihrem Hause war Eingangs zur rechten Hand ein
Saal oder eine Stube, welches man so genau nicht unter-
scheiden konnte. Vermuthlich war es ehedem ein Saal ge-
wesen. Jetzt ward es zur Spinnstube gebraucht, nachdem
Selinde ein helles, geräumiges und reinliches Zimmer mit zu
den ersten Bedürfnissen ihres Lebens rechnete. Aus dersel-
ben gieng ein Fenster auf den Hünerplatz; ein anders auf den
Platz vor der Thür, und ein drittes in die Küche, der Kel-
lerthür gerade gegenüber. Hier hatte Selinde manchen Tag
ihres Lebens arbeitsam und vergnügt zugebracht, indem sie
auf einem dreybeinigten Stuhle, (denn einen solchen zog sie
den vierbeinigten vor, weil sie sich auf demselben, ohne auf-
zustehen und ohne alles Geräusch auf das geschwindeste her-
umdrehen konnte) mit dem einen Fusse das Spinnrad und
mit dem andern die Wiege in Bewegung erhalten, mit einer
Hand den Faden und mit der andern ihr Buch regiert, und
die Augen bald in der Küche und vor der Kellerthür, bald
aber auf dem Hünerplatze oder vor der Hausthür gehabt hatte.

Oft
Die Spinnſtube,

Man fand das ſchoͤnſte Gartengewaͤchſe nur bey Selinden.
Ihre Ruͤben giengen den maͤrkiſchen weit vor; und der Bi-
ſchof hatte keine andre Butter auf ſeiner Tafel, als die von
ihrer Hand gemacht war. Was man von ihrer Kleidung ſe-
hen konnte, war klares oder dichtes Linnen, ungeſtickt und
unbeſetzt; jedoch ſo nett von ihr geſaͤumt, daß man in jedem
Stiche eine Grazie verſteckt zu ſeyn glaubte. Das einzige,
was man an ihr uͤberfluͤßiges bemerkte, war ein Heidebluͤm-
gen in den lichtbraunen Locken. Sie pflegte aber dieſen Staat
damit zu entſchuldigen, daß es der einzige waͤre, welchen ſie
jemals zu machen gedaͤchte; und man konnte denſelben um ſo
viel eher gelten laſſen, weil ſie die Kunſt verſtand, dieſe Blu-
men ſo zu trocknen, daß ſie im Winter nichts von ihrer Schoͤn-
heit verlohren hatten.

In ihrem Hauſe war Eingangs zur rechten Hand ein
Saal oder eine Stube, welches man ſo genau nicht unter-
ſcheiden konnte. Vermuthlich war es ehedem ein Saal ge-
weſen. Jetzt ward es zur Spinnſtube gebraucht, nachdem
Selinde ein helles, geraͤumiges und reinliches Zimmer mit zu
den erſten Beduͤrfniſſen ihres Lebens rechnete. Aus derſel-
ben gieng ein Fenſter auf den Huͤnerplatz; ein anders auf den
Platz vor der Thuͤr, und ein drittes in die Kuͤche, der Kel-
lerthuͤr gerade gegenuͤber. Hier hatte Selinde manchen Tag
ihres Lebens arbeitſam und vergnuͤgt zugebracht, indem ſie
auf einem dreybeinigten Stuhle, (denn einen ſolchen zog ſie
den vierbeinigten vor, weil ſie ſich auf demſelben, ohne auf-
zuſtehen und ohne alles Geraͤuſch auf das geſchwindeſte her-
umdrehen konnte) mit dem einen Fuſſe das Spinnrad und
mit dem andern die Wiege in Bewegung erhalten, mit einer
Hand den Faden und mit der andern ihr Buch regiert, und
die Augen bald in der Kuͤche und vor der Kellerthuͤr, bald
aber auf dem Huͤnerplatze oder vor der Hausthuͤr gehabt hatte.

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[42/0060] Die Spinnſtube, Man fand das ſchoͤnſte Gartengewaͤchſe nur bey Selinden. Ihre Ruͤben giengen den maͤrkiſchen weit vor; und der Bi- ſchof hatte keine andre Butter auf ſeiner Tafel, als die von ihrer Hand gemacht war. Was man von ihrer Kleidung ſe- hen konnte, war klares oder dichtes Linnen, ungeſtickt und unbeſetzt; jedoch ſo nett von ihr geſaͤumt, daß man in jedem Stiche eine Grazie verſteckt zu ſeyn glaubte. Das einzige, was man an ihr uͤberfluͤßiges bemerkte, war ein Heidebluͤm- gen in den lichtbraunen Locken. Sie pflegte aber dieſen Staat damit zu entſchuldigen, daß es der einzige waͤre, welchen ſie jemals zu machen gedaͤchte; und man konnte denſelben um ſo viel eher gelten laſſen, weil ſie die Kunſt verſtand, dieſe Blu- men ſo zu trocknen, daß ſie im Winter nichts von ihrer Schoͤn- heit verlohren hatten. In ihrem Hauſe war Eingangs zur rechten Hand ein Saal oder eine Stube, welches man ſo genau nicht unter- ſcheiden konnte. Vermuthlich war es ehedem ein Saal ge- weſen. Jetzt ward es zur Spinnſtube gebraucht, nachdem Selinde ein helles, geraͤumiges und reinliches Zimmer mit zu den erſten Beduͤrfniſſen ihres Lebens rechnete. Aus derſel- ben gieng ein Fenſter auf den Huͤnerplatz; ein anders auf den Platz vor der Thuͤr, und ein drittes in die Kuͤche, der Kel- lerthuͤr gerade gegenuͤber. Hier hatte Selinde manchen Tag ihres Lebens arbeitſam und vergnuͤgt zugebracht, indem ſie auf einem dreybeinigten Stuhle, (denn einen ſolchen zog ſie den vierbeinigten vor, weil ſie ſich auf demſelben, ohne auf- zuſtehen und ohne alles Geraͤuſch auf das geſchwindeſte her- umdrehen konnte) mit dem einen Fuſſe das Spinnrad und mit dem andern die Wiege in Bewegung erhalten, mit einer Hand den Faden und mit der andern ihr Buch regiert, und die Augen bald in der Kuͤche und vor der Kellerthuͤr, bald aber auf dem Huͤnerplatze oder vor der Hausthuͤr gehabt hatte. Oft

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/60>, abgerufen am 22.11.2024.