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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Kurze Geschichte der Bauerhöfe.

Es währete aber nicht lange: so riß das Meer von neuen
ein; und weil immittelst eine neue Art zu Deichen aufgekom-
men war, welcher die vorigen Dienstleute nicht gewachsen wa-
ren, und zugleich das Geld, so bisher unbekannt gewesen,
bis zu ihnen gedrungen war; so fand man mehrere Bequem-
lichkeit darinn, zur beständigen Deicharbeit eigne Söldner
anzunehmen; und einen Geldbeytrag von den Höfen zu for-
dern; ohne jedoch im Stande zu seyn, die vorhin angenom-
mene Lehnarbeiter, welche sich einige hundert Jahre wohl
verhalten hatten, und bereit waren, so viel zu thun als ihre
Kräfte vermochten, abzuschaffen.

Nunmehro gieng es mit den Höfen über und über.
Einige rissen sich a) aus der gemeinen Reihe los; andre wur-
den b) von den Deichgrafen und Vögten mit allerhand Ar-
ten von Knechten und unter allerhand beschwerlichen Bedin-
gungen besetzt; die Amtsgefälle wurden c) verkauft und zer-
streut. Was den Dienstleuten an Kornpächten zugestanden
war, hatte gleiches Schicksal; und der neue Oberdeichgrafe,
der das Geld für die besoldeten Deichgräber zu erheben hatte,
bekümmerte sich gar nicht mehr um den Besitzer des Hofes,
wenn ihm nur der darauf gelegte Sold zu rechter Zeit bezah-
let wurde.

Wenn man für jene Anwohner des Meeres unsre schatz-
baren Unterthanen, welche voll- und halbe oder viertel Erbe
besitzen; für das Meer den Krieg oder die gemeine Noth, für
den Deichgrafen den Carolingischen Grafen, und für die
Deichvögte die Reichsvögte setzet: so hat man die Geschichte
unser Bauerhöfe; und mit derselben zugleich die Art und
Weise, wie freye Eigenthümer ganz natürlicher Weise zu leib-
eignen und hofhörigen Pächtern herunter sinken können.

Man
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Kurze Geſchichte der Bauerhoͤfe.

Es waͤhrete aber nicht lange: ſo riß das Meer von neuen
ein; und weil immittelſt eine neue Art zu Deichen aufgekom-
men war, welcher die vorigen Dienſtleute nicht gewachſen wa-
ren, und zugleich das Geld, ſo bisher unbekannt geweſen,
bis zu ihnen gedrungen war; ſo fand man mehrere Bequem-
lichkeit darinn, zur beſtaͤndigen Deicharbeit eigne Soͤldner
anzunehmen; und einen Geldbeytrag von den Hoͤfen zu for-
dern; ohne jedoch im Stande zu ſeyn, die vorhin angenom-
mene Lehnarbeiter, welche ſich einige hundert Jahre wohl
verhalten hatten, und bereit waren, ſo viel zu thun als ihre
Kraͤfte vermochten, abzuſchaffen.

Nunmehro gieng es mit den Hoͤfen uͤber und uͤber.
Einige riſſen ſich a) aus der gemeinen Reihe los; andre wur-
den b) von den Deichgrafen und Voͤgten mit allerhand Ar-
ten von Knechten und unter allerhand beſchwerlichen Bedin-
gungen beſetzt; die Amtsgefaͤlle wurden c) verkauft und zer-
ſtreut. Was den Dienſtleuten an Kornpaͤchten zugeſtanden
war, hatte gleiches Schickſal; und der neue Oberdeichgrafe,
der das Geld fuͤr die beſoldeten Deichgraͤber zu erheben hatte,
bekuͤmmerte ſich gar nicht mehr um den Beſitzer des Hofes,
wenn ihm nur der darauf gelegte Sold zu rechter Zeit bezah-
let wurde.

Wenn man fuͤr jene Anwohner des Meeres unſre ſchatz-
baren Unterthanen, welche voll- und halbe oder viertel Erbe
beſitzen; fuͤr das Meer den Krieg oder die gemeine Noth, fuͤr
den Deichgrafen den Carolingiſchen Grafen, und fuͤr die
Deichvoͤgte die Reichsvoͤgte ſetzet: ſo hat man die Geſchichte
unſer Bauerhoͤfe; und mit derſelben zugleich die Art und
Weiſe, wie freye Eigenthuͤmer ganz natuͤrlicher Weiſe zu leib-
eignen und hofhoͤrigen Paͤchtern herunter ſinken koͤnnen.

Man
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[329/0347] Kurze Geſchichte der Bauerhoͤfe. Es waͤhrete aber nicht lange: ſo riß das Meer von neuen ein; und weil immittelſt eine neue Art zu Deichen aufgekom- men war, welcher die vorigen Dienſtleute nicht gewachſen wa- ren, und zugleich das Geld, ſo bisher unbekannt geweſen, bis zu ihnen gedrungen war; ſo fand man mehrere Bequem- lichkeit darinn, zur beſtaͤndigen Deicharbeit eigne Soͤldner anzunehmen; und einen Geldbeytrag von den Hoͤfen zu for- dern; ohne jedoch im Stande zu ſeyn, die vorhin angenom- mene Lehnarbeiter, welche ſich einige hundert Jahre wohl verhalten hatten, und bereit waren, ſo viel zu thun als ihre Kraͤfte vermochten, abzuſchaffen. Nunmehro gieng es mit den Hoͤfen uͤber und uͤber. Einige riſſen ſich a) aus der gemeinen Reihe los; andre wur- den b) von den Deichgrafen und Voͤgten mit allerhand Ar- ten von Knechten und unter allerhand beſchwerlichen Bedin- gungen beſetzt; die Amtsgefaͤlle wurden c) verkauft und zer- ſtreut. Was den Dienſtleuten an Kornpaͤchten zugeſtanden war, hatte gleiches Schickſal; und der neue Oberdeichgrafe, der das Geld fuͤr die beſoldeten Deichgraͤber zu erheben hatte, bekuͤmmerte ſich gar nicht mehr um den Beſitzer des Hofes, wenn ihm nur der darauf gelegte Sold zu rechter Zeit bezah- let wurde. Wenn man fuͤr jene Anwohner des Meeres unſre ſchatz- baren Unterthanen, welche voll- und halbe oder viertel Erbe beſitzen; fuͤr das Meer den Krieg oder die gemeine Noth, fuͤr den Deichgrafen den Carolingiſchen Grafen, und fuͤr die Deichvoͤgte die Reichsvoͤgte ſetzet: ſo hat man die Geſchichte unſer Bauerhoͤfe; und mit derſelben zugleich die Art und Weiſe, wie freye Eigenthuͤmer ganz natuͤrlicher Weiſe zu leib- eignen und hofhoͤrigen Paͤchtern herunter ſinken koͤnnen. Man X 5

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/347>, abgerufen am 22.11.2024.