Das sonderbarste bey dem allen ist die Wendung, welche die Sachen genommen haben. So lange die Schöpfen eine streitige Sache, nachdem was ihnen gemeinnützig und billig dünkte, entscheiden, vergleichen oder abmachen mochten, wurde durchaus erfordert, daß sie den Partheyen ebenbürtig und genoß waren. So bald aber die Kunst streitige Sachen zu entscheiden, sich auf die beste Auslegung und Anwendung der Gesetze gründete, ward der gelehrteste und redlichste Mann für den besten Richter gehalten; der Edelmann verlohr mit Recht seinen Stuhl im Gerichte, so bald er sich weniger auf jene Kunst legte.
Die gefährlichste Wendung aber, welche wir zu befürch- ten haben, ist nun diese, daß ungenossen Richtern eben die Macht gegeben werde, welche vordem die Genossen hatten. Wenn diesen, wie jenen, die Vollmacht ertheilet wird, blos nach der Billigkeit und nachdem, was ihnen Gemeinnützig oder Po- liceymäßig dünket, zu entscheiden; wenn diesen erlaubt wird, nach dem gewöhnlichen Ausdruck, mit Hindansetzungen un- nöthiger Formalitäten zu verfahren; wenn diese von dem dür- ren Buchstaben der Gesetze nur einen Haarbreit abweichen dürfen: so beruht Freyheit und Eigenthum einzig und allein auf der Gnade des Landesherrn; so kann er solche Leute zu Richtern verschreiben, die in dem Lande, wo sie nach ihrer Weisheit und Billigkeit verfahren sollen, nichts eignes haben und keinem genoß sind; die aus der Türkey oder Tartarey zu Hause sind, und es nach unverwerflichen Gründen zeigen kön- nen, daß es vernünftiger sey, die Beinkleider als den Huth unter den Arm zu nehmen ..........
LII.
Ueber die Art und Weiſe wie unſre Vorfahren ꝛc.
Das ſonderbarſte bey dem allen iſt die Wendung, welche die Sachen genommen haben. So lange die Schoͤpfen eine ſtreitige Sache, nachdem was ihnen gemeinnuͤtzig und billig duͤnkte, entſcheiden, vergleichen oder abmachen mochten, wurde durchaus erfordert, daß ſie den Partheyen ebenbuͤrtig und genoß waren. So bald aber die Kunſt ſtreitige Sachen zu entſcheiden, ſich auf die beſte Auslegung und Anwendung der Geſetze gruͤndete, ward der gelehrteſte und redlichſte Mann fuͤr den beſten Richter gehalten; der Edelmann verlohr mit Recht ſeinen Stuhl im Gerichte, ſo bald er ſich weniger auf jene Kunſt legte.
Die gefaͤhrlichſte Wendung aber, welche wir zu befuͤrch- ten haben, iſt nun dieſe, daß ungenoſſen Richtern eben die Macht gegeben werde, welche vordem die Genoſſen hatten. Wenn dieſen, wie jenen, die Vollmacht ertheilet wird, blos nach der Billigkeit und nachdem, was ihnen Gemeinnuͤtzig oder Po- liceymaͤßig duͤnket, zu entſcheiden; wenn dieſen erlaubt wird, nach dem gewoͤhnlichen Ausdruck, mit Hindanſetzungen un- noͤthiger Formalitaͤten zu verfahren; wenn dieſe von dem duͤr- ren Buchſtaben der Geſetze nur einen Haarbreit abweichen duͤrfen: ſo beruht Freyheit und Eigenthum einzig und allein auf der Gnade des Landesherrn; ſo kann er ſolche Leute zu Richtern verſchreiben, die in dem Lande, wo ſie nach ihrer Weisheit und Billigkeit verfahren ſollen, nichts eignes haben und keinem genoß ſind; die aus der Tuͤrkey oder Tartarey zu Hauſe ſind, und es nach unverwerflichen Gruͤnden zeigen koͤn- nen, daß es vernuͤnftiger ſey, die Beinkleider als den Huth unter den Arm zu nehmen ..........
LII.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0324"n="306"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Ueber die Art und Weiſe wie unſre Vorfahren ꝛc.</hi></fw><lb/><p>Das ſonderbarſte bey dem allen iſt die Wendung, welche<lb/>
die Sachen genommen haben. So lange die Schoͤpfen eine<lb/>ſtreitige Sache, nachdem was ihnen gemeinnuͤtzig und billig<lb/>
duͤnkte, entſcheiden, vergleichen oder abmachen mochten,<lb/>
wurde durchaus erfordert, daß ſie den Partheyen ebenbuͤrtig<lb/>
und genoß waren. So bald aber die Kunſt ſtreitige Sachen<lb/>
zu entſcheiden, ſich auf die beſte Auslegung und Anwendung<lb/>
der Geſetze gruͤndete, ward der gelehrteſte und redlichſte Mann<lb/>
fuͤr den beſten Richter gehalten; der Edelmann verlohr mit<lb/>
Recht ſeinen Stuhl im Gerichte, ſo bald er ſich weniger auf<lb/>
jene Kunſt legte.</p><lb/><p>Die gefaͤhrlichſte Wendung aber, welche wir zu befuͤrch-<lb/>
ten haben, iſt nun dieſe, daß ungenoſſen Richtern eben die<lb/>
Macht gegeben werde, welche vordem die Genoſſen hatten.<lb/>
Wenn dieſen, wie jenen, die Vollmacht ertheilet wird, blos nach<lb/>
der Billigkeit und nachdem, was ihnen Gemeinnuͤtzig oder Po-<lb/>
liceymaͤßig duͤnket, zu entſcheiden; wenn dieſen erlaubt wird,<lb/>
nach dem gewoͤhnlichen Ausdruck, mit Hindanſetzungen un-<lb/>
noͤthiger Formalitaͤten zu verfahren; wenn dieſe von dem duͤr-<lb/>
ren Buchſtaben der Geſetze nur einen Haarbreit abweichen<lb/>
duͤrfen: ſo beruht Freyheit und Eigenthum einzig und allein<lb/>
auf der Gnade des Landesherrn; ſo kann er ſolche Leute zu<lb/>
Richtern verſchreiben, die in dem Lande, wo ſie nach ihrer<lb/>
Weisheit und Billigkeit verfahren ſollen, nichts eignes haben<lb/>
und keinem genoß ſind; die aus der Tuͤrkey oder Tartarey zu<lb/>
Hauſe ſind, und es nach unverwerflichen Gruͤnden zeigen koͤn-<lb/>
nen, daß es vernuͤnftiger ſey, die Beinkleider als den Huth<lb/>
unter den Arm zu nehmen ..........</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#aq">LII.</hi></fw><lb/></body></text></TEI>
[306/0324]
Ueber die Art und Weiſe wie unſre Vorfahren ꝛc.
Das ſonderbarſte bey dem allen iſt die Wendung, welche
die Sachen genommen haben. So lange die Schoͤpfen eine
ſtreitige Sache, nachdem was ihnen gemeinnuͤtzig und billig
duͤnkte, entſcheiden, vergleichen oder abmachen mochten,
wurde durchaus erfordert, daß ſie den Partheyen ebenbuͤrtig
und genoß waren. So bald aber die Kunſt ſtreitige Sachen
zu entſcheiden, ſich auf die beſte Auslegung und Anwendung
der Geſetze gruͤndete, ward der gelehrteſte und redlichſte Mann
fuͤr den beſten Richter gehalten; der Edelmann verlohr mit
Recht ſeinen Stuhl im Gerichte, ſo bald er ſich weniger auf
jene Kunſt legte.
Die gefaͤhrlichſte Wendung aber, welche wir zu befuͤrch-
ten haben, iſt nun dieſe, daß ungenoſſen Richtern eben die
Macht gegeben werde, welche vordem die Genoſſen hatten.
Wenn dieſen, wie jenen, die Vollmacht ertheilet wird, blos nach
der Billigkeit und nachdem, was ihnen Gemeinnuͤtzig oder Po-
liceymaͤßig duͤnket, zu entſcheiden; wenn dieſen erlaubt wird,
nach dem gewoͤhnlichen Ausdruck, mit Hindanſetzungen un-
noͤthiger Formalitaͤten zu verfahren; wenn dieſe von dem duͤr-
ren Buchſtaben der Geſetze nur einen Haarbreit abweichen
duͤrfen: ſo beruht Freyheit und Eigenthum einzig und allein
auf der Gnade des Landesherrn; ſo kann er ſolche Leute zu
Richtern verſchreiben, die in dem Lande, wo ſie nach ihrer
Weisheit und Billigkeit verfahren ſollen, nichts eignes haben
und keinem genoß ſind; die aus der Tuͤrkey oder Tartarey zu
Hauſe ſind, und es nach unverwerflichen Gruͤnden zeigen koͤn-
nen, daß es vernuͤnftiger ſey, die Beinkleider als den Huth
unter den Arm zu nehmen ..........
LII.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/324>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.