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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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wie unsre Vorfahren die Proc. abgekürzet haben.
hatten, sie mochten nun dazu erwählt oder bestellet seyn, er-
öfneten, was sie gut und billig b) befanden, und die Par-
theyen mußten dies für Recht annehmen. Ihre Vollmacht
war also von ungleich weitern Umfange als die Vollmacht
unsrer heutigen Richter, die auf Gesetze und Ordnung schwe-
ren, und an dem traurigen Buchstaben kleben müssen. Wenn
man von diesen viere so lange zwischen Bielefeld und Herford
reisen lassen wollte, bis sie ein Urtheil gefunden hätten; so
würde oftmals ein Gewissenszwang mit eintreten können.
Wenn man aber vier Leute mit der Vollmacht erwählt, die
Sache nach ihrem Gut- und Billigfinden abzuthun: so ist es
ihre Schuld, wenn sie sich nicht endlich müde zanken und ver-
einigen. Vier ehrliche Leute von beyden Seiten, die sich
alle Tage quälen, und nur stündlich ein Haarbeit gegen ein-
ander nachgeben, müssen endlich auf eine Linie zusammen tref-
fen, welche für beyde Theile von dem mindesten Nachtheile
ist. Und die Parthey so sich damit nicht beruhiget, verräth
eine eitle Zanksucht.

Wenn man mit dieser Voraussetzung auf die Sorgfalt
zurückgeht, womit unsere Vorfahren darauf bestunden, daß
jeder Parthey nicht allein ebenbürtige sondern auch Gerichts-
genosse Urtheilsweiser gegeben werden mußten: so fühlt man
erst, wie groß ihre Einsicht gewesen. Denn vier Fürsten
konnten die Sache eines Edelmanns nicht damit entscheiden,
daß sie sagten: sie fänden es so gut und billig. Vier Edel-
leute konnten auf diese Weise eben wenig die Sache eines
Bürgers richten; und vier Bürger waren auch allerdings un-
befugt den Proceß zwischen zweyen Landleuten gleichsam nach

ih-
b) Jus est ars boni et aequi. Diese Definition will viel
sagen; das bonum ist quod convenit fini societatis;
das aequum quod cum minimo damno sociorum
obtinentur.
T 5

wie unſre Vorfahren die Proc. abgekuͤrzet haben.
hatten, ſie mochten nun dazu erwaͤhlt oder beſtellet ſeyn, er-
oͤfneten, was ſie gut und billig b) befanden, und die Par-
theyen mußten dies fuͤr Recht annehmen. Ihre Vollmacht
war alſo von ungleich weitern Umfange als die Vollmacht
unſrer heutigen Richter, die auf Geſetze und Ordnung ſchwe-
ren, und an dem traurigen Buchſtaben kleben muͤſſen. Wenn
man von dieſen viere ſo lange zwiſchen Bielefeld und Herford
reiſen laſſen wollte, bis ſie ein Urtheil gefunden haͤtten; ſo
wuͤrde oftmals ein Gewiſſenszwang mit eintreten koͤnnen.
Wenn man aber vier Leute mit der Vollmacht erwaͤhlt, die
Sache nach ihrem Gut- und Billigfinden abzuthun: ſo iſt es
ihre Schuld, wenn ſie ſich nicht endlich muͤde zanken und ver-
einigen. Vier ehrliche Leute von beyden Seiten, die ſich
alle Tage quaͤlen, und nur ſtuͤndlich ein Haarbeit gegen ein-
ander nachgeben, muͤſſen endlich auf eine Linie zuſammen tref-
fen, welche fuͤr beyde Theile von dem mindeſten Nachtheile
iſt. Und die Parthey ſo ſich damit nicht beruhiget, verraͤth
eine eitle Zankſucht.

Wenn man mit dieſer Vorausſetzung auf die Sorgfalt
zuruͤckgeht, womit unſere Vorfahren darauf beſtunden, daß
jeder Parthey nicht allein ebenbuͤrtige ſondern auch Gerichts-
genoſſe Urtheilsweiſer gegeben werden mußten: ſo fuͤhlt man
erſt, wie groß ihre Einſicht geweſen. Denn vier Fuͤrſten
konnten die Sache eines Edelmanns nicht damit entſcheiden,
daß ſie ſagten: ſie fänden es ſo gut und billig. Vier Edel-
leute konnten auf dieſe Weiſe eben wenig die Sache eines
Buͤrgers richten; und vier Buͤrger waren auch allerdings un-
befugt den Proceß zwiſchen zweyen Landleuten gleichſam nach

ih-
b) Jus eſt ars boni et æqui. Dieſe Definition will viel
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[297/0315] wie unſre Vorfahren die Proc. abgekuͤrzet haben. hatten, ſie mochten nun dazu erwaͤhlt oder beſtellet ſeyn, er- oͤfneten, was ſie gut und billig b) befanden, und die Par- theyen mußten dies fuͤr Recht annehmen. Ihre Vollmacht war alſo von ungleich weitern Umfange als die Vollmacht unſrer heutigen Richter, die auf Geſetze und Ordnung ſchwe- ren, und an dem traurigen Buchſtaben kleben muͤſſen. Wenn man von dieſen viere ſo lange zwiſchen Bielefeld und Herford reiſen laſſen wollte, bis ſie ein Urtheil gefunden haͤtten; ſo wuͤrde oftmals ein Gewiſſenszwang mit eintreten koͤnnen. Wenn man aber vier Leute mit der Vollmacht erwaͤhlt, die Sache nach ihrem Gut- und Billigfinden abzuthun: ſo iſt es ihre Schuld, wenn ſie ſich nicht endlich muͤde zanken und ver- einigen. Vier ehrliche Leute von beyden Seiten, die ſich alle Tage quaͤlen, und nur ſtuͤndlich ein Haarbeit gegen ein- ander nachgeben, muͤſſen endlich auf eine Linie zuſammen tref- fen, welche fuͤr beyde Theile von dem mindeſten Nachtheile iſt. Und die Parthey ſo ſich damit nicht beruhiget, verraͤth eine eitle Zankſucht. Wenn man mit dieſer Vorausſetzung auf die Sorgfalt zuruͤckgeht, womit unſere Vorfahren darauf beſtunden, daß jeder Parthey nicht allein ebenbuͤrtige ſondern auch Gerichts- genoſſe Urtheilsweiſer gegeben werden mußten: ſo fuͤhlt man erſt, wie groß ihre Einſicht geweſen. Denn vier Fuͤrſten konnten die Sache eines Edelmanns nicht damit entſcheiden, daß ſie ſagten: ſie fänden es ſo gut und billig. Vier Edel- leute konnten auf dieſe Weiſe eben wenig die Sache eines Buͤrgers richten; und vier Buͤrger waren auch allerdings un- befugt den Proceß zwiſchen zweyen Landleuten gleichſam nach ih- b) Jus eſt ars boni et æqui. Dieſe Definition will viel ſagen; das bonum iſt quod convenit fini ſocietatis; das æquum quod cum minimo damno ſociorum obtinentur. T 5

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/315>, abgerufen am 25.11.2024.