und die Heuerleute zu reizen, durch Uebernehmung mehrer Lasten, sich den Weg zur gemeinen Ehre zu eröfnen. Durch die heutige Vermischung laufen wir Gefahr alles in Heuer leute zu verwandeln.
Die Folgen des Reichsabschiedes sind würklich traurig, für Gilden und Zünfte gewesen. Denn dadurch, daß ihre Ehre solchergestalt, und ihre Classe zerstöret ist, wird es al- mählich verächtlich sich in eine Zunft zu begeben. Nur in England verschmäht es der König nicht. Der Reiche wird lieber ein sogenannter Fabricant; und die etwas Vermögen haben, kaufen sich Adelbriefe, um aus der siebenden Classe in eine höhere zu kommen. Die Politik unser Vorfahren war unendlich feiner, und nach ihren Grundsätzen solte die ge- meine Ehre eben so sorgfältig bewahret werden, als die Hohe, weil der Stand der gemeinen Ehre alle Lasten trägt, und dem Staat daran gelegen ist, daß sich solcher täglich vermehre, welches gewiß nicht dadurch geschicht, daß er beschimpft wird. So wenig der Kayser einen aus der siebenden Classe Stifts- fähig machen kann: so wenig hätte er jemand aus der Classe ohne Ehre Zunftfähig machen sollen.
Allein diejenigen, so den Reichsabschied verfertigten, waren nicht aus der siebenden Classe; diese fühlten nur für sich und nicht für andre. Sie dachten wie vor Höchstgedach- ter Reichsfürst, ohne es öffentlich zu sagen. In der That aber war es eine fehlerhafte Gesetzgebung, daß solchergestalt ein Stand über den richtete. Der gemeine Soldat kann nicht verurtheilet werden, ohne daß nicht zwey seiner Cameraden mit zu Gerichte kommen. Und der Reichsabschied hätte nach den Grundsätzen der deutschen Gesetzgebung nicht ohne beson- dere Deputirte aus der siebenden Classe verfertiget werden sol- len. Diese verliert auf einmal Freyheit und Eigenthum, so bald man ihr ohne ihre Einwilligung willkührliche Gesetze ge-
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daß ſie viele Leute ehrlich gemacht haben?
und die Heuerleute zu reizen, durch Uebernehmung mehrer Laſten, ſich den Weg zur gemeinen Ehre zu eroͤfnen. Durch die heutige Vermiſchung laufen wir Gefahr alles in Heuer leute zu verwandeln.
Die Folgen des Reichsabſchiedes ſind wuͤrklich traurig, fuͤr Gilden und Zuͤnfte geweſen. Denn dadurch, daß ihre Ehre ſolchergeſtalt, und ihre Claſſe zerſtoͤret iſt, wird es al- maͤhlich veraͤchtlich ſich in eine Zunft zu begeben. Nur in England verſchmaͤht es der Koͤnig nicht. Der Reiche wird lieber ein ſogenannter Fabricant; und die etwas Vermoͤgen haben, kaufen ſich Adelbriefe, um aus der ſiebenden Claſſe in eine hoͤhere zu kommen. Die Politik unſer Vorfahren war unendlich feiner, und nach ihren Grundſaͤtzen ſolte die ge- meine Ehre eben ſo ſorgfaͤltig bewahret werden, als die Hohe, weil der Stand der gemeinen Ehre alle Laſten traͤgt, und dem Staat daran gelegen iſt, daß ſich ſolcher taͤglich vermehre, welches gewiß nicht dadurch geſchicht, daß er beſchimpft wird. So wenig der Kayſer einen aus der ſiebenden Claſſe Stifts- faͤhig machen kann: ſo wenig haͤtte er jemand aus der Claſſe ohne Ehre Zunftfaͤhig machen ſollen.
Allein diejenigen, ſo den Reichsabſchied verfertigten, waren nicht aus der ſiebenden Claſſe; dieſe fuͤhlten nur fuͤr ſich und nicht fuͤr andre. Sie dachten wie vor Hoͤchſtgedach- ter Reichsfuͤrſt, ohne es oͤffentlich zu ſagen. In der That aber war es eine fehlerhafte Geſetzgebung, daß ſolchergeſtalt ein Stand uͤber den richtete. Der gemeine Soldat kann nicht verurtheilet werden, ohne daß nicht zwey ſeiner Cameraden mit zu Gerichte kommen. Und der Reichsabſchied haͤtte nach den Grundſaͤtzen der deutſchen Geſetzgebung nicht ohne beſon- dere Deputirte aus der ſiebenden Claſſe verfertiget werden ſol- len. Dieſe verliert auf einmal Freyheit und Eigenthum, ſo bald man ihr ohne ihre Einwilligung willkuͤhrliche Geſetze ge-
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daß ſie viele Leute ehrlich gemacht haben?
und die Heuerleute zu reizen, durch Uebernehmung mehrer
Laſten, ſich den Weg zur gemeinen Ehre zu eroͤfnen. Durch
die heutige Vermiſchung laufen wir Gefahr alles in Heuer
leute zu verwandeln.
Die Folgen des Reichsabſchiedes ſind wuͤrklich traurig,
fuͤr Gilden und Zuͤnfte geweſen. Denn dadurch, daß ihre
Ehre ſolchergeſtalt, und ihre Claſſe zerſtoͤret iſt, wird es al-
maͤhlich veraͤchtlich ſich in eine Zunft zu begeben. Nur in
England verſchmaͤht es der Koͤnig nicht. Der Reiche wird
lieber ein ſogenannter Fabricant; und die etwas Vermoͤgen
haben, kaufen ſich Adelbriefe, um aus der ſiebenden Claſſe
in eine hoͤhere zu kommen. Die Politik unſer Vorfahren
war unendlich feiner, und nach ihren Grundſaͤtzen ſolte die ge-
meine Ehre eben ſo ſorgfaͤltig bewahret werden, als die Hohe,
weil der Stand der gemeinen Ehre alle Laſten traͤgt, und dem
Staat daran gelegen iſt, daß ſich ſolcher taͤglich vermehre,
welches gewiß nicht dadurch geſchicht, daß er beſchimpft wird.
So wenig der Kayſer einen aus der ſiebenden Claſſe Stifts-
faͤhig machen kann: ſo wenig haͤtte er jemand aus der Claſſe
ohne Ehre Zunftfaͤhig machen ſollen.
Allein diejenigen, ſo den Reichsabſchied verfertigten,
waren nicht aus der ſiebenden Claſſe; dieſe fuͤhlten nur fuͤr
ſich und nicht fuͤr andre. Sie dachten wie vor Hoͤchſtgedach-
ter Reichsfuͤrſt, ohne es oͤffentlich zu ſagen. In der That
aber war es eine fehlerhafte Geſetzgebung, daß ſolchergeſtalt
ein Stand uͤber den richtete. Der gemeine Soldat kann nicht
verurtheilet werden, ohne daß nicht zwey ſeiner Cameraden
mit zu Gerichte kommen. Und der Reichsabſchied haͤtte nach
den Grundſaͤtzen der deutſchen Geſetzgebung nicht ohne beſon-
dere Deputirte aus der ſiebenden Claſſe verfertiget werden ſol-
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/309>, abgerufen am 22.07.2024.
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