XXXXI. Schreiben eines reisenden Gasconiers an den Herrn Schulmeister.
Euer Wohlehrwürden mögen mir noch so viel zum Lobe ihres Vaterlandes sagen: so kann ich es ihnen doch nicht verheelen, daß ich noch zur Zeit, ohnerachtet ich zu Lande und zur See gereiset bin, kein Land angetroffen habe, worinn es weniger Originalnarren giebt als in dem ihrigen. Ich bin meines Handwerks ein Comödienschreiber, und in der Absicht zu ihnen gereiset, um einige besondre lächerliche Charaktere für meine Bühne bey ihnen aufzusuchen; so wie mancher in die Fremde reiset, um Löwen und Meerkatzen oder andre seltne Thiere zu erhandeln. Allein es ist mir in dero Heymath kein Narr vorgekommen, wovon ich es der Mühe werth ge- achtet hätte, eine Schilderung mit zunehmen. Dies bewei- set denn doch wohl unstreitig, daß Sie auch keine große Ge- nies unter sich haben.
Ich will Ihnen den Ruhm von guten ehrlichen und fleißigen Leuten nicht absprechen. Allein dergleichen findet man überall; und wenn man einen gesehen hat: so hat man sie alle gesehen. Es liegt mir auch nichts daran, wie wiel Menschengesichter sich in ihrem Lande befinden, wenn sie alle die Nasen auf einer Stelle haben. Die Hauptsache ist jetzt Wunder der Natur zu sehen, und bey mir kommt hinzu, sie vor Geld sehen zu lassen.
Anfangs glaubte ich, der Fehler dieser Einförmigkeit wäre blos den gemeinen Leuten in ihrem Lande eigen; und ich hoffte noch immer unter den Vornehmen, oder doch wenig-
stens
Q 4
XXXXI. Schreiben eines reiſenden Gaſconiers an den Herrn Schulmeiſter.
Euer Wohlehrwuͤrden moͤgen mir noch ſo viel zum Lobe ihres Vaterlandes ſagen: ſo kann ich es ihnen doch nicht verheelen, daß ich noch zur Zeit, ohnerachtet ich zu Lande und zur See gereiſet bin, kein Land angetroffen habe, worinn es weniger Originalnarren giebt als in dem ihrigen. Ich bin meines Handwerks ein Comoͤdienſchreiber, und in der Abſicht zu ihnen gereiſet, um einige beſondre laͤcherliche Charaktere fuͤr meine Buͤhne bey ihnen aufzuſuchen; ſo wie mancher in die Fremde reiſet, um Loͤwen und Meerkatzen oder andre ſeltne Thiere zu erhandeln. Allein es iſt mir in dero Heymath kein Narr vorgekommen, wovon ich es der Muͤhe werth ge- achtet haͤtte, eine Schilderung mit zunehmen. Dies bewei- ſet denn doch wohl unſtreitig, daß Sie auch keine große Ge- nies unter ſich haben.
Ich will Ihnen den Ruhm von guten ehrlichen und fleißigen Leuten nicht abſprechen. Allein dergleichen findet man uͤberall; und wenn man einen geſehen hat: ſo hat man ſie alle geſehen. Es liegt mir auch nichts daran, wie wiel Menſchengeſichter ſich in ihrem Lande befinden, wenn ſie alle die Naſen auf einer Stelle haben. Die Hauptſache iſt jetzt Wunder der Natur zu ſehen, und bey mir kommt hinzu, ſie vor Geld ſehen zu laſſen.
Anfangs glaubte ich, der Fehler dieſer Einfoͤrmigkeit waͤre blos den gemeinen Leuten in ihrem Lande eigen; und ich hoffte noch immer unter den Vornehmen, oder doch wenig-
ſtens
Q 4
<TEI><text><body><pbfacs="#f0265"n="247"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">XXXXI.</hi><lb/>
Schreiben eines reiſenden Gaſconiers an<lb/>
den Herrn Schulmeiſter.</hi></head><lb/><p>Euer Wohlehrwuͤrden moͤgen mir noch ſo viel zum Lobe<lb/>
ihres Vaterlandes ſagen: ſo kann ich es ihnen doch nicht<lb/>
verheelen, daß ich noch zur Zeit, ohnerachtet ich zu Lande und<lb/>
zur See gereiſet bin, kein Land angetroffen habe, worinn es<lb/>
weniger Originalnarren giebt als in dem ihrigen. Ich bin<lb/>
meines Handwerks ein Comoͤdienſchreiber, und in der Abſicht<lb/>
zu ihnen gereiſet, um einige beſondre laͤcherliche Charaktere<lb/>
fuͤr meine Buͤhne bey ihnen aufzuſuchen; ſo wie mancher in<lb/>
die Fremde reiſet, um Loͤwen und Meerkatzen oder andre ſeltne<lb/>
Thiere zu erhandeln. Allein es iſt mir in dero Heymath<lb/>
kein Narr vorgekommen, wovon ich es der Muͤhe werth ge-<lb/>
achtet haͤtte, eine Schilderung mit zunehmen. Dies bewei-<lb/>ſet denn doch wohl unſtreitig, daß Sie auch keine große Ge-<lb/>
nies unter ſich haben.</p><lb/><p>Ich will Ihnen den Ruhm von guten ehrlichen und<lb/>
fleißigen Leuten nicht abſprechen. Allein dergleichen findet<lb/>
man uͤberall; und wenn man einen geſehen hat: ſo hat man<lb/>ſie alle geſehen. Es liegt mir auch nichts daran, wie wiel<lb/>
Menſchengeſichter ſich in ihrem Lande befinden, wenn ſie alle<lb/>
die Naſen auf einer Stelle haben. Die Hauptſache iſt jetzt<lb/>
Wunder der Natur zu ſehen, und bey mir kommt hinzu, ſie<lb/>
vor Geld ſehen zu laſſen.</p><lb/><p>Anfangs glaubte ich, der Fehler dieſer Einfoͤrmigkeit<lb/>
waͤre blos den gemeinen Leuten in ihrem Lande eigen; und<lb/>
ich hoffte noch immer unter den Vornehmen, oder doch wenig-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Q 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſtens</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[247/0265]
XXXXI.
Schreiben eines reiſenden Gaſconiers an
den Herrn Schulmeiſter.
Euer Wohlehrwuͤrden moͤgen mir noch ſo viel zum Lobe
ihres Vaterlandes ſagen: ſo kann ich es ihnen doch nicht
verheelen, daß ich noch zur Zeit, ohnerachtet ich zu Lande und
zur See gereiſet bin, kein Land angetroffen habe, worinn es
weniger Originalnarren giebt als in dem ihrigen. Ich bin
meines Handwerks ein Comoͤdienſchreiber, und in der Abſicht
zu ihnen gereiſet, um einige beſondre laͤcherliche Charaktere
fuͤr meine Buͤhne bey ihnen aufzuſuchen; ſo wie mancher in
die Fremde reiſet, um Loͤwen und Meerkatzen oder andre ſeltne
Thiere zu erhandeln. Allein es iſt mir in dero Heymath
kein Narr vorgekommen, wovon ich es der Muͤhe werth ge-
achtet haͤtte, eine Schilderung mit zunehmen. Dies bewei-
ſet denn doch wohl unſtreitig, daß Sie auch keine große Ge-
nies unter ſich haben.
Ich will Ihnen den Ruhm von guten ehrlichen und
fleißigen Leuten nicht abſprechen. Allein dergleichen findet
man uͤberall; und wenn man einen geſehen hat: ſo hat man
ſie alle geſehen. Es liegt mir auch nichts daran, wie wiel
Menſchengeſichter ſich in ihrem Lande befinden, wenn ſie alle
die Naſen auf einer Stelle haben. Die Hauptſache iſt jetzt
Wunder der Natur zu ſehen, und bey mir kommt hinzu, ſie
vor Geld ſehen zu laſſen.
Anfangs glaubte ich, der Fehler dieſer Einfoͤrmigkeit
waͤre blos den gemeinen Leuten in ihrem Lande eigen; und
ich hoffte noch immer unter den Vornehmen, oder doch wenig-
ſtens
Q 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/265>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.