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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Klage wider die Packenträger.
ihrer Tochter im sitzenen Camisole, beym nächsten Kirchgange
nicht schämen dürfe. Dem Knechte gefallen die schönen sei-
denen Halstücher, die großen silbernen Schnallen, der hübsch
beschlagene Pfeifenkopf; und andre entbehrliche Kleinigkei-
ten, welche ihm die Wirthin aus Höflichkeit gegen den Packen-
träger anpreiset; und dieser, der gern eine Zeitlang borget,
wenn er nur die Hälfte, als den wahren Werth bezahlt er-
hält, geht freudig weiter, um eine andre Frau Nachbarin
zur Nachfolge zu ermuntern. Er hat von allen was sich für
jeden Stand paßt, und weis einer jeden gerade das anzuprei-
sen, was sich am besten für sie schickt. Das Vermögen aller
Familien ist ihm bekannt; er weis wie die Frau mit dem
Manne steht, und nimmt die Zeit wahr, jene heimlich zu be-
reden, wenn der grämliche Wirth nicht zu Hause ist. Kurz,
der Packenträger ist der Modekrämer der Landwirthinnen,
und verführt sie zu Dingen, woran sie ohne ihm niemals ge-
dacht haben würden.

Solche gefährliche Leute sollten in einem Staate um so
viel weniger gedultet werden, da es mehrentheils Ausländer
sind, die unsre Thorheit in Contribution setzen; und keine
funfzig Jahr hingehen werden, daß nicht die Franzosen, wel-
che seit dem letzten Kriege die offne Handelsfreyheit der
Stifter bemerkt haben, in dem Besitze dieses ganzen Handels
seyn werden. Wir sehen schon wie sie sich täglich vermehren;
und wie Leute, die im Jahr 1763 noch mit einigen Stücken
Cammertuche aus Champagne und den Lüttichischen herunter
schlichen, jezt mit Pariser Nippes auf den Posten reisen, und
ganze Ballen nachkommen lassen. Knaben die zuerst mit
Chansons handelten, sind große Libraires Ambulans gewor-
den, und versorgen uns mit den Fabrik-Romans, die vorhin
nach Canada zu gehen pflegten. Wie häufig kommen nicht
die Mützenprinzeßinnen? Und wie leicht ist es möglich, daß

sie

Klage wider die Packentraͤger.
ihrer Tochter im ſitzenen Camiſole, beym naͤchſten Kirchgange
nicht ſchaͤmen duͤrfe. Dem Knechte gefallen die ſchoͤnen ſei-
denen Halstuͤcher, die großen ſilbernen Schnallen, der huͤbſch
beſchlagene Pfeifenkopf; und andre entbehrliche Kleinigkei-
ten, welche ihm die Wirthin aus Hoͤflichkeit gegen den Packen-
traͤger anpreiſet; und dieſer, der gern eine Zeitlang borget,
wenn er nur die Haͤlfte, als den wahren Werth bezahlt er-
haͤlt, geht freudig weiter, um eine andre Frau Nachbarin
zur Nachfolge zu ermuntern. Er hat von allen was ſich fuͤr
jeden Stand paßt, und weis einer jeden gerade das anzuprei-
ſen, was ſich am beſten fuͤr ſie ſchickt. Das Vermoͤgen aller
Familien iſt ihm bekannt; er weis wie die Frau mit dem
Manne ſteht, und nimmt die Zeit wahr, jene heimlich zu be-
reden, wenn der graͤmliche Wirth nicht zu Hauſe iſt. Kurz,
der Packentraͤger iſt der Modekraͤmer der Landwirthinnen,
und verfuͤhrt ſie zu Dingen, woran ſie ohne ihm niemals ge-
dacht haben wuͤrden.

Solche gefaͤhrliche Leute ſollten in einem Staate um ſo
viel weniger gedultet werden, da es mehrentheils Auslaͤnder
ſind, die unſre Thorheit in Contribution ſetzen; und keine
funfzig Jahr hingehen werden, daß nicht die Franzoſen, wel-
che ſeit dem letzten Kriege die offne Handelsfreyheit der
Stifter bemerkt haben, in dem Beſitze dieſes ganzen Handels
ſeyn werden. Wir ſehen ſchon wie ſie ſich taͤglich vermehren;
und wie Leute, die im Jahr 1763 noch mit einigen Stuͤcken
Cammertuche aus Champagne und den Luͤttichiſchen herunter
ſchlichen, jezt mit Pariſer Nippes auf den Poſten reiſen, und
ganze Ballen nachkommen laſſen. Knaben die zuerſt mit
Chanſons handelten, ſind große Libraires Ambulans gewor-
den, und verſorgen uns mit den Fabrik-Romans, die vorhin
nach Canada zu gehen pflegten. Wie haͤufig kommen nicht
die Muͤtzenprinzeßinnen? Und wie leicht iſt es moͤglich, daß

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[221/0239] Klage wider die Packentraͤger. ihrer Tochter im ſitzenen Camiſole, beym naͤchſten Kirchgange nicht ſchaͤmen duͤrfe. Dem Knechte gefallen die ſchoͤnen ſei- denen Halstuͤcher, die großen ſilbernen Schnallen, der huͤbſch beſchlagene Pfeifenkopf; und andre entbehrliche Kleinigkei- ten, welche ihm die Wirthin aus Hoͤflichkeit gegen den Packen- traͤger anpreiſet; und dieſer, der gern eine Zeitlang borget, wenn er nur die Haͤlfte, als den wahren Werth bezahlt er- haͤlt, geht freudig weiter, um eine andre Frau Nachbarin zur Nachfolge zu ermuntern. Er hat von allen was ſich fuͤr jeden Stand paßt, und weis einer jeden gerade das anzuprei- ſen, was ſich am beſten fuͤr ſie ſchickt. Das Vermoͤgen aller Familien iſt ihm bekannt; er weis wie die Frau mit dem Manne ſteht, und nimmt die Zeit wahr, jene heimlich zu be- reden, wenn der graͤmliche Wirth nicht zu Hauſe iſt. Kurz, der Packentraͤger iſt der Modekraͤmer der Landwirthinnen, und verfuͤhrt ſie zu Dingen, woran ſie ohne ihm niemals ge- dacht haben wuͤrden. Solche gefaͤhrliche Leute ſollten in einem Staate um ſo viel weniger gedultet werden, da es mehrentheils Auslaͤnder ſind, die unſre Thorheit in Contribution ſetzen; und keine funfzig Jahr hingehen werden, daß nicht die Franzoſen, wel- che ſeit dem letzten Kriege die offne Handelsfreyheit der Stifter bemerkt haben, in dem Beſitze dieſes ganzen Handels ſeyn werden. Wir ſehen ſchon wie ſie ſich taͤglich vermehren; und wie Leute, die im Jahr 1763 noch mit einigen Stuͤcken Cammertuche aus Champagne und den Luͤttichiſchen herunter ſchlichen, jezt mit Pariſer Nippes auf den Poſten reiſen, und ganze Ballen nachkommen laſſen. Knaben die zuerſt mit Chanſons handelten, ſind große Libraires Ambulans gewor- den, und verſorgen uns mit den Fabrik-Romans, die vorhin nach Canada zu gehen pflegten. Wie haͤufig kommen nicht die Muͤtzenprinzeßinnen? Und wie leicht iſt es moͤglich, daß ſie

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/239>, abgerufen am 25.11.2024.