Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Es bleibt beym Alten
Beweise von seiner Redlichkeit gegeben, wagt er es, Verzei-
hung für das vergangene zu erwarten und zu bitten. Ehen-
der kann er es nicht thun, ohne sich in seinen eignen Ge-
danken zu erniedrigen. Es fehlt ihm auch die Gelegenheit
zu jener Rechtfertigung, wofern wir ihn gleich durch verdiente
Vorwürfe beschämen und entfernen.

Dies wird aber doch wohl nur die Pflicht gegen solche
schuldige Freunde seyn, die würklich Verdienste haben?

Freylich; aber selten ist ein Mensch ohne einige Ver-
diensten; und man kann auch oft einen Bösewicht auf kurze
Zeit oder in einzelnen Geschäften ehrlich machen, wenn man
ihn für ehrlich hält, und Vertrauen auf ihn setzt. Es ge-
reicht der Tugend zur Ehre, daß auch der böseste Mensch
denjenigen ungern hintergehet, der ihm für einen rechtschaffe-
nen Mann hält. Glauben Sie, Ismene, daß ich nicht bis-
weilen in die Versuchung gerathen würde, Ihnen ungetreu zu
werden, wenn ich versichert wäre, daß Sie ein Mißtrauen in
mich setzten?

O schweigen Sie, Arist; oder ihre Gründe fangen an
bey mir allen ihren Werth zu verlieren.



XXXV.
Es bleibt beym Alten.

Es geht doch auch jetzt sehr weit in der Welt. Bisher sind
es nur die Gelehrten gewesen, welche uns Landleuten
den Vorwurf gemacht haben, daß wir so fest am Alten, als
der Rost am Eisen, klebten, und gar nichts neues versuchen
wollten; und diesen Gelehrten, unter deren Nachtmützen
nichts wie Projekte zur Verbesserung der Landesökonomie aus-

ge-

Es bleibt beym Alten
Beweiſe von ſeiner Redlichkeit gegeben, wagt er es, Verzei-
hung fuͤr das vergangene zu erwarten und zu bitten. Ehen-
der kann er es nicht thun, ohne ſich in ſeinen eignen Ge-
danken zu erniedrigen. Es fehlt ihm auch die Gelegenheit
zu jener Rechtfertigung, wofern wir ihn gleich durch verdiente
Vorwuͤrfe beſchaͤmen und entfernen.

Dies wird aber doch wohl nur die Pflicht gegen ſolche
ſchuldige Freunde ſeyn, die wuͤrklich Verdienſte haben?

Freylich; aber ſelten iſt ein Menſch ohne einige Ver-
dienſten; und man kann auch oft einen Boͤſewicht auf kurze
Zeit oder in einzelnen Geſchaͤften ehrlich machen, wenn man
ihn fuͤr ehrlich haͤlt, und Vertrauen auf ihn ſetzt. Es ge-
reicht der Tugend zur Ehre, daß auch der boͤſeſte Menſch
denjenigen ungern hintergehet, der ihm fuͤr einen rechtſchaffe-
nen Mann haͤlt. Glauben Sie, Iſmene, daß ich nicht bis-
weilen in die Verſuchung gerathen wuͤrde, Ihnen ungetreu zu
werden, wenn ich verſichert waͤre, daß Sie ein Mißtrauen in
mich ſetzten?

O ſchweigen Sie, Ariſt; oder ihre Gruͤnde fangen an
bey mir allen ihren Werth zu verlieren.



XXXV.
Es bleibt beym Alten.

Es geht doch auch jetzt ſehr weit in der Welt. Bisher ſind
es nur die Gelehrten geweſen, welche uns Landleuten
den Vorwurf gemacht haben, daß wir ſo feſt am Alten, als
der Roſt am Eiſen, klebten, und gar nichts neues verſuchen
wollten; und dieſen Gelehrten, unter deren Nachtmuͤtzen
nichts wie Projekte zur Verbeſſerung der Landesoͤkonomie aus-

ge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0234" n="216"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Es bleibt beym Alten</hi></fw><lb/>
Bewei&#x017F;e von &#x017F;einer Redlichkeit gegeben, wagt er es, Verzei-<lb/>
hung fu&#x0364;r das vergangene zu erwarten und zu bitten. Ehen-<lb/>
der kann er es nicht thun, ohne &#x017F;ich in &#x017F;einen eignen Ge-<lb/>
danken zu erniedrigen. Es fehlt ihm auch die Gelegenheit<lb/>
zu jener Rechtfertigung, wofern wir ihn gleich durch verdiente<lb/>
Vorwu&#x0364;rfe be&#x017F;cha&#x0364;men und entfernen.</p><lb/>
        <p>Dies wird aber doch wohl nur die Pflicht gegen &#x017F;olche<lb/>
&#x017F;chuldige Freunde &#x017F;eyn, die wu&#x0364;rklich Verdien&#x017F;te haben?</p><lb/>
        <p>Freylich; aber &#x017F;elten i&#x017F;t ein Men&#x017F;ch ohne einige Ver-<lb/>
dien&#x017F;ten; und man kann auch oft einen Bo&#x0364;&#x017F;ewicht auf kurze<lb/>
Zeit oder in einzelnen Ge&#x017F;cha&#x0364;ften ehrlich machen, wenn man<lb/>
ihn fu&#x0364;r ehrlich ha&#x0364;lt, und Vertrauen auf ihn &#x017F;etzt. Es ge-<lb/>
reicht der Tugend zur Ehre, daß auch der bo&#x0364;&#x017F;e&#x017F;te Men&#x017F;ch<lb/>
denjenigen ungern hintergehet, der ihm fu&#x0364;r einen recht&#x017F;chaffe-<lb/>
nen Mann ha&#x0364;lt. Glauben Sie, I&#x017F;mene, daß ich nicht bis-<lb/>
weilen in die Ver&#x017F;uchung gerathen wu&#x0364;rde, Ihnen ungetreu zu<lb/>
werden, wenn ich ver&#x017F;ichert wa&#x0364;re, daß Sie ein Mißtrauen in<lb/>
mich &#x017F;etzten?</p><lb/>
        <p>O &#x017F;chweigen Sie, Ari&#x017F;t; oder ihre Gru&#x0364;nde fangen an<lb/>
bey mir allen ihren Werth zu verlieren.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XXXV.</hi><lb/>
Es bleibt beym Alten.</hi> </head><lb/>
        <p>Es geht doch auch jetzt &#x017F;ehr weit in der Welt. Bisher &#x017F;ind<lb/>
es nur die Gelehrten gewe&#x017F;en, welche uns Landleuten<lb/>
den Vorwurf gemacht haben, daß wir &#x017F;o fe&#x017F;t am Alten, als<lb/>
der Ro&#x017F;t am Ei&#x017F;en, klebten, und gar nichts neues ver&#x017F;uchen<lb/>
wollten; und die&#x017F;en Gelehrten, unter deren Nachtmu&#x0364;tzen<lb/>
nichts wie Projekte zur Verbe&#x017F;&#x017F;erung der Landeso&#x0364;konomie aus-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ge-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0234] Es bleibt beym Alten Beweiſe von ſeiner Redlichkeit gegeben, wagt er es, Verzei- hung fuͤr das vergangene zu erwarten und zu bitten. Ehen- der kann er es nicht thun, ohne ſich in ſeinen eignen Ge- danken zu erniedrigen. Es fehlt ihm auch die Gelegenheit zu jener Rechtfertigung, wofern wir ihn gleich durch verdiente Vorwuͤrfe beſchaͤmen und entfernen. Dies wird aber doch wohl nur die Pflicht gegen ſolche ſchuldige Freunde ſeyn, die wuͤrklich Verdienſte haben? Freylich; aber ſelten iſt ein Menſch ohne einige Ver- dienſten; und man kann auch oft einen Boͤſewicht auf kurze Zeit oder in einzelnen Geſchaͤften ehrlich machen, wenn man ihn fuͤr ehrlich haͤlt, und Vertrauen auf ihn ſetzt. Es ge- reicht der Tugend zur Ehre, daß auch der boͤſeſte Menſch denjenigen ungern hintergehet, der ihm fuͤr einen rechtſchaffe- nen Mann haͤlt. Glauben Sie, Iſmene, daß ich nicht bis- weilen in die Verſuchung gerathen wuͤrde, Ihnen ungetreu zu werden, wenn ich verſichert waͤre, daß Sie ein Mißtrauen in mich ſetzten? O ſchweigen Sie, Ariſt; oder ihre Gruͤnde fangen an bey mir allen ihren Werth zu verlieren. XXXV. Es bleibt beym Alten. Es geht doch auch jetzt ſehr weit in der Welt. Bisher ſind es nur die Gelehrten geweſen, welche uns Landleuten den Vorwurf gemacht haben, daß wir ſo feſt am Alten, als der Roſt am Eiſen, klebten, und gar nichts neues verſuchen wollten; und dieſen Gelehrten, unter deren Nachtmuͤtzen nichts wie Projekte zur Verbeſſerung der Landesoͤkonomie aus- ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/234
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/234>, abgerufen am 21.11.2024.