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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Herrn Schwiegervater.

Beine und Hände gebrauchen, da vorher jede Furche für sie
ein fürchterlicher Grabe, und jeder Steig ein Riesengebür-
ge war.

Seitdem haben wir nun unsern neuen Plan noch mit
mehrer Ueberlegung ausgearbeitet. Das Cammer-Neglige,
welches sonst von acht Uhr bis um 10 des Morgens währete,
ist völlig abgeschaft; und so wie sie aufsteht, ist sie in ihrer
kurzen Kleidung geputzt. Das große Neglige, womit sie sonst
bey Tische erschiene; wird im Hause gar nicht mehr getragen;
und also auch des Nachmittages nicht zum drittenmal verän-
dert, wie sonst geschahe, wenn etwan ein Besuch vermuthet
wurde. Des Abends aber fällt der Nacht-Tisch von selbst
weg, indem keine tausend Nadeln auszuziehen, und keine
hundert kostbare Kleinigkeiten wegzukramen sind. Durch
diese Anstalten gewinnet sie täglich ein plus von acht Stun-
den in ihrem würklichen Leben; welche, da sie nun zum Be-
sten unsrer Haushaltung angewandt werden, mich nicht allein
vor Schaden bewahren, sondern auch durch Gottes Segen
in den Stand setzen werden, ein ehrlicher Mann zu bleiben.
Das Cammermädgen haben wir in ihrem größten Staat,
in unsrer besten Gutsche, nach der Stadt zurück geschickt;
und meine Frau und ich haben die Dame zu Pferde begleitet.
Denn sie reitet nun auch, und dies ist ein nützliches Vergnü-
gen, das den Körper stärkt, und den Muth des Geistes un-
terhält, welchen eine Landhaushaltung erfordert.

Wenn wir einen Besuch erhalten: so empfängt ihn
meine Frau in ihrer jetzt gewöhnlichen Kleidung, mit einem
so heroischen Anstande, daß ein jeder ihre großmüthige Ver-
leugnung bewundert. Da ihrem Anzuge an Reinlichkeit und
edler Schönheit nichts fehlet: so kann sie sich darinn zeigen,
ohne den Wohlstand zu verletzen; und unser Denkungsart

ist
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Herrn Schwiegervater.

Beine und Haͤnde gebrauchen, da vorher jede Furche fuͤr ſie
ein fuͤrchterlicher Grabe, und jeder Steig ein Rieſengebuͤr-
ge war.

Seitdem haben wir nun unſern neuen Plan noch mit
mehrer Ueberlegung ausgearbeitet. Das Cammer-Neglige,
welches ſonſt von acht Uhr bis um 10 des Morgens waͤhrete,
iſt voͤllig abgeſchaft; und ſo wie ſie aufſteht, iſt ſie in ihrer
kurzen Kleidung geputzt. Das große Neglige, womit ſie ſonſt
bey Tiſche erſchiene; wird im Hauſe gar nicht mehr getragen;
und alſo auch des Nachmittages nicht zum drittenmal veraͤn-
dert, wie ſonſt geſchahe, wenn etwan ein Beſuch vermuthet
wurde. Des Abends aber faͤllt der Nacht-Tiſch von ſelbſt
weg, indem keine tauſend Nadeln auszuziehen, und keine
hundert koſtbare Kleinigkeiten wegzukramen ſind. Durch
dieſe Anſtalten gewinnet ſie taͤglich ein plus von acht Stun-
den in ihrem wuͤrklichen Leben; welche, da ſie nun zum Be-
ſten unſrer Haushaltung angewandt werden, mich nicht allein
vor Schaden bewahren, ſondern auch durch Gottes Segen
in den Stand ſetzen werden, ein ehrlicher Mann zu bleiben.
Das Cammermaͤdgen haben wir in ihrem groͤßten Staat,
in unſrer beſten Gutſche, nach der Stadt zuruͤck geſchickt;
und meine Frau und ich haben die Dame zu Pferde begleitet.
Denn ſie reitet nun auch, und dies iſt ein nuͤtzliches Vergnuͤ-
gen, das den Koͤrper ſtaͤrkt, und den Muth des Geiſtes un-
terhaͤlt, welchen eine Landhaushaltung erfordert.

Wenn wir einen Beſuch erhalten: ſo empfaͤngt ihn
meine Frau in ihrer jetzt gewoͤhnlichen Kleidung, mit einem
ſo heroiſchen Anſtande, daß ein jeder ihre großmuͤthige Ver-
leugnung bewundert. Da ihrem Anzuge an Reinlichkeit und
edler Schoͤnheit nichts fehlet: ſo kann ſie ſich darinn zeigen,
ohne den Wohlſtand zu verletzen; und unſer Denkungsart

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[5/0023] Herrn Schwiegervater. Beine und Haͤnde gebrauchen, da vorher jede Furche fuͤr ſie ein fuͤrchterlicher Grabe, und jeder Steig ein Rieſengebuͤr- ge war. Seitdem haben wir nun unſern neuen Plan noch mit mehrer Ueberlegung ausgearbeitet. Das Cammer-Neglige, welches ſonſt von acht Uhr bis um 10 des Morgens waͤhrete, iſt voͤllig abgeſchaft; und ſo wie ſie aufſteht, iſt ſie in ihrer kurzen Kleidung geputzt. Das große Neglige, womit ſie ſonſt bey Tiſche erſchiene; wird im Hauſe gar nicht mehr getragen; und alſo auch des Nachmittages nicht zum drittenmal veraͤn- dert, wie ſonſt geſchahe, wenn etwan ein Beſuch vermuthet wurde. Des Abends aber faͤllt der Nacht-Tiſch von ſelbſt weg, indem keine tauſend Nadeln auszuziehen, und keine hundert koſtbare Kleinigkeiten wegzukramen ſind. Durch dieſe Anſtalten gewinnet ſie taͤglich ein plus von acht Stun- den in ihrem wuͤrklichen Leben; welche, da ſie nun zum Be- ſten unſrer Haushaltung angewandt werden, mich nicht allein vor Schaden bewahren, ſondern auch durch Gottes Segen in den Stand ſetzen werden, ein ehrlicher Mann zu bleiben. Das Cammermaͤdgen haben wir in ihrem groͤßten Staat, in unſrer beſten Gutſche, nach der Stadt zuruͤck geſchickt; und meine Frau und ich haben die Dame zu Pferde begleitet. Denn ſie reitet nun auch, und dies iſt ein nuͤtzliches Vergnuͤ- gen, das den Koͤrper ſtaͤrkt, und den Muth des Geiſtes un- terhaͤlt, welchen eine Landhaushaltung erfordert. Wenn wir einen Beſuch erhalten: ſo empfaͤngt ihn meine Frau in ihrer jetzt gewoͤhnlichen Kleidung, mit einem ſo heroiſchen Anſtande, daß ein jeder ihre großmuͤthige Ver- leugnung bewundert. Da ihrem Anzuge an Reinlichkeit und edler Schoͤnheit nichts fehlet: ſo kann ſie ſich darinn zeigen, ohne den Wohlſtand zu verletzen; und unſer Denkungsart iſt A 3

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/23>, abgerufen am 21.11.2024.