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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Von dem Verfall des Handwerks
man es für einen Schimpf geachtet hätte, diese Ehre mit ei-
nem Taglöhner zu theilen. Die sicherste Folge davon ist, daß
Taglöhner, Beywohner und alle Arten geringer Leute, welche
doch zum Flor der Manufakturen und zur wohlfeilen Hand
so unentbehrlich sind, schlechterdings unter der Bürgerschaft
nicht bestehen, und entweder auf befreyten Plätzen oder auf
dem Lande wohnen, mithin solchergestalt den städtischen We-
sen nicht zum Vortheil kommen können. Die bürgerliche Ehre
erwächst aus dem Vermögen viele Beschwerden freudig über-
stehen zu können. Und will ein Taglöhner diese Ehre haben:
so muß er Bürger werden, und seinen Antheil der Beschwerde
übernehmen. Allein es muß erst wieder eine Ehre werden,
das Bürgerrecht zu haben; und das kann allein durch eine
allgemeine Vereinigung der Reichsfürsten geschehen, wodurch
sie dem Bürger wieder zu seiner ehemaliger kriegerischen Ehre
verhelfen.

Die Menge von kleinen Territorien, und ihr beständi-
ger heimlicher Krieg gegen einander, mag füglich zur fünften
Ursache ihres Verfalls gezählet werden, besonders da so wenig
an Reichs- als Kreistagen die gemeine deutsche Wohlfahrt in
Handel und Wandel in einige Betrachtung gezogen wird.

Man muß erschrecken und lachen, wenn man an man-
che Kreistagesgeschäfte gedenkt. Vorzeiten, wie erfahrne
Canzler, Burgemeister und Syndici aus den Städten als
Gesandten auf den allgemeinen Reichstag geschickt wurden,
so las man in den Reichsabschieden noch wohl, daß kein un-
gefärbter Ingwer verkauft, kein ungenetzt und ungeschornes
Tuch ausgeschnitten, keines mit Teufelsfarbe gefärbt, keine
Häute ungesalzen verführt, keine Wolle ausserhalb Reichs ge-
bracht, und keinem Wandschneider ein dunkles Vordach ver-
stattet werden solle. *) Seitdem aber solche Herrn, de-

nen
*) S. die Policeyordnung von 1577. Tit. 20. 21. 22.

Von dem Verfall des Handwerks
man es fuͤr einen Schimpf geachtet haͤtte, dieſe Ehre mit ei-
nem Tagloͤhner zu theilen. Die ſicherſte Folge davon iſt, daß
Tagloͤhner, Beywohner und alle Arten geringer Leute, welche
doch zum Flor der Manufakturen und zur wohlfeilen Hand
ſo unentbehrlich ſind, ſchlechterdings unter der Buͤrgerſchaft
nicht beſtehen, und entweder auf befreyten Plaͤtzen oder auf
dem Lande wohnen, mithin ſolchergeſtalt den ſtaͤdtiſchen We-
ſen nicht zum Vortheil kommen koͤnnen. Die buͤrgerliche Ehre
erwaͤchſt aus dem Vermoͤgen viele Beſchwerden freudig uͤber-
ſtehen zu koͤnnen. Und will ein Tagloͤhner dieſe Ehre haben:
ſo muß er Buͤrger werden, und ſeinen Antheil der Beſchwerde
uͤbernehmen. Allein es muß erſt wieder eine Ehre werden,
das Buͤrgerrecht zu haben; und das kann allein durch eine
allgemeine Vereinigung der Reichsfuͤrſten geſchehen, wodurch
ſie dem Buͤrger wieder zu ſeiner ehemaliger kriegeriſchen Ehre
verhelfen.

Die Menge von kleinen Territorien, und ihr beſtaͤndi-
ger heimlicher Krieg gegen einander, mag fuͤglich zur fuͤnften
Urſache ihres Verfalls gezaͤhlet werden, beſonders da ſo wenig
an Reichs- als Kreistagen die gemeine deutſche Wohlfahrt in
Handel und Wandel in einige Betrachtung gezogen wird.

Man muß erſchrecken und lachen, wenn man an man-
che Kreistagesgeſchaͤfte gedenkt. Vorzeiten, wie erfahrne
Canzler, Burgemeiſter und Syndici aus den Staͤdten als
Geſandten auf den allgemeinen Reichstag geſchickt wurden,
ſo las man in den Reichsabſchieden noch wohl, daß kein un-
gefaͤrbter Ingwer verkauft, kein ungenetzt und ungeſchornes
Tuch ausgeſchnitten, keines mit Teufelsfarbe gefaͤrbt, keine
Haͤute ungeſalzen verfuͤhrt, keine Wolle auſſerhalb Reichs ge-
bracht, und keinem Wandſchneider ein dunkles Vordach ver-
ſtattet werden ſolle. *) Seitdem aber ſolche Herrn, de-

nen
*) S. die Policeyordnung von 1577. Tit. 20. 21. 22.
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[202/0220] Von dem Verfall des Handwerks man es fuͤr einen Schimpf geachtet haͤtte, dieſe Ehre mit ei- nem Tagloͤhner zu theilen. Die ſicherſte Folge davon iſt, daß Tagloͤhner, Beywohner und alle Arten geringer Leute, welche doch zum Flor der Manufakturen und zur wohlfeilen Hand ſo unentbehrlich ſind, ſchlechterdings unter der Buͤrgerſchaft nicht beſtehen, und entweder auf befreyten Plaͤtzen oder auf dem Lande wohnen, mithin ſolchergeſtalt den ſtaͤdtiſchen We- ſen nicht zum Vortheil kommen koͤnnen. Die buͤrgerliche Ehre erwaͤchſt aus dem Vermoͤgen viele Beſchwerden freudig uͤber- ſtehen zu koͤnnen. Und will ein Tagloͤhner dieſe Ehre haben: ſo muß er Buͤrger werden, und ſeinen Antheil der Beſchwerde uͤbernehmen. Allein es muß erſt wieder eine Ehre werden, das Buͤrgerrecht zu haben; und das kann allein durch eine allgemeine Vereinigung der Reichsfuͤrſten geſchehen, wodurch ſie dem Buͤrger wieder zu ſeiner ehemaliger kriegeriſchen Ehre verhelfen. Die Menge von kleinen Territorien, und ihr beſtaͤndi- ger heimlicher Krieg gegen einander, mag fuͤglich zur fuͤnften Urſache ihres Verfalls gezaͤhlet werden, beſonders da ſo wenig an Reichs- als Kreistagen die gemeine deutſche Wohlfahrt in Handel und Wandel in einige Betrachtung gezogen wird. Man muß erſchrecken und lachen, wenn man an man- che Kreistagesgeſchaͤfte gedenkt. Vorzeiten, wie erfahrne Canzler, Burgemeiſter und Syndici aus den Staͤdten als Geſandten auf den allgemeinen Reichstag geſchickt wurden, ſo las man in den Reichsabſchieden noch wohl, daß kein un- gefaͤrbter Ingwer verkauft, kein ungenetzt und ungeſchornes Tuch ausgeſchnitten, keines mit Teufelsfarbe gefaͤrbt, keine Haͤute ungeſalzen verfuͤhrt, keine Wolle auſſerhalb Reichs ge- bracht, und keinem Wandſchneider ein dunkles Vordach ver- ſtattet werden ſolle. *) Seitdem aber ſolche Herrn, de- nen *) S. die Policeyordnung von 1577. Tit. 20. 21. 22.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/220>, abgerufen am 22.11.2024.