Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine alltägliche Geschichte.
Ehre haben. Und der Unterbediente, insbesondere aber den
Untervogt und den Visitator besolden wir kärglich, damit diese
Leute nicht zu viel Zeit zum spintisiren haben, sondern beym
graben, spinnen und arbeiten vergessen mögen, wie sehr sie
die Bürger scheren können, wenn sie alles aufs schärfste suchen
und Knötgen zu Knoten machen wollen. Wenn dergleichen
Leute so viel Besoldung hätten, daß sie davon leben könnten:
so würden sie müßige Spionen abgeben, und nicht fürs ge-
meine Beste, sondern blos für die Casse sorgen. So sprach
mein voriger Herr, der Burgemeister, zum seligen Präsidenten.
Und ich habe seitdem allezeit gewünscht ein bemittelter Mann
zu seyn; das weis der liebe Himmel.

Ist deine Predigt aus, Johann? Nun so gehe hin,
und sage dem Thorschreiber, daß ihn der König seines Dienstes
in Gnaden erlassen, und dich wieder an seine Stelle gesetzt
habe. ............

Wer war vergnügter als Johann? Er ward Thorschrei-
ber und konnte nicht leben. Er heyrathete die Cammerjungfer
von der Frau Kriegsräthin, und konnte noch nicht leben. Er that
alle Tage zweymal die Augen zu, und konnte doch alle die
Saloppen von große Beaute, welche die junge Frau Thor-
schreiberin gebrauchte, nicht bezahlen. Sie machte ihn zum
Hahnrey, und dem allen ungeachtet, konnte auch sie nicht
leben. Sie kamen beyde ins Zuchthaus. Nun konnten sie
leben.



XXX.

Eine alltaͤgliche Geſchichte.
Ehre haben. Und der Unterbediente, insbeſondere aber den
Untervogt und den Viſitator beſolden wir kaͤrglich, damit dieſe
Leute nicht zu viel Zeit zum ſpintiſiren haben, ſondern beym
graben, ſpinnen und arbeiten vergeſſen moͤgen, wie ſehr ſie
die Buͤrger ſcheren koͤnnen, wenn ſie alles aufs ſchaͤrfſte ſuchen
und Knoͤtgen zu Knoten machen wollen. Wenn dergleichen
Leute ſo viel Beſoldung haͤtten, daß ſie davon leben koͤnnten:
ſo wuͤrden ſie muͤßige Spionen abgeben, und nicht fuͤrs ge-
meine Beſte, ſondern blos fuͤr die Caſſe ſorgen. So ſprach
mein voriger Herr, der Burgemeiſter, zum ſeligen Praͤſidenten.
Und ich habe ſeitdem allezeit gewuͤnſcht ein bemittelter Mann
zu ſeyn; das weis der liebe Himmel.

Iſt deine Predigt aus, Johann? Nun ſo gehe hin,
und ſage dem Thorſchreiber, daß ihn der Koͤnig ſeines Dienſtes
in Gnaden erlaſſen, und dich wieder an ſeine Stelle geſetzt
habe. ............

Wer war vergnuͤgter als Johann? Er ward Thorſchrei-
ber und konnte nicht leben. Er heyrathete die Cammerjungfer
von der Frau Kriegsraͤthin, und konnte noch nicht leben. Er that
alle Tage zweymal die Augen zu, und konnte doch alle die
Saloppen von große Beaute, welche die junge Frau Thor-
ſchreiberin gebrauchte, nicht bezahlen. Sie machte ihn zum
Hahnrey, und dem allen ungeachtet, konnte auch ſie nicht
leben. Sie kamen beyde ins Zuchthaus. Nun konnten ſie
leben.



XXX.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0193" n="175"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Eine allta&#x0364;gliche Ge&#x017F;chichte.</hi></fw><lb/>
Ehre haben. Und der Unterbediente, insbe&#x017F;ondere aber den<lb/>
Untervogt und den Vi&#x017F;itator be&#x017F;olden wir ka&#x0364;rglich, damit die&#x017F;e<lb/>
Leute nicht zu viel Zeit zum &#x017F;pinti&#x017F;iren haben, &#x017F;ondern beym<lb/>
graben, &#x017F;pinnen und arbeiten verge&#x017F;&#x017F;en mo&#x0364;gen, wie &#x017F;ehr &#x017F;ie<lb/>
die Bu&#x0364;rger &#x017F;cheren ko&#x0364;nnen, wenn &#x017F;ie alles aufs &#x017F;cha&#x0364;rf&#x017F;te &#x017F;uchen<lb/>
und Kno&#x0364;tgen zu Knoten machen wollen. Wenn dergleichen<lb/>
Leute &#x017F;o viel Be&#x017F;oldung ha&#x0364;tten, daß &#x017F;ie davon leben ko&#x0364;nnten:<lb/>
&#x017F;o wu&#x0364;rden &#x017F;ie mu&#x0364;ßige Spionen abgeben, und nicht fu&#x0364;rs ge-<lb/>
meine Be&#x017F;te, &#x017F;ondern blos fu&#x0364;r die Ca&#x017F;&#x017F;e &#x017F;orgen. So &#x017F;prach<lb/>
mein voriger Herr, der Burgemei&#x017F;ter, zum &#x017F;eligen Pra&#x0364;&#x017F;identen.<lb/>
Und ich habe &#x017F;eitdem allezeit gewu&#x0364;n&#x017F;cht ein bemittelter Mann<lb/>
zu &#x017F;eyn; das weis der liebe Himmel.</p><lb/>
        <p>I&#x017F;t deine Predigt aus, Johann? Nun &#x017F;o gehe hin,<lb/>
und &#x017F;age dem Thor&#x017F;chreiber, daß ihn der Ko&#x0364;nig &#x017F;eines Dien&#x017F;tes<lb/>
in Gnaden erla&#x017F;&#x017F;en, und dich wieder an &#x017F;eine Stelle ge&#x017F;etzt<lb/>
habe. ............</p><lb/>
        <p>Wer war vergnu&#x0364;gter als Johann? Er ward Thor&#x017F;chrei-<lb/>
ber und konnte nicht leben. Er heyrathete die Cammerjungfer<lb/>
von der Frau Kriegsra&#x0364;thin, und konnte noch nicht leben. Er that<lb/>
alle Tage zweymal die Augen zu, und konnte doch alle die<lb/>
Saloppen von <hi rendition="#fr">große Beaute,</hi> welche die junge Frau Thor-<lb/>
&#x017F;chreiberin gebrauchte, nicht bezahlen. Sie machte ihn zum<lb/>
Hahnrey, und dem allen ungeachtet, konnte auch &#x017F;ie nicht<lb/>
leben. Sie kamen beyde ins Zuchthaus. Nun konnten &#x017F;ie<lb/>
leben.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq">XXX.</hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0193] Eine alltaͤgliche Geſchichte. Ehre haben. Und der Unterbediente, insbeſondere aber den Untervogt und den Viſitator beſolden wir kaͤrglich, damit dieſe Leute nicht zu viel Zeit zum ſpintiſiren haben, ſondern beym graben, ſpinnen und arbeiten vergeſſen moͤgen, wie ſehr ſie die Buͤrger ſcheren koͤnnen, wenn ſie alles aufs ſchaͤrfſte ſuchen und Knoͤtgen zu Knoten machen wollen. Wenn dergleichen Leute ſo viel Beſoldung haͤtten, daß ſie davon leben koͤnnten: ſo wuͤrden ſie muͤßige Spionen abgeben, und nicht fuͤrs ge- meine Beſte, ſondern blos fuͤr die Caſſe ſorgen. So ſprach mein voriger Herr, der Burgemeiſter, zum ſeligen Praͤſidenten. Und ich habe ſeitdem allezeit gewuͤnſcht ein bemittelter Mann zu ſeyn; das weis der liebe Himmel. Iſt deine Predigt aus, Johann? Nun ſo gehe hin, und ſage dem Thorſchreiber, daß ihn der Koͤnig ſeines Dienſtes in Gnaden erlaſſen, und dich wieder an ſeine Stelle geſetzt habe. ............ Wer war vergnuͤgter als Johann? Er ward Thorſchrei- ber und konnte nicht leben. Er heyrathete die Cammerjungfer von der Frau Kriegsraͤthin, und konnte noch nicht leben. Er that alle Tage zweymal die Augen zu, und konnte doch alle die Saloppen von große Beaute, welche die junge Frau Thor- ſchreiberin gebrauchte, nicht bezahlen. Sie machte ihn zum Hahnrey, und dem allen ungeachtet, konnte auch ſie nicht leben. Sie kamen beyde ins Zuchthaus. Nun konnten ſie leben. XXX.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/193
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/193>, abgerufen am 23.11.2024.