er nicht leben kann; der Feldmarschall kann nicht leben, der Kriegesrath kann nicht leben, der Thorschreiber kann nicht leben, und vielleicht kannst du auch von den zehn Thalern, die ich dir des Jahrs gebe, nicht leben. Das ist mir ein Le- ben, wovon der Schluß allezeit ist, wir müssen Betrüger werden. Wenn ich dich zum Thorschreiber beförderte, und dies ist doch dein größter Wunsch; so würdest du ja auch nicht leben können?
Freylich nicht, Herr Kriegesrath; aber ich hätte denn doch bessere Gelegenheit als jetzt bey ihnen, meine fünf Sinne zu gebrauchen. Wenn ich alsdenn nur meine Augen des Ta- ges einmal zuthue: so stehe ich weit besser, als wenn ich sie bey ihnen Nacht und Tag aufsperre.
Und dennoch, du magst es mir nur auf mein Wort glauben, wirst du nicht leben können. Der König hörte ein- mal, daß ein Gartenjunge sich beschwerte, er könnte nicht leben. Er machte ihn darauf zu seinem Hofgärtner; allein, er konnte wieder nicht leben. Er kam als Secretair bey der Gartencanzley; noch konnte er nicht leben. Er wurde end- lich Oberintendant aller Gärten und Lustschlösser; und nun glaubte der Fürst er würde gewiß leben können. Aber nein; Bob, so hieß er, hielt jezt Kutschen und Pferde; er hatte Bediente; hielt Tafel und spielte, als wenn er große Liefe- rungen gehabt hätte; und wie ihn sein Herr fragte, ob er nun leben könnte: so gab er ihm zur Antwort: Ach! gnädig- ster Herr, der Staat erfordert heutiges Tages so viel; es gehört so vieler Ueberfluß zum Nothwendigen; man wird so wenig geachtet, wenn man nicht seinem Range gemäß lebt; die Frauen sind solche kostbare Puppen; und die Kinder, wenn ich sie Standesmäßig erziehen soll, erfordern so viel, daß es unmöglich, ja unmöglich ist als Intendant des Jahrs mit zweytausend Thalern auszukommen ...... Ich wette,
Jo-
Johann konnte nicht leben.
er nicht leben kann; der Feldmarſchall kann nicht leben, der Kriegesrath kann nicht leben, der Thorſchreiber kann nicht leben, und vielleicht kannſt du auch von den zehn Thalern, die ich dir des Jahrs gebe, nicht leben. Das iſt mir ein Le- ben, wovon der Schluß allezeit iſt, wir muͤſſen Betruͤger werden. Wenn ich dich zum Thorſchreiber befoͤrderte, und dies iſt doch dein groͤßter Wunſch; ſo wuͤrdeſt du ja auch nicht leben koͤnnen?
Freylich nicht, Herr Kriegesrath; aber ich haͤtte denn doch beſſere Gelegenheit als jetzt bey ihnen, meine fuͤnf Sinne zu gebrauchen. Wenn ich alsdenn nur meine Augen des Ta- ges einmal zuthue: ſo ſtehe ich weit beſſer, als wenn ich ſie bey ihnen Nacht und Tag aufſperre.
Und dennoch, du magſt es mir nur auf mein Wort glauben, wirſt du nicht leben koͤnnen. Der Koͤnig hoͤrte ein- mal, daß ein Gartenjunge ſich beſchwerte, er koͤnnte nicht leben. Er machte ihn darauf zu ſeinem Hofgaͤrtner; allein, er konnte wieder nicht leben. Er kam als Secretair bey der Gartencanzley; noch konnte er nicht leben. Er wurde end- lich Oberintendant aller Gaͤrten und Luſtſchloͤſſer; und nun glaubte der Fuͤrſt er wuͤrde gewiß leben koͤnnen. Aber nein; Bob, ſo hieß er, hielt jezt Kutſchen und Pferde; er hatte Bediente; hielt Tafel und ſpielte, als wenn er große Liefe- rungen gehabt haͤtte; und wie ihn ſein Herr fragte, ob er nun leben koͤnnte: ſo gab er ihm zur Antwort: Ach! gnaͤdig- ſter Herr, der Staat erfordert heutiges Tages ſo viel; es gehoͤrt ſo vieler Ueberfluß zum Nothwendigen; man wird ſo wenig geachtet, wenn man nicht ſeinem Range gemaͤß lebt; die Frauen ſind ſolche koſtbare Puppen; und die Kinder, wenn ich ſie Standesmaͤßig erziehen ſoll, erfordern ſo viel, daß es unmoͤglich, ja unmoͤglich iſt als Intendant des Jahrs mit zweytauſend Thalern auszukommen ...... Ich wette,
Jo-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0190"n="172"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Johann konnte nicht leben.</hi></fw><lb/>
er nicht leben kann; der Feldmarſchall kann nicht leben, der<lb/>
Kriegesrath kann nicht leben, der Thorſchreiber kann nicht<lb/>
leben, und vielleicht kannſt du auch von den zehn Thalern,<lb/>
die ich dir des Jahrs gebe, nicht leben. Das iſt mir ein Le-<lb/>
ben, wovon der Schluß allezeit iſt, wir muͤſſen Betruͤger<lb/>
werden. Wenn ich dich zum Thorſchreiber befoͤrderte, und<lb/>
dies iſt doch dein groͤßter Wunſch; ſo wuͤrdeſt du ja auch nicht<lb/>
leben koͤnnen?</p><lb/><p>Freylich nicht, Herr Kriegesrath; aber ich haͤtte denn<lb/>
doch beſſere Gelegenheit als jetzt bey ihnen, meine fuͤnf Sinne<lb/>
zu gebrauchen. Wenn ich alsdenn nur meine Augen des Ta-<lb/>
ges einmal zuthue: ſo ſtehe ich weit beſſer, als wenn ich ſie<lb/>
bey ihnen Nacht und Tag aufſperre.</p><lb/><p>Und dennoch, du magſt es mir nur auf mein Wort<lb/>
glauben, wirſt du nicht leben koͤnnen. Der Koͤnig hoͤrte ein-<lb/>
mal, daß ein Gartenjunge ſich beſchwerte, er koͤnnte nicht<lb/>
leben. Er machte ihn darauf zu ſeinem Hofgaͤrtner; allein,<lb/>
er konnte wieder nicht leben. Er kam als Secretair bey der<lb/>
Gartencanzley; noch konnte er nicht leben. Er wurde end-<lb/>
lich Oberintendant aller Gaͤrten und Luſtſchloͤſſer; und nun<lb/>
glaubte der Fuͤrſt er wuͤrde gewiß leben koͤnnen. Aber nein;<lb/><hirendition="#fr">Bob,</hi>ſo hieß er, hielt jezt Kutſchen und Pferde; er hatte<lb/>
Bediente; hielt Tafel und ſpielte, als wenn er große Liefe-<lb/>
rungen gehabt haͤtte; und wie ihn ſein Herr fragte, ob er<lb/>
nun leben koͤnnte: ſo gab er ihm zur Antwort: Ach! gnaͤdig-<lb/>ſter Herr, der Staat erfordert heutiges Tages ſo viel; es<lb/>
gehoͤrt ſo vieler Ueberfluß zum Nothwendigen; man wird ſo<lb/>
wenig geachtet, wenn man nicht ſeinem Range gemaͤß lebt;<lb/>
die Frauen ſind ſolche koſtbare Puppen; und die Kinder, wenn<lb/>
ich ſie Standesmaͤßig erziehen ſoll, erfordern ſo viel, daß es<lb/>
unmoͤglich, ja unmoͤglich iſt als Intendant des Jahrs mit<lb/>
zweytauſend Thalern auszukommen ...... Ich wette,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Jo-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[172/0190]
Johann konnte nicht leben.
er nicht leben kann; der Feldmarſchall kann nicht leben, der
Kriegesrath kann nicht leben, der Thorſchreiber kann nicht
leben, und vielleicht kannſt du auch von den zehn Thalern,
die ich dir des Jahrs gebe, nicht leben. Das iſt mir ein Le-
ben, wovon der Schluß allezeit iſt, wir muͤſſen Betruͤger
werden. Wenn ich dich zum Thorſchreiber befoͤrderte, und
dies iſt doch dein groͤßter Wunſch; ſo wuͤrdeſt du ja auch nicht
leben koͤnnen?
Freylich nicht, Herr Kriegesrath; aber ich haͤtte denn
doch beſſere Gelegenheit als jetzt bey ihnen, meine fuͤnf Sinne
zu gebrauchen. Wenn ich alsdenn nur meine Augen des Ta-
ges einmal zuthue: ſo ſtehe ich weit beſſer, als wenn ich ſie
bey ihnen Nacht und Tag aufſperre.
Und dennoch, du magſt es mir nur auf mein Wort
glauben, wirſt du nicht leben koͤnnen. Der Koͤnig hoͤrte ein-
mal, daß ein Gartenjunge ſich beſchwerte, er koͤnnte nicht
leben. Er machte ihn darauf zu ſeinem Hofgaͤrtner; allein,
er konnte wieder nicht leben. Er kam als Secretair bey der
Gartencanzley; noch konnte er nicht leben. Er wurde end-
lich Oberintendant aller Gaͤrten und Luſtſchloͤſſer; und nun
glaubte der Fuͤrſt er wuͤrde gewiß leben koͤnnen. Aber nein;
Bob, ſo hieß er, hielt jezt Kutſchen und Pferde; er hatte
Bediente; hielt Tafel und ſpielte, als wenn er große Liefe-
rungen gehabt haͤtte; und wie ihn ſein Herr fragte, ob er
nun leben koͤnnte: ſo gab er ihm zur Antwort: Ach! gnaͤdig-
ſter Herr, der Staat erfordert heutiges Tages ſo viel; es
gehoͤrt ſo vieler Ueberfluß zum Nothwendigen; man wird ſo
wenig geachtet, wenn man nicht ſeinem Range gemaͤß lebt;
die Frauen ſind ſolche koſtbare Puppen; und die Kinder, wenn
ich ſie Standesmaͤßig erziehen ſoll, erfordern ſo viel, daß es
unmoͤglich, ja unmoͤglich iſt als Intendant des Jahrs mit
zweytauſend Thalern auszukommen ...... Ich wette,
Jo-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/190>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.