Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Mangel des Geldes.
Thor mit einem Fuder Korns nach dem Cammergerichte rei-
sen, und kein Kluger in die Versuchung gerathen mehr Pro-
cesse für andre zu führen, als er zu seiner täglichen Noth-
durft und Nahrung gebrauchte. Größere Feindschaften wäh-
reten nicht länger als bis der Kriegesvorrath verzehrt war;
und der Hunger war ein sicherer Friedensbote.

Ehe du kamest, wußte man nichts von fremden Thor-
heiten und Lastern. Deutschland konnte weder in Frankreich
verzehret noch die Erndten aus Westphalen für Wein und
Coffee versandt werden. Wer satt hatte, konnte nichts mehr
verlangen, und satt hatten alle Länder, denen der Himmel
Vieh und Futter gab. Jeder liebte seinen eignen Acker und
sein Vaterland, weil er nicht anders reisen konnte als ein
Bettler auf die Rechnung der allgemeinen Gastfreyheit, und
wo er mit einer stolzen Begleitung reisen wollte, als ein Feind
zurückgewiesen wurde.

Ehe du kamest, war der Landbesitzer allein ein Mit-
glied der Nation. Man kannte eines jeden Vermögen, und
die Anwendung der Strafgesetze geschahe nach einem sichtba-
ren Verhältniß. Die Gerechtigkeit konnte einem jeden das
seinige mit dem Maasstabe in der Hand zumessen; die Gleich-
heit der Menschen durch eine sichere Anweisung der Aecker-
zahl bestimmen, und ewig verhindern, daß keiner zwey Erb-
theile zusammen brachte. Man kannte keine geldreiche Leute
diese Verräther der menschlichen Freyheit; das Mittel Schul-
den zu machen, und tausend Schuldner zu heimlichen Scla-
ven zu haben, war den Menschen unerhört. Die Kinder
konnten den väterlichen Acker nicht schätzen lassen, und von
dem gesetzmäßigen Erben nicht fordern, daß er ihnen den
Werth desselben zu gleichen Theilen herausgeben solte. Er
gab ihnen Pferde und Rinder; der Richter oder Gutsherr
beurtheilte die Billigkeit in diesem Stücke leicht, weil sie

auf
L 5

Mangel des Geldes.
Thor mit einem Fuder Korns nach dem Cammergerichte rei-
ſen, und kein Kluger in die Verſuchung gerathen mehr Pro-
ceſſe fuͤr andre zu fuͤhren, als er zu ſeiner taͤglichen Noth-
durft und Nahrung gebrauchte. Groͤßere Feindſchaften waͤh-
reten nicht laͤnger als bis der Kriegesvorrath verzehrt war;
und der Hunger war ein ſicherer Friedensbote.

Ehe du kameſt, wußte man nichts von fremden Thor-
heiten und Laſtern. Deutſchland konnte weder in Frankreich
verzehret noch die Erndten aus Weſtphalen fuͤr Wein und
Coffee verſandt werden. Wer ſatt hatte, konnte nichts mehr
verlangen, und ſatt hatten alle Laͤnder, denen der Himmel
Vieh und Futter gab. Jeder liebte ſeinen eignen Acker und
ſein Vaterland, weil er nicht anders reiſen konnte als ein
Bettler auf die Rechnung der allgemeinen Gaſtfreyheit, und
wo er mit einer ſtolzen Begleitung reiſen wollte, als ein Feind
zuruͤckgewieſen wurde.

Ehe du kameſt, war der Landbeſitzer allein ein Mit-
glied der Nation. Man kannte eines jeden Vermoͤgen, und
die Anwendung der Strafgeſetze geſchahe nach einem ſichtba-
ren Verhaͤltniß. Die Gerechtigkeit konnte einem jeden das
ſeinige mit dem Maasſtabe in der Hand zumeſſen; die Gleich-
heit der Menſchen durch eine ſichere Anweiſung der Aecker-
zahl beſtimmen, und ewig verhindern, daß keiner zwey Erb-
theile zuſammen brachte. Man kannte keine geldreiche Leute
dieſe Verraͤther der menſchlichen Freyheit; das Mittel Schul-
den zu machen, und tauſend Schuldner zu heimlichen Scla-
ven zu haben, war den Menſchen unerhoͤrt. Die Kinder
konnten den vaͤterlichen Acker nicht ſchaͤtzen laſſen, und von
dem geſetzmaͤßigen Erben nicht fordern, daß er ihnen den
Werth deſſelben zu gleichen Theilen herausgeben ſolte. Er
gab ihnen Pferde und Rinder; der Richter oder Gutsherr
beurtheilte die Billigkeit in dieſem Stuͤcke leicht, weil ſie

auf
L 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0187" n="169"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Mangel des Geldes.</hi></fw><lb/>
Thor mit einem Fuder Korns nach dem Cammergerichte rei-<lb/>
&#x017F;en, und kein Kluger in die Ver&#x017F;uchung gerathen mehr Pro-<lb/>
ce&#x017F;&#x017F;e fu&#x0364;r andre zu fu&#x0364;hren, als er zu &#x017F;einer ta&#x0364;glichen Noth-<lb/>
durft und Nahrung gebrauchte. Gro&#x0364;ßere Feind&#x017F;chaften wa&#x0364;h-<lb/>
reten nicht la&#x0364;nger als bis der Kriegesvorrath verzehrt war;<lb/>
und der Hunger war ein &#x017F;icherer Friedensbote.</p><lb/>
        <p>Ehe du kame&#x017F;t, wußte man nichts von fremden Thor-<lb/>
heiten und La&#x017F;tern. Deut&#x017F;chland konnte weder in Frankreich<lb/>
verzehret noch die Erndten aus We&#x017F;tphalen fu&#x0364;r Wein und<lb/>
Coffee ver&#x017F;andt werden. Wer &#x017F;att hatte, konnte nichts mehr<lb/>
verlangen, und &#x017F;att hatten alle La&#x0364;nder, denen der Himmel<lb/>
Vieh und Futter gab. Jeder liebte &#x017F;einen eignen Acker und<lb/>
&#x017F;ein Vaterland, weil er nicht anders rei&#x017F;en konnte als ein<lb/>
Bettler auf die Rechnung der allgemeinen Ga&#x017F;tfreyheit, und<lb/>
wo er mit einer &#x017F;tolzen Begleitung rei&#x017F;en wollte, als ein Feind<lb/>
zuru&#x0364;ckgewie&#x017F;en wurde.</p><lb/>
        <p>Ehe du kame&#x017F;t, war der Landbe&#x017F;itzer allein ein Mit-<lb/>
glied der Nation. Man kannte eines jeden Vermo&#x0364;gen, und<lb/>
die Anwendung der Strafge&#x017F;etze ge&#x017F;chahe nach einem &#x017F;ichtba-<lb/>
ren Verha&#x0364;ltniß. Die Gerechtigkeit konnte einem jeden das<lb/>
&#x017F;einige mit dem Maas&#x017F;tabe in der Hand zume&#x017F;&#x017F;en; die Gleich-<lb/>
heit der Men&#x017F;chen durch eine &#x017F;ichere Anwei&#x017F;ung der Aecker-<lb/>
zahl be&#x017F;timmen, und ewig verhindern, daß keiner zwey Erb-<lb/>
theile zu&#x017F;ammen brachte. Man kannte keine geldreiche Leute<lb/>
die&#x017F;e Verra&#x0364;ther der men&#x017F;chlichen Freyheit; das Mittel Schul-<lb/>
den zu machen, und tau&#x017F;end Schuldner zu heimlichen Scla-<lb/>
ven zu haben, war den Men&#x017F;chen unerho&#x0364;rt. Die Kinder<lb/>
konnten den va&#x0364;terlichen Acker nicht &#x017F;cha&#x0364;tzen la&#x017F;&#x017F;en, und von<lb/>
dem ge&#x017F;etzma&#x0364;ßigen Erben nicht fordern, daß er ihnen den<lb/>
Werth de&#x017F;&#x017F;elben zu gleichen Theilen herausgeben &#x017F;olte. Er<lb/>
gab ihnen Pferde und Rinder; der Richter oder Gutsherr<lb/>
beurtheilte die Billigkeit in die&#x017F;em Stu&#x0364;cke leicht, weil &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 5</fw><fw place="bottom" type="catch">auf</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0187] Mangel des Geldes. Thor mit einem Fuder Korns nach dem Cammergerichte rei- ſen, und kein Kluger in die Verſuchung gerathen mehr Pro- ceſſe fuͤr andre zu fuͤhren, als er zu ſeiner taͤglichen Noth- durft und Nahrung gebrauchte. Groͤßere Feindſchaften waͤh- reten nicht laͤnger als bis der Kriegesvorrath verzehrt war; und der Hunger war ein ſicherer Friedensbote. Ehe du kameſt, wußte man nichts von fremden Thor- heiten und Laſtern. Deutſchland konnte weder in Frankreich verzehret noch die Erndten aus Weſtphalen fuͤr Wein und Coffee verſandt werden. Wer ſatt hatte, konnte nichts mehr verlangen, und ſatt hatten alle Laͤnder, denen der Himmel Vieh und Futter gab. Jeder liebte ſeinen eignen Acker und ſein Vaterland, weil er nicht anders reiſen konnte als ein Bettler auf die Rechnung der allgemeinen Gaſtfreyheit, und wo er mit einer ſtolzen Begleitung reiſen wollte, als ein Feind zuruͤckgewieſen wurde. Ehe du kameſt, war der Landbeſitzer allein ein Mit- glied der Nation. Man kannte eines jeden Vermoͤgen, und die Anwendung der Strafgeſetze geſchahe nach einem ſichtba- ren Verhaͤltniß. Die Gerechtigkeit konnte einem jeden das ſeinige mit dem Maasſtabe in der Hand zumeſſen; die Gleich- heit der Menſchen durch eine ſichere Anweiſung der Aecker- zahl beſtimmen, und ewig verhindern, daß keiner zwey Erb- theile zuſammen brachte. Man kannte keine geldreiche Leute dieſe Verraͤther der menſchlichen Freyheit; das Mittel Schul- den zu machen, und tauſend Schuldner zu heimlichen Scla- ven zu haben, war den Menſchen unerhoͤrt. Die Kinder konnten den vaͤterlichen Acker nicht ſchaͤtzen laſſen, und von dem geſetzmaͤßigen Erben nicht fordern, daß er ihnen den Werth deſſelben zu gleichen Theilen herausgeben ſolte. Er gab ihnen Pferde und Rinder; der Richter oder Gutsherr beurtheilte die Billigkeit in dieſem Stuͤcke leicht, weil ſie auf L 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/187
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/187>, abgerufen am 22.11.2024.