ben, wo er in seinem Laufe annoch einige Wiesen wässern und dem Staate nützlich werden kann. Sollten denn eben die Lotterien mehr als andre Nothmittel zu tadeln seyn?
Könnte man sie alle verbieten, und dabey verhindern, daß die Menschen nicht in heimliche Versuchungen und Stricke fielen: so möchte man es immerhin thun. Könnte man durch ein solches Verbot vollends allen verwöhnten Bürgern, die Bürgerinnen nicht ausgeschlossen, wieder einen Geschmack an den zu ihrer Gesundheit sowol als zu ihrem wahren Ver- gnügen dienenden sauren Früchten des Fleisses beybringen: so würde es noch besser seyn. Denn tausend Thaler, so in einer auswärtigen Lotterie oder in Peru gewonnen werden, bezeichnen den wahren Reichthum eines Landes nicht so sehr, als hundert Thaler, die mit der schweresten Arbeit daheim erworben werden. Erstere können dem leichtfertigsten Müs- siggänger zufallen: aber letztere setzen voraus, daß ein Land viele fleißige Hände, wehrhafte Männer, und eigne Nerven habe.
Allein da ein solches Verbot dem herrschenden Geist der Thorheit nicht angemessen ist, und die Versuchung zum plötz- lichen reich werden, vielleicht gar nur noch verstärken würde: so ist nichts übrig als nachzugeben, und aus einem schlimmen Wurf den besten Vortheil zu ziehen.
Die Lotterien haben von einer andern Seite betrachtet auch noch einen wichtigen Vortheil für den Staat. Denn seitdem unsre römischgelehrten Richter den Geist der deutschen Verfassung verlohren haben, und daher bey allen vorkommen- den Streitigkeiten den Besitzstand zur Richtschnur ihrer vor- läufigen Entscheidungen nehmen müssen; so darf es ein ehr- licher Mann fast nicht mehr wagen, ein gutes Werk zu thun, ohne sich der Gefahr auszusetzen, sich auch für die Zukunft da- zu pflichtig zu machen. Wie mancher christlicher Bauer
wür-
L 2
Bey dem Anfange der Oſnabruͤck. Lotterie.
ben, wo er in ſeinem Laufe annoch einige Wieſen waͤſſern und dem Staate nuͤtzlich werden kann. Sollten denn eben die Lotterien mehr als andre Nothmittel zu tadeln ſeyn?
Koͤnnte man ſie alle verbieten, und dabey verhindern, daß die Menſchen nicht in heimliche Verſuchungen und Stricke fielen: ſo moͤchte man es immerhin thun. Koͤnnte man durch ein ſolches Verbot vollends allen verwoͤhnten Buͤrgern, die Buͤrgerinnen nicht ausgeſchloſſen, wieder einen Geſchmack an den zu ihrer Geſundheit ſowol als zu ihrem wahren Ver- gnuͤgen dienenden ſauren Fruͤchten des Fleiſſes beybringen: ſo wuͤrde es noch beſſer ſeyn. Denn tauſend Thaler, ſo in einer auswaͤrtigen Lotterie oder in Peru gewonnen werden, bezeichnen den wahren Reichthum eines Landes nicht ſo ſehr, als hundert Thaler, die mit der ſchwereſten Arbeit daheim erworben werden. Erſtere koͤnnen dem leichtfertigſten Muͤſ- ſiggaͤnger zufallen: aber letztere ſetzen voraus, daß ein Land viele fleißige Haͤnde, wehrhafte Maͤnner, und eigne Nerven habe.
Allein da ein ſolches Verbot dem herrſchenden Geiſt der Thorheit nicht angemeſſen iſt, und die Verſuchung zum ploͤtz- lichen reich werden, vielleicht gar nur noch verſtaͤrken wuͤrde: ſo iſt nichts uͤbrig als nachzugeben, und aus einem ſchlimmen Wurf den beſten Vortheil zu ziehen.
Die Lotterien haben von einer andern Seite betrachtet auch noch einen wichtigen Vortheil fuͤr den Staat. Denn ſeitdem unſre roͤmiſchgelehrten Richter den Geiſt der deutſchen Verfaſſung verlohren haben, und daher bey allen vorkommen- den Streitigkeiten den Beſitzſtand zur Richtſchnur ihrer vor- laͤufigen Entſcheidungen nehmen muͤſſen; ſo darf es ein ehr- licher Mann faſt nicht mehr wagen, ein gutes Werk zu thun, ohne ſich der Gefahr auszuſetzen, ſich auch fuͤr die Zukunft da- zu pflichtig zu machen. Wie mancher chriſtlicher Bauer
wuͤr-
L 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0181"n="163"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Bey dem Anfange der Oſnabruͤck. Lotterie.</hi></fw><lb/>
ben, wo er in ſeinem Laufe annoch einige Wieſen waͤſſern<lb/>
und dem Staate nuͤtzlich werden kann. Sollten denn eben<lb/>
die Lotterien mehr als andre Nothmittel zu tadeln ſeyn?</p><lb/><p>Koͤnnte man ſie alle verbieten, und dabey verhindern,<lb/>
daß die Menſchen nicht in heimliche Verſuchungen und Stricke<lb/>
fielen: ſo moͤchte man es immerhin thun. Koͤnnte man durch<lb/>
ein ſolches Verbot vollends allen verwoͤhnten Buͤrgern, die<lb/>
Buͤrgerinnen nicht ausgeſchloſſen, wieder einen Geſchmack<lb/>
an den zu ihrer Geſundheit ſowol als zu ihrem wahren Ver-<lb/>
gnuͤgen dienenden ſauren Fruͤchten des Fleiſſes beybringen:<lb/>ſo wuͤrde es noch beſſer ſeyn. Denn tauſend Thaler, ſo in<lb/>
einer auswaͤrtigen Lotterie oder in Peru gewonnen werden,<lb/>
bezeichnen den wahren Reichthum eines Landes nicht ſo ſehr,<lb/>
als hundert Thaler, die mit der ſchwereſten Arbeit daheim<lb/>
erworben werden. Erſtere koͤnnen dem leichtfertigſten Muͤſ-<lb/>ſiggaͤnger zufallen: aber letztere ſetzen voraus, daß ein Land viele<lb/>
fleißige Haͤnde, wehrhafte Maͤnner, und eigne Nerven habe.</p><lb/><p>Allein da ein ſolches Verbot dem herrſchenden Geiſt der<lb/>
Thorheit nicht angemeſſen iſt, und die Verſuchung zum ploͤtz-<lb/>
lichen reich werden, vielleicht gar nur noch verſtaͤrken wuͤrde:<lb/>ſo iſt nichts uͤbrig als nachzugeben, und aus einem ſchlimmen<lb/>
Wurf den beſten Vortheil zu ziehen.</p><lb/><p>Die Lotterien haben von einer andern Seite betrachtet<lb/>
auch noch einen wichtigen Vortheil fuͤr den Staat. Denn<lb/>ſeitdem unſre roͤmiſchgelehrten Richter den Geiſt der deutſchen<lb/>
Verfaſſung verlohren haben, und daher bey allen vorkommen-<lb/>
den Streitigkeiten den Beſitzſtand zur Richtſchnur ihrer vor-<lb/>
laͤufigen Entſcheidungen nehmen muͤſſen; ſo darf es ein ehr-<lb/>
licher Mann faſt nicht mehr wagen, ein gutes Werk zu thun,<lb/>
ohne ſich der Gefahr auszuſetzen, ſich auch fuͤr die Zukunft da-<lb/>
zu pflichtig zu machen. Wie mancher chriſtlicher Bauer<lb/><fwplace="bottom"type="sig">L 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">wuͤr-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[163/0181]
Bey dem Anfange der Oſnabruͤck. Lotterie.
ben, wo er in ſeinem Laufe annoch einige Wieſen waͤſſern
und dem Staate nuͤtzlich werden kann. Sollten denn eben
die Lotterien mehr als andre Nothmittel zu tadeln ſeyn?
Koͤnnte man ſie alle verbieten, und dabey verhindern,
daß die Menſchen nicht in heimliche Verſuchungen und Stricke
fielen: ſo moͤchte man es immerhin thun. Koͤnnte man durch
ein ſolches Verbot vollends allen verwoͤhnten Buͤrgern, die
Buͤrgerinnen nicht ausgeſchloſſen, wieder einen Geſchmack
an den zu ihrer Geſundheit ſowol als zu ihrem wahren Ver-
gnuͤgen dienenden ſauren Fruͤchten des Fleiſſes beybringen:
ſo wuͤrde es noch beſſer ſeyn. Denn tauſend Thaler, ſo in
einer auswaͤrtigen Lotterie oder in Peru gewonnen werden,
bezeichnen den wahren Reichthum eines Landes nicht ſo ſehr,
als hundert Thaler, die mit der ſchwereſten Arbeit daheim
erworben werden. Erſtere koͤnnen dem leichtfertigſten Muͤſ-
ſiggaͤnger zufallen: aber letztere ſetzen voraus, daß ein Land viele
fleißige Haͤnde, wehrhafte Maͤnner, und eigne Nerven habe.
Allein da ein ſolches Verbot dem herrſchenden Geiſt der
Thorheit nicht angemeſſen iſt, und die Verſuchung zum ploͤtz-
lichen reich werden, vielleicht gar nur noch verſtaͤrken wuͤrde:
ſo iſt nichts uͤbrig als nachzugeben, und aus einem ſchlimmen
Wurf den beſten Vortheil zu ziehen.
Die Lotterien haben von einer andern Seite betrachtet
auch noch einen wichtigen Vortheil fuͤr den Staat. Denn
ſeitdem unſre roͤmiſchgelehrten Richter den Geiſt der deutſchen
Verfaſſung verlohren haben, und daher bey allen vorkommen-
den Streitigkeiten den Beſitzſtand zur Richtſchnur ihrer vor-
laͤufigen Entſcheidungen nehmen muͤſſen; ſo darf es ein ehr-
licher Mann faſt nicht mehr wagen, ein gutes Werk zu thun,
ohne ſich der Gefahr auszuſetzen, ſich auch fuͤr die Zukunft da-
zu pflichtig zu machen. Wie mancher chriſtlicher Bauer
wuͤr-
L 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/181>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.