Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Der selige Vogt.
ziehung einiger vernünftigen Nachbaren, und nach Gelegen-
heit der fürnehmsten Gläubiger, einen standhaften Anschlag
vom Gute und dessen Schulden; zeigte ihnen die Unmöglich-
keit ihrer Befriedigung; und ihren Nachtheil, wenn sie den
Schuldner ins Gericht ziehen würden; bediente sich so denn
der Gläubiger ihrer eignen redlichen Ueberzeugung dem Schuld-
ner hinlänglichen Nachlaß und billige Zahlungsfristen in Güte
zu erwerben; und hielt den Schuldner, der durch ein solches
Verfahren zu neuen Fleiß ermuntert ward, zur genauesten
Erfüllung des verglichenen an; und die Gläubiger waren von
seiner Redlichkeit dergestalt versichert, daß sie auf sein Ver-
sprechen mehr als auf alles übrige baueten.

Wo er von einem neuen Mittel zur Verbesserung des
Ackerbaues und der Landnahrung hörte oder laß, da war er
der erste der Versuche anstellte. Jeder Hauswirth kam zu
ihm, sahe was eine glückliche Erfahrung bestätigte, und lernte
von ihm was Nachahmungswürdig war. Der Ackerbau in
seiner Vogtey unterschied sich von allen Benachbarten durch
die Schönheit der Früchte, der Reinlichkeit des Ackers, und
der Ordnung der Felder.

Mit dem Pfarrer seines Kirchspiels lebte er in dem voll-
kommensten und angenehmsten Vertrauen. So oft er in Er-
fahrung brachte, daß jemand in heimlichen Lastern und Aus-
schweifungen lebte, meldete er es dem Pfarrer in Vertrauen,
und ersuchte ihn dem angezeigten nachdrücklich zuzureden, und
ihn von seinem bösen Wandel zurückzuziehen. Insgemein glau-
hen dergleichen heimliche Diebe und Verbrecher ihre Bosheit
sey der ganzen Welt unbekannt. Wie sehr erschracken sie aber,
und wie oft besserten sie sich nicht, wenn der Pfarrer ihnen
auf einer Seite ihrer Unthaten halber rührende Vorstellun-
gen that, der Vogt ihnen aber auf der andern mit einer vä-
terlichen Stimme in die Ohren donnerte, und beyde ihnen

solcher-

Der ſelige Vogt.
ziehung einiger vernuͤnftigen Nachbaren, und nach Gelegen-
heit der fuͤrnehmſten Glaͤubiger, einen ſtandhaften Anſchlag
vom Gute und deſſen Schulden; zeigte ihnen die Unmoͤglich-
keit ihrer Befriedigung; und ihren Nachtheil, wenn ſie den
Schuldner ins Gericht ziehen wuͤrden; bediente ſich ſo denn
der Glaͤubiger ihrer eignen redlichen Ueberzeugung dem Schuld-
ner hinlaͤnglichen Nachlaß und billige Zahlungsfriſten in Guͤte
zu erwerben; und hielt den Schuldner, der durch ein ſolches
Verfahren zu neuen Fleiß ermuntert ward, zur genaueſten
Erfuͤllung des verglichenen an; und die Glaͤubiger waren von
ſeiner Redlichkeit dergeſtalt verſichert, daß ſie auf ſein Ver-
ſprechen mehr als auf alles uͤbrige baueten.

Wo er von einem neuen Mittel zur Verbeſſerung des
Ackerbaues und der Landnahrung hoͤrte oder laß, da war er
der erſte der Verſuche anſtellte. Jeder Hauswirth kam zu
ihm, ſahe was eine gluͤckliche Erfahrung beſtaͤtigte, und lernte
von ihm was Nachahmungswuͤrdig war. Der Ackerbau in
ſeiner Vogtey unterſchied ſich von allen Benachbarten durch
die Schoͤnheit der Fruͤchte, der Reinlichkeit des Ackers, und
der Ordnung der Felder.

Mit dem Pfarrer ſeines Kirchſpiels lebte er in dem voll-
kommenſten und angenehmſten Vertrauen. So oft er in Er-
fahrung brachte, daß jemand in heimlichen Laſtern und Aus-
ſchweifungen lebte, meldete er es dem Pfarrer in Vertrauen,
und erſuchte ihn dem angezeigten nachdruͤcklich zuzureden, und
ihn von ſeinem boͤſen Wandel zuruͤckzuziehen. Insgemein glau-
hen dergleichen heimliche Diebe und Verbrecher ihre Bosheit
ſey der ganzen Welt unbekannt. Wie ſehr erſchracken ſie aber,
und wie oft beſſerten ſie ſich nicht, wenn der Pfarrer ihnen
auf einer Seite ihrer Unthaten halber ruͤhrende Vorſtellun-
gen that, der Vogt ihnen aber auf der andern mit einer vaͤ-
terlichen Stimme in die Ohren donnerte, und beyde ihnen

ſolcher-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0174" n="156"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der &#x017F;elige Vogt.</hi></fw><lb/>
ziehung einiger vernu&#x0364;nftigen Nachbaren, und nach Gelegen-<lb/>
heit der fu&#x0364;rnehm&#x017F;ten Gla&#x0364;ubiger, einen &#x017F;tandhaften An&#x017F;chlag<lb/>
vom Gute und de&#x017F;&#x017F;en Schulden; zeigte ihnen die Unmo&#x0364;glich-<lb/>
keit ihrer Befriedigung; und ihren Nachtheil, wenn &#x017F;ie den<lb/>
Schuldner ins Gericht ziehen wu&#x0364;rden; bediente &#x017F;ich &#x017F;o denn<lb/>
der Gla&#x0364;ubiger ihrer eignen redlichen Ueberzeugung dem Schuld-<lb/>
ner hinla&#x0364;nglichen Nachlaß und billige Zahlungsfri&#x017F;ten in Gu&#x0364;te<lb/>
zu erwerben; und hielt den Schuldner, der durch ein &#x017F;olches<lb/>
Verfahren zu neuen Fleiß ermuntert ward, zur genaue&#x017F;ten<lb/>
Erfu&#x0364;llung des verglichenen an; und die Gla&#x0364;ubiger waren von<lb/>
&#x017F;einer Redlichkeit derge&#x017F;talt ver&#x017F;ichert, daß &#x017F;ie auf &#x017F;ein Ver-<lb/>
&#x017F;prechen mehr als auf alles u&#x0364;brige baueten.</p><lb/>
        <p>Wo er von einem neuen Mittel zur Verbe&#x017F;&#x017F;erung des<lb/>
Ackerbaues und der Landnahrung ho&#x0364;rte oder laß, da war er<lb/>
der er&#x017F;te der Ver&#x017F;uche an&#x017F;tellte. Jeder Hauswirth kam zu<lb/>
ihm, &#x017F;ahe was eine glu&#x0364;ckliche Erfahrung be&#x017F;ta&#x0364;tigte, und lernte<lb/>
von ihm was Nachahmungswu&#x0364;rdig war. Der Ackerbau in<lb/>
&#x017F;einer Vogtey unter&#x017F;chied &#x017F;ich von allen Benachbarten durch<lb/>
die Scho&#x0364;nheit der Fru&#x0364;chte, der Reinlichkeit des Ackers, und<lb/>
der Ordnung der Felder.</p><lb/>
        <p>Mit dem Pfarrer &#x017F;eines Kirch&#x017F;piels lebte er in dem voll-<lb/>
kommen&#x017F;ten und angenehm&#x017F;ten Vertrauen. So oft er in Er-<lb/>
fahrung brachte, daß jemand in heimlichen La&#x017F;tern und Aus-<lb/>
&#x017F;chweifungen lebte, meldete er es dem Pfarrer in Vertrauen,<lb/>
und er&#x017F;uchte ihn dem angezeigten nachdru&#x0364;cklich zuzureden, und<lb/>
ihn von &#x017F;einem bo&#x0364;&#x017F;en Wandel zuru&#x0364;ckzuziehen. Insgemein glau-<lb/>
hen dergleichen heimliche Diebe und Verbrecher ihre Bosheit<lb/>
&#x017F;ey der ganzen Welt unbekannt. Wie &#x017F;ehr er&#x017F;chracken &#x017F;ie aber,<lb/>
und wie oft be&#x017F;&#x017F;erten &#x017F;ie &#x017F;ich nicht, wenn der Pfarrer ihnen<lb/>
auf einer Seite ihrer Unthaten halber ru&#x0364;hrende Vor&#x017F;tellun-<lb/>
gen that, der Vogt ihnen aber auf der andern mit einer va&#x0364;-<lb/>
terlichen Stimme in die Ohren donnerte, und beyde ihnen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;olcher-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0174] Der ſelige Vogt. ziehung einiger vernuͤnftigen Nachbaren, und nach Gelegen- heit der fuͤrnehmſten Glaͤubiger, einen ſtandhaften Anſchlag vom Gute und deſſen Schulden; zeigte ihnen die Unmoͤglich- keit ihrer Befriedigung; und ihren Nachtheil, wenn ſie den Schuldner ins Gericht ziehen wuͤrden; bediente ſich ſo denn der Glaͤubiger ihrer eignen redlichen Ueberzeugung dem Schuld- ner hinlaͤnglichen Nachlaß und billige Zahlungsfriſten in Guͤte zu erwerben; und hielt den Schuldner, der durch ein ſolches Verfahren zu neuen Fleiß ermuntert ward, zur genaueſten Erfuͤllung des verglichenen an; und die Glaͤubiger waren von ſeiner Redlichkeit dergeſtalt verſichert, daß ſie auf ſein Ver- ſprechen mehr als auf alles uͤbrige baueten. Wo er von einem neuen Mittel zur Verbeſſerung des Ackerbaues und der Landnahrung hoͤrte oder laß, da war er der erſte der Verſuche anſtellte. Jeder Hauswirth kam zu ihm, ſahe was eine gluͤckliche Erfahrung beſtaͤtigte, und lernte von ihm was Nachahmungswuͤrdig war. Der Ackerbau in ſeiner Vogtey unterſchied ſich von allen Benachbarten durch die Schoͤnheit der Fruͤchte, der Reinlichkeit des Ackers, und der Ordnung der Felder. Mit dem Pfarrer ſeines Kirchſpiels lebte er in dem voll- kommenſten und angenehmſten Vertrauen. So oft er in Er- fahrung brachte, daß jemand in heimlichen Laſtern und Aus- ſchweifungen lebte, meldete er es dem Pfarrer in Vertrauen, und erſuchte ihn dem angezeigten nachdruͤcklich zuzureden, und ihn von ſeinem boͤſen Wandel zuruͤckzuziehen. Insgemein glau- hen dergleichen heimliche Diebe und Verbrecher ihre Bosheit ſey der ganzen Welt unbekannt. Wie ſehr erſchracken ſie aber, und wie oft beſſerten ſie ſich nicht, wenn der Pfarrer ihnen auf einer Seite ihrer Unthaten halber ruͤhrende Vorſtellun- gen that, der Vogt ihnen aber auf der andern mit einer vaͤ- terlichen Stimme in die Ohren donnerte, und beyde ihnen ſolcher-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/174
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/174>, abgerufen am 22.11.2024.