Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Die gute seelige Frau.
größere Schenkungen den Partheyen vorlesen, und ihnen
ihre eigne Noth und den Undank der Erben recht nachdrück-
lich vorhalten lassen, ehe eine solche Schenkung zum Gerichts-
protocoll genommen werden dürfte? Solten sie nicht wenig-
stens eine Jahresfrist setzen, worinn eine solche Schenkung
noch widerrufen werden könnte? Könnten sie nicht überhaupt,
wie es bereits in verschiedenen Ländern geschehen seyn soll,
verordnen, daß alle Schenkungen, welche entweder über 500
Ducaten, oder wann darunter, mehr als ein Drittel des Ver-
mögens enthielten, nicht anders als gerichtlich geschehen
solten?

Ich bitte sie inständigst, stellen Sie doch meine Noth
vor. Denn da ich meine Kötterey verschenkt habe, so kann
ich kein Geld zu Processen darauf borgen, und ich bin von
allen Menschen verlassen; ich arme Frau!



XX.
Die gute seelige Frau.

Ich habe meine Frau im vierzigsten Jahre verlohren, und
meine Umstände erfordern, daß ich mich wieder verhey-
rathe. Allein so viele Mühe ich mir auch dieserhalb bereits
gegeben: so kann ich doch keine finden, die mir ansteht, und
der lieben Seeligen einigermaßen gleich ist. Ich höre von
keiner, oder man sagt mir so gleich, diese Person hat sehr vie-
len Verstand eine schöne Lektüre, und ein überaus zärtliches
Herz. Sie spricht französisch, auch wohl englisch und italiä-
nisch, spielt, singt und tanzt vortreflich, und ist die artigste
Person von der Welt.

Zu meinem Unglück ist mir aber mit allen diesen Voll-
kommenheiten gar nichts gedient. Ich wünsche eine recht-

schaf-

Die gute ſeelige Frau.
größere Schenkungen den Partheyen vorleſen, und ihnen
ihre eigne Noth und den Undank der Erben recht nachdruͤck-
lich vorhalten laſſen, ehe eine ſolche Schenkung zum Gerichts-
protocoll genommen werden duͤrfte? Solten ſie nicht wenig-
ſtens eine Jahresfriſt ſetzen, worinn eine ſolche Schenkung
noch widerrufen werden koͤnnte? Koͤnnten ſie nicht uͤberhaupt,
wie es bereits in verſchiedenen Laͤndern geſchehen ſeyn ſoll,
verordnen, daß alle Schenkungen, welche entweder uͤber 500
Ducaten, oder wann darunter, mehr als ein Drittel des Ver-
moͤgens enthielten, nicht anders als gerichtlich geſchehen
ſolten?

Ich bitte ſie inſtaͤndigſt, ſtellen Sie doch meine Noth
vor. Denn da ich meine Koͤtterey verſchenkt habe, ſo kann
ich kein Geld zu Proceſſen darauf borgen, und ich bin von
allen Menſchen verlaſſen; ich arme Frau!



XX.
Die gute ſeelige Frau.

Ich habe meine Frau im vierzigſten Jahre verlohren, und
meine Umſtaͤnde erfordern, daß ich mich wieder verhey-
rathe. Allein ſo viele Muͤhe ich mir auch dieſerhalb bereits
gegeben: ſo kann ich doch keine finden, die mir anſteht, und
der lieben Seeligen einigermaßen gleich iſt. Ich hoͤre von
keiner, oder man ſagt mir ſo gleich, dieſe Perſon hat ſehr vie-
len Verſtand eine ſchoͤne Lektuͤre, und ein uͤberaus zaͤrtliches
Herz. Sie ſpricht franzoͤſiſch, auch wohl engliſch und italiaͤ-
niſch, ſpielt, ſingt und tanzt vortreflich, und iſt die artigſte
Perſon von der Welt.

Zu meinem Ungluͤck iſt mir aber mit allen dieſen Voll-
kommenheiten gar nichts gedient. Ich wuͤnſche eine recht-

ſchaf-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><hi rendition="#fr"><pb facs="#f0138" n="120"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die gute &#x017F;eelige Frau.</hi></fw><lb/>
größere Schenkungen</hi> den Partheyen vorle&#x017F;en, und ihnen<lb/>
ihre eigne Noth und den Undank der Erben recht nachdru&#x0364;ck-<lb/>
lich vorhalten la&#x017F;&#x017F;en, ehe eine &#x017F;olche Schenkung zum Gerichts-<lb/>
protocoll genommen werden du&#x0364;rfte? Solten &#x017F;ie nicht wenig-<lb/>
&#x017F;tens eine Jahresfri&#x017F;t &#x017F;etzen, worinn eine &#x017F;olche Schenkung<lb/>
noch widerrufen werden ko&#x0364;nnte? Ko&#x0364;nnten &#x017F;ie nicht u&#x0364;berhaupt,<lb/>
wie es bereits in ver&#x017F;chiedenen La&#x0364;ndern ge&#x017F;chehen &#x017F;eyn &#x017F;oll,<lb/>
verordnen, daß alle Schenkungen, welche entweder u&#x0364;ber 500<lb/>
Ducaten, oder wann darunter, mehr als ein Drittel des Ver-<lb/>
mo&#x0364;gens enthielten, nicht anders als gerichtlich ge&#x017F;chehen<lb/>
&#x017F;olten?</p><lb/>
          <p>Ich bitte &#x017F;ie in&#x017F;ta&#x0364;ndig&#x017F;t, &#x017F;tellen Sie doch meine Noth<lb/>
vor. Denn da ich meine Ko&#x0364;tterey ver&#x017F;chenkt habe, &#x017F;o kann<lb/>
ich kein Geld zu Proce&#x017F;&#x017F;en darauf borgen, und ich bin von<lb/>
allen Men&#x017F;chen verla&#x017F;&#x017F;en; ich arme Frau!</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XX.</hi><lb/>
Die gute &#x017F;eelige Frau.</hi> </head><lb/>
        <p>Ich habe meine Frau im vierzig&#x017F;ten Jahre verlohren, und<lb/>
meine Um&#x017F;ta&#x0364;nde erfordern, daß ich mich wieder verhey-<lb/>
rathe. Allein &#x017F;o viele Mu&#x0364;he ich mir auch die&#x017F;erhalb bereits<lb/>
gegeben: &#x017F;o kann ich doch keine finden, die mir an&#x017F;teht, und<lb/>
der lieben Seeligen einigermaßen gleich i&#x017F;t. Ich ho&#x0364;re von<lb/>
keiner, oder man &#x017F;agt mir &#x017F;o gleich, die&#x017F;e Per&#x017F;on hat &#x017F;ehr vie-<lb/>
len Ver&#x017F;tand eine &#x017F;cho&#x0364;ne Lektu&#x0364;re, und ein u&#x0364;beraus za&#x0364;rtliches<lb/>
Herz. Sie &#x017F;pricht franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch, auch wohl engli&#x017F;ch und italia&#x0364;-<lb/>
ni&#x017F;ch, &#x017F;pielt, &#x017F;ingt und tanzt vortreflich, und i&#x017F;t die artig&#x017F;te<lb/>
Per&#x017F;on von der Welt.</p><lb/>
        <p>Zu meinem Unglu&#x0364;ck i&#x017F;t mir aber mit allen die&#x017F;en Voll-<lb/>
kommenheiten gar nichts gedient. Ich wu&#x0364;n&#x017F;che eine recht-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chaf-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0138] Die gute ſeelige Frau. größere Schenkungen den Partheyen vorleſen, und ihnen ihre eigne Noth und den Undank der Erben recht nachdruͤck- lich vorhalten laſſen, ehe eine ſolche Schenkung zum Gerichts- protocoll genommen werden duͤrfte? Solten ſie nicht wenig- ſtens eine Jahresfriſt ſetzen, worinn eine ſolche Schenkung noch widerrufen werden koͤnnte? Koͤnnten ſie nicht uͤberhaupt, wie es bereits in verſchiedenen Laͤndern geſchehen ſeyn ſoll, verordnen, daß alle Schenkungen, welche entweder uͤber 500 Ducaten, oder wann darunter, mehr als ein Drittel des Ver- moͤgens enthielten, nicht anders als gerichtlich geſchehen ſolten? Ich bitte ſie inſtaͤndigſt, ſtellen Sie doch meine Noth vor. Denn da ich meine Koͤtterey verſchenkt habe, ſo kann ich kein Geld zu Proceſſen darauf borgen, und ich bin von allen Menſchen verlaſſen; ich arme Frau! XX. Die gute ſeelige Frau. Ich habe meine Frau im vierzigſten Jahre verlohren, und meine Umſtaͤnde erfordern, daß ich mich wieder verhey- rathe. Allein ſo viele Muͤhe ich mir auch dieſerhalb bereits gegeben: ſo kann ich doch keine finden, die mir anſteht, und der lieben Seeligen einigermaßen gleich iſt. Ich hoͤre von keiner, oder man ſagt mir ſo gleich, dieſe Perſon hat ſehr vie- len Verſtand eine ſchoͤne Lektuͤre, und ein uͤberaus zaͤrtliches Herz. Sie ſpricht franzoͤſiſch, auch wohl engliſch und italiaͤ- niſch, ſpielt, ſingt und tanzt vortreflich, und iſt die artigſte Perſon von der Welt. Zu meinem Ungluͤck iſt mir aber mit allen dieſen Voll- kommenheiten gar nichts gedient. Ich wuͤnſche eine recht- ſchaf-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/138
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/138>, abgerufen am 22.11.2024.