Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Osnabrückische Geschichte. Osnabrück, 1768.

Bild:
<< vorherige Seite

zweyter Abschnitt.
der-Leute verwandelt, jedem Frieden oder jeder Jn-
nung ihren eignen Schultheissen (f) genommen; die
Gerichts-Zwänge zu sehr erweitert, und was vielleicht
unglaublich scheinen mögte, (g) Weisheit für Recht
erkannt habe. Die neuern Einrichtungen der Ge-
richtsbarkeiten, arbeiten immerfort gegen den grossen
Plan der alten, welcher darin bestand, daß Abrede,
Schrae oder Vergleich, nicht aber Gelehrsamkeit
oder Weisheit eine streitige Sache unter Klops-Leu-
ten entscheiden müsse. Die Gerichtsbarkeit eines
Reichs-Gerichtes sollte bloß durch einen Reichs-Frie-
debruch, und die Gerichtsbarkeit einer Landes-Obrig-
keit durch einen Land-Friedenbruch gegründet; nie-
mals aber von der Rechts-Weisung eines Klops, ei-
ner Mark, oder einer Jnnung abgegangen werden.

(a) Dieser Vorwurf wird den Westphälingern nun einmal
überhaupt gemacht; ich glaube aber nicht daß in West-
phalen mehr als anderwärts über Schuld- und Erb-
Sachen gestritten werde.
(b) Die Besorgniß, daß ein Nachbar vor dem andern sich in
der Gemeinheit mehr ausdehnen möge, verführet auch
den ehrlichsten Mann zu einigen Gegenanstalten; wor-
unter eine Verhältnißmässige gleiche Ausdehnung un-
streitig die sicherste ist. Man kann jeden Bauer nicht
zwingen eine Mauer oder eine lebendige Hecke um seine
Gründe zu halten, und eine todte Hecke, oder ein Gra-
be rückt leicht unvermerkt fort. Einige versuchten es so
gar, die Thürpfosten nicht in die Erde sondern gleich-
sam auf Schlitten zu stellen, welche in einer Nacht fort-
gerücket werden können. Dies ist nun zwar verboten.
Allein die todte Hecke ist so lange beweglich als noch
Raum zu Eroberungen vorhanden; und nie hat ein
Bauer gegen die Gemeinheit seine Gränzen in gerader
Linie.
(c) S.
K 3

zweyter Abſchnitt.
der-Leute verwandelt, jedem Frieden oder jeder Jn-
nung ihren eignen Schultheiſſen (f) genommen; die
Gerichts-Zwaͤnge zu ſehr erweitert, und was vielleicht
unglaublich ſcheinen moͤgte, (g) Weisheit fuͤr Recht
erkannt habe. Die neuern Einrichtungen der Ge-
richtsbarkeiten, arbeiten immerfort gegen den groſſen
Plan der alten, welcher darin beſtand, daß Abrede,
Schrae oder Vergleich, nicht aber Gelehrſamkeit
oder Weisheit eine ſtreitige Sache unter Klops-Leu-
ten entſcheiden muͤſſe. Die Gerichtsbarkeit eines
Reichs-Gerichtes ſollte bloß durch einen Reichs-Frie-
debruch, und die Gerichtsbarkeit einer Landes-Obrig-
keit durch einen Land-Friedenbruch gegruͤndet; nie-
mals aber von der Rechts-Weiſung eines Klops, ei-
ner Mark, oder einer Jnnung abgegangen werden.

(a) Dieſer Vorwurf wird den Weſtphaͤlingern nun einmal
uͤberhaupt gemacht; ich glaube aber nicht daß in Weſt-
phalen mehr als anderwaͤrts uͤber Schuld- und Erb-
Sachen geſtritten werde.
(b) Die Beſorgniß, daß ein Nachbar vor dem andern ſich in
der Gemeinheit mehr ausdehnen moͤge, verfuͤhret auch
den ehrlichſten Mann zu einigen Gegenanſtalten; wor-
unter eine Verhaͤltnißmaͤſſige gleiche Ausdehnung un-
ſtreitig die ſicherſte iſt. Man kann jeden Bauer nicht
zwingen eine Mauer oder eine lebendige Hecke um ſeine
Gruͤnde zu halten, und eine todte Hecke, oder ein Gra-
be ruͤckt leicht unvermerkt fort. Einige verſuchten es ſo
gar, die Thuͤrpfoſten nicht in die Erde ſondern gleich-
ſam auf Schlitten zu ſtellen, welche in einer Nacht fort-
geruͤcket werden koͤnnen. Dies iſt nun zwar verboten.
Allein die todte Hecke iſt ſo lange beweglich als noch
Raum zu Eroberungen vorhanden; und nie hat ein
Bauer gegen die Gemeinheit ſeine Graͤnzen in gerader
Linie.
(c) S.
K 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0179" n="149"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">zweyter Ab&#x017F;chnitt.</hi></fw><lb/>
der-Leute verwandelt, jedem <hi rendition="#fr">Frieden</hi> oder jeder Jn-<lb/>
nung ihren eignen Schulthei&#x017F;&#x017F;en <note place="end" n="(f)"/> genommen; die<lb/>
Gerichts-Zwa&#x0364;nge zu &#x017F;ehr erweitert, und was vielleicht<lb/>
unglaublich &#x017F;cheinen mo&#x0364;gte, <note place="end" n="(g)"/> Weisheit fu&#x0364;r Recht<lb/>
erkannt habe. Die neuern Einrichtungen der Ge-<lb/>
richtsbarkeiten, arbeiten immerfort gegen den gro&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Plan der alten, welcher darin be&#x017F;tand, daß Abrede,<lb/>
Schrae oder Vergleich, nicht aber Gelehr&#x017F;amkeit<lb/>
oder Weisheit eine &#x017F;treitige Sache unter Klops-Leu-<lb/>
ten ent&#x017F;cheiden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Die Gerichtsbarkeit eines<lb/>
Reichs-Gerichtes &#x017F;ollte bloß durch einen Reichs-Frie-<lb/>
debruch, und die Gerichtsbarkeit einer Landes-Obrig-<lb/>
keit durch einen Land-Friedenbruch gegru&#x0364;ndet; nie-<lb/>
mals aber von der Rechts-Wei&#x017F;ung eines Klops, ei-<lb/>
ner Mark, oder einer Jnnung abgegangen werden.</p><lb/>
          <note place="end" n="(a)">Die&#x017F;er Vorwurf wird den We&#x017F;tpha&#x0364;lingern nun einmal<lb/>
u&#x0364;berhaupt gemacht; ich glaube aber nicht daß in We&#x017F;t-<lb/>
phalen mehr als anderwa&#x0364;rts u&#x0364;ber Schuld- und Erb-<lb/>
Sachen ge&#x017F;tritten werde.</note><lb/>
          <note place="end" n="(b)">Die Be&#x017F;orgniß, daß ein Nachbar vor dem andern &#x017F;ich in<lb/>
der Gemeinheit mehr ausdehnen mo&#x0364;ge, verfu&#x0364;hret auch<lb/>
den ehrlich&#x017F;ten Mann zu einigen Gegenan&#x017F;talten; wor-<lb/>
unter eine Verha&#x0364;ltnißma&#x0364;&#x017F;&#x017F;ige gleiche Ausdehnung un-<lb/>
&#x017F;treitig die &#x017F;icher&#x017F;te i&#x017F;t. Man kann jeden Bauer nicht<lb/>
zwingen eine Mauer oder eine lebendige Hecke um &#x017F;eine<lb/>
Gru&#x0364;nde zu halten, und eine todte Hecke, oder ein Gra-<lb/>
be ru&#x0364;ckt leicht unvermerkt fort. Einige ver&#x017F;uchten es &#x017F;o<lb/>
gar, die Thu&#x0364;rpfo&#x017F;ten nicht in die Erde &#x017F;ondern gleich-<lb/>
&#x017F;am auf Schlitten zu &#x017F;tellen, welche in einer Nacht fort-<lb/>
geru&#x0364;cket werden ko&#x0364;nnen. Dies i&#x017F;t nun zwar verboten.<lb/>
Allein die todte Hecke i&#x017F;t &#x017F;o lange beweglich als noch<lb/>
Raum zu Eroberungen vorhanden; und nie hat ein<lb/>
Bauer gegen die Gemeinheit &#x017F;eine Gra&#x0364;nzen in gerader<lb/>
Linie.</note><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">K 3</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">(<hi rendition="#aq">c</hi>) S.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0179] zweyter Abſchnitt. der-Leute verwandelt, jedem Frieden oder jeder Jn- nung ihren eignen Schultheiſſen ⁽f⁾ genommen; die Gerichts-Zwaͤnge zu ſehr erweitert, und was vielleicht unglaublich ſcheinen moͤgte, ⁽g⁾ Weisheit fuͤr Recht erkannt habe. Die neuern Einrichtungen der Ge- richtsbarkeiten, arbeiten immerfort gegen den groſſen Plan der alten, welcher darin beſtand, daß Abrede, Schrae oder Vergleich, nicht aber Gelehrſamkeit oder Weisheit eine ſtreitige Sache unter Klops-Leu- ten entſcheiden muͤſſe. Die Gerichtsbarkeit eines Reichs-Gerichtes ſollte bloß durch einen Reichs-Frie- debruch, und die Gerichtsbarkeit einer Landes-Obrig- keit durch einen Land-Friedenbruch gegruͤndet; nie- mals aber von der Rechts-Weiſung eines Klops, ei- ner Mark, oder einer Jnnung abgegangen werden. ⁽a⁾ Dieſer Vorwurf wird den Weſtphaͤlingern nun einmal uͤberhaupt gemacht; ich glaube aber nicht daß in Weſt- phalen mehr als anderwaͤrts uͤber Schuld- und Erb- Sachen geſtritten werde. ⁽b⁾ Die Beſorgniß, daß ein Nachbar vor dem andern ſich in der Gemeinheit mehr ausdehnen moͤge, verfuͤhret auch den ehrlichſten Mann zu einigen Gegenanſtalten; wor- unter eine Verhaͤltnißmaͤſſige gleiche Ausdehnung un- ſtreitig die ſicherſte iſt. Man kann jeden Bauer nicht zwingen eine Mauer oder eine lebendige Hecke um ſeine Gruͤnde zu halten, und eine todte Hecke, oder ein Gra- be ruͤckt leicht unvermerkt fort. Einige verſuchten es ſo gar, die Thuͤrpfoſten nicht in die Erde ſondern gleich- ſam auf Schlitten zu ſtellen, welche in einer Nacht fort- geruͤcket werden koͤnnen. Dies iſt nun zwar verboten. Allein die todte Hecke iſt ſo lange beweglich als noch Raum zu Eroberungen vorhanden; und nie hat ein Bauer gegen die Gemeinheit ſeine Graͤnzen in gerader Linie. (c) S. K 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_osnabrueck_1768
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_osnabrueck_1768/179
Zitationshilfe: Möser, Justus: Osnabrückische Geschichte. Osnabrück, 1768, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_osnabrueck_1768/179>, abgerufen am 26.11.2024.