Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

lechzend in sich selber, ohn' eine hülfreiche theilneh-
mende Seele, die seine heimlichen Schmerzen bespräche,
in die Tiefe seines Elends bescheidnen Trost hinun-
terleiten könnte! Ihn so zu denken! und keine Spur,
keine Ahnung, welcher Winkel der Erde mir ihn ver-
birgt. Und wenn ich ihn nimmer fände? Gott! wenn
er bereits, wenn er in diesem Augenblick dasjenige
verzweifelt ausgeführt hätte, womit er sich und mich
so oft bedrohte -- --!" Eine Sorge, die nur erst
als schwacher Punkt zuweilen vor uns aufgestiegen
und immer glücklich wieder verscheucht worden war,
pflegt tückischer Weise gerade in solchen Momenten
uns am hartnäckigsten zu verfolgen, wo alles Uebrige
sich zur freundlichsten Stimmung um uns vereinigen
will. Im heftigen Zugwinde einer aufgescheuchten
Einbildungskraft drängt sich schnell Wolke auf Wolke,
bis es vollkommen Nacht um uns wird. So ballte
mitten in der lieblichsten Umgebung das riesenhafte
Gespenst eines abwesenden Geschickes seine drohende
Faust vor Theobalds Stirn, und so war plötzlich eine
sonderbare Gewißheit in ihm aufgegangen, daß Lar-
kens
für ihn verloren sey, daß er auf eine schreck-
liche Art geendigt habe. Er ertrug's nicht mehr, stand
auf von seinem Sitze, und ging im Zimmer umher.
Die süße Nähe Agnesens beklemmt ihn wunderbar,
eine unerklärliche Angst befällt ihn, ihm ist, als wenn
ihn diese reine Gegenwart mit stillem Vorwurf wie
einen Fremden, Unwürdigen, ausstieße. Dieß Zimmer,

lechzend in ſich ſelber, ohn’ eine hülfreiche theilneh-
mende Seele, die ſeine heimlichen Schmerzen beſpräche,
in die Tiefe ſeines Elends beſcheidnen Troſt hinun-
terleiten könnte! Ihn ſo zu denken! und keine Spur,
keine Ahnung, welcher Winkel der Erde mir ihn ver-
birgt. Und wenn ich ihn nimmer fände? Gott! wenn
er bereits, wenn er in dieſem Augenblick dasjenige
verzweifelt ausgeführt hätte, womit er ſich und mich
ſo oft bedrohte — —!“ Eine Sorge, die nur erſt
als ſchwacher Punkt zuweilen vor uns aufgeſtiegen
und immer glücklich wieder verſcheucht worden war,
pflegt tückiſcher Weiſe gerade in ſolchen Momenten
uns am hartnäckigſten zu verfolgen, wo alles Uebrige
ſich zur freundlichſten Stimmung um uns vereinigen
will. Im heftigen Zugwinde einer aufgeſcheuchten
Einbildungskraft drängt ſich ſchnell Wolke auf Wolke,
bis es vollkommen Nacht um uns wird. So ballte
mitten in der lieblichſten Umgebung das rieſenhafte
Geſpenſt eines abweſenden Geſchickes ſeine drohende
Fauſt vor Theobalds Stirn, und ſo war plötzlich eine
ſonderbare Gewißheit in ihm aufgegangen, daß Lar-
kens
für ihn verloren ſey, daß er auf eine ſchreck-
liche Art geendigt habe. Er ertrug’s nicht mehr, ſtand
auf von ſeinem Sitze, und ging im Zimmer umher.
Die ſüße Nähe Agneſens beklemmt ihn wunderbar,
eine unerklärliche Angſt befällt ihn, ihm iſt, als wenn
ihn dieſe reine Gegenwart mit ſtillem Vorwurf wie
einen Fremden, Unwürdigen, ausſtieße. Dieß Zimmer,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0099" n="413"/>
lechzend in &#x017F;ich &#x017F;elber, ohn&#x2019; eine hülfreiche theilneh-<lb/>
mende Seele, die &#x017F;eine heimlichen Schmerzen be&#x017F;präche,<lb/>
in die Tiefe &#x017F;eines Elends be&#x017F;cheidnen Tro&#x017F;t hinun-<lb/>
terleiten könnte! Ihn <hi rendition="#g">&#x017F;o</hi> zu denken! und keine Spur,<lb/>
keine Ahnung, welcher Winkel der Erde mir ihn ver-<lb/>
birgt. Und wenn ich ihn nimmer fände? Gott! wenn<lb/>
er bereits, wenn er in die&#x017F;em Augenblick dasjenige<lb/>
verzweifelt ausgeführt hätte, womit er &#x017F;ich und mich<lb/>
&#x017F;o oft bedrohte &#x2014; &#x2014;!&#x201C; Eine Sorge, die nur er&#x017F;t<lb/>
als &#x017F;chwacher Punkt zuweilen vor uns aufge&#x017F;tiegen<lb/>
und immer glücklich wieder ver&#x017F;cheucht worden war,<lb/>
pflegt tücki&#x017F;cher Wei&#x017F;e gerade in &#x017F;olchen Momenten<lb/>
uns am hartnäckig&#x017F;ten zu verfolgen, wo alles Uebrige<lb/>
&#x017F;ich zur freundlich&#x017F;ten Stimmung um uns vereinigen<lb/>
will. Im heftigen Zugwinde einer aufge&#x017F;cheuchten<lb/>
Einbildungskraft drängt &#x017F;ich &#x017F;chnell Wolke auf Wolke,<lb/>
bis es vollkommen Nacht um uns wird. So ballte<lb/>
mitten in der lieblich&#x017F;ten Umgebung das rie&#x017F;enhafte<lb/>
Ge&#x017F;pen&#x017F;t eines abwe&#x017F;enden Ge&#x017F;chickes &#x017F;eine drohende<lb/>
Fau&#x017F;t vor <hi rendition="#g">Theobalds</hi> Stirn, und &#x017F;o war plötzlich eine<lb/>
&#x017F;onderbare Gewißheit in ihm aufgegangen, daß <hi rendition="#g">Lar-<lb/>
kens</hi> für ihn verloren &#x017F;ey, daß er auf eine &#x017F;chreck-<lb/>
liche Art geendigt habe. Er ertrug&#x2019;s nicht mehr, &#x017F;tand<lb/>
auf von &#x017F;einem Sitze, und ging im Zimmer umher.<lb/>
Die &#x017F;üße Nähe <hi rendition="#g">Agne&#x017F;ens</hi> beklemmt ihn wunderbar,<lb/>
eine unerklärliche Ang&#x017F;t befällt ihn, ihm i&#x017F;t, als wenn<lb/>
ihn die&#x017F;e reine Gegenwart mit &#x017F;tillem Vorwurf wie<lb/>
einen Fremden, Unwürdigen, aus&#x017F;tieße. Dieß Zimmer,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[413/0099] lechzend in ſich ſelber, ohn’ eine hülfreiche theilneh- mende Seele, die ſeine heimlichen Schmerzen beſpräche, in die Tiefe ſeines Elends beſcheidnen Troſt hinun- terleiten könnte! Ihn ſo zu denken! und keine Spur, keine Ahnung, welcher Winkel der Erde mir ihn ver- birgt. Und wenn ich ihn nimmer fände? Gott! wenn er bereits, wenn er in dieſem Augenblick dasjenige verzweifelt ausgeführt hätte, womit er ſich und mich ſo oft bedrohte — —!“ Eine Sorge, die nur erſt als ſchwacher Punkt zuweilen vor uns aufgeſtiegen und immer glücklich wieder verſcheucht worden war, pflegt tückiſcher Weiſe gerade in ſolchen Momenten uns am hartnäckigſten zu verfolgen, wo alles Uebrige ſich zur freundlichſten Stimmung um uns vereinigen will. Im heftigen Zugwinde einer aufgeſcheuchten Einbildungskraft drängt ſich ſchnell Wolke auf Wolke, bis es vollkommen Nacht um uns wird. So ballte mitten in der lieblichſten Umgebung das rieſenhafte Geſpenſt eines abweſenden Geſchickes ſeine drohende Fauſt vor Theobalds Stirn, und ſo war plötzlich eine ſonderbare Gewißheit in ihm aufgegangen, daß Lar- kens für ihn verloren ſey, daß er auf eine ſchreck- liche Art geendigt habe. Er ertrug’s nicht mehr, ſtand auf von ſeinem Sitze, und ging im Zimmer umher. Die ſüße Nähe Agneſens beklemmt ihn wunderbar, eine unerklärliche Angſt befällt ihn, ihm iſt, als wenn ihn dieſe reine Gegenwart mit ſtillem Vorwurf wie einen Fremden, Unwürdigen, ausſtieße. Dieß Zimmer,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/99
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/99>, abgerufen am 23.11.2024.