ter denken kann, eh wir den Papa zum Wort kommen lassen mit Besuchen, die zu machen, mit Rücksichten, die zu nehmen sind, erlauben Sie uns das Vergnü- gen, daß Agnes mir zuvörderst das Haus vom Gie- bel bis zum Keller, von der Scheune bis zum Gar- ten, und Alles nach der Reihe wieder zeige, was mich als Knaben glücklich machte. Was waren das doch schöne Zeiten! Sie hatten ihrer vier Jungen im Hause, lieber Vater, die beiden Z., diese wilden Brü- der, mich und Amandus, der ja nun Pfarrer drü- ben ist in Halmedorf. Wie freu' ich mich, ihn wie- der zu sehn! wir müssen hinüber gleich in den näch- sten Tagen, hörst du mein Schatz? hört ihr Papa? da muß dann Jedes sein Häufchen Erinnerung her- zubringen, und es wird ein groß Stück Vergangen- heit zusammen geben." "Leider," sagte Agnes, "kann aus dieser Zeit von mir noch nicht die Rede seyn; ich hatte nur erst sieben Jahre, wie du zu uns kamst." "Was? nicht die Rede? meinst du, der Tag, der ver- hängnißvolle, schwarze Unglücks-Sonntagnachmittag werde nicht aufgeführt in unsern Schulannalen, wo du mein Exercitienheft zur Hand kriegtest, es auf dem Schemel hinter den Ofen nahmst und unmittelbar hinter das rothe Pessime des Rektors hin mit unge- lenker Feder, in bester Meinung, eine ganze Front lan- ger hakiger P's und V's maltest? Welch ein Jammer, da ich das Skandal gewahr wurde! Ich nahm dich, Gott verzeih mir's, bei den Ohren, und die Andern
ter denken kann, eh wir den Papa zum Wort kommen laſſen mit Beſuchen, die zu machen, mit Rückſichten, die zu nehmen ſind, erlauben Sie uns das Vergnü- gen, daß Agnes mir zuvörderſt das Haus vom Gie- bel bis zum Keller, von der Scheune bis zum Gar- ten, und Alles nach der Reihe wieder zeige, was mich als Knaben glücklich machte. Was waren das doch ſchöne Zeiten! Sie hatten ihrer vier Jungen im Hauſe, lieber Vater, die beiden Z., dieſe wilden Brü- der, mich und Amandus, der ja nun Pfarrer drü- ben iſt in Halmedorf. Wie freu’ ich mich, ihn wie- der zu ſehn! wir müſſen hinüber gleich in den näch- ſten Tagen, hörſt du mein Schatz? hört ihr Papa? da muß dann Jedes ſein Häufchen Erinnerung her- zubringen, und es wird ein groß Stück Vergangen- heit zuſammen geben.“ „Leider,“ ſagte Agnes, „kann aus dieſer Zeit von mir noch nicht die Rede ſeyn; ich hatte nur erſt ſieben Jahre, wie du zu uns kamſt.“ „Was? nicht die Rede? meinſt du, der Tag, der ver- hängnißvolle, ſchwarze Unglücks-Sonntagnachmittag werde nicht aufgeführt in unſern Schulannalen, wo du mein Exercitienheft zur Hand kriegteſt, es auf dem Schemel hinter den Ofen nahmſt und unmittelbar hinter das rothe Pessime des Rektors hin mit unge- lenker Feder, in beſter Meinung, eine ganze Front lan- ger hakiger P’s und V’s malteſt? Welch ein Jammer, da ich das Skandal gewahr wurde! Ich nahm dich, Gott verzeih mir’s, bei den Ohren, und die Andern
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0096"n="410"/>
ter denken kann, eh wir den Papa zum Wort kommen<lb/>
laſſen mit Beſuchen, die zu machen, mit Rückſichten,<lb/>
die zu nehmen ſind, erlauben Sie uns das Vergnü-<lb/>
gen, daß <hirendition="#g">Agnes</hi> mir zuvörderſt das Haus vom Gie-<lb/>
bel bis zum Keller, von der Scheune bis zum Gar-<lb/>
ten, und Alles nach der Reihe wieder zeige, was mich<lb/>
als Knaben glücklich machte. Was waren das doch<lb/>ſchöne Zeiten! Sie hatten ihrer vier Jungen im<lb/>
Hauſe, lieber Vater, die beiden Z., dieſe wilden Brü-<lb/>
der, mich und <hirendition="#g">Amandus</hi>, der ja nun Pfarrer drü-<lb/>
ben iſt in Halmedorf. Wie freu’ ich mich, ihn wie-<lb/>
der zu ſehn! wir müſſen hinüber gleich in den näch-<lb/>ſten Tagen, hörſt du mein Schatz? hört ihr Papa?<lb/>
da muß dann Jedes ſein Häufchen Erinnerung her-<lb/>
zubringen, und es wird ein groß Stück Vergangen-<lb/>
heit zuſammen geben.“„Leider,“ſagte <hirendition="#g">Agnes</hi>, „kann<lb/>
aus dieſer Zeit von mir noch nicht die Rede ſeyn;<lb/>
ich hatte nur erſt ſieben Jahre, wie du zu uns kamſt.“<lb/>„Was? nicht die Rede? meinſt du, der Tag, der ver-<lb/>
hängnißvolle, ſchwarze Unglücks-Sonntagnachmittag<lb/>
werde nicht aufgeführt in unſern Schulannalen, wo<lb/>
du mein Exercitienheft zur Hand kriegteſt, es auf dem<lb/>
Schemel hinter den Ofen nahmſt und unmittelbar<lb/>
hinter das rothe <hirendition="#aq">Pessime</hi> des Rektors hin mit unge-<lb/>
lenker Feder, in beſter Meinung, eine ganze Front lan-<lb/>
ger hakiger P’s und V’s malteſt? Welch ein Jammer,<lb/>
da ich das Skandal gewahr wurde! Ich nahm dich,<lb/>
Gott verzeih mir’s, bei den Ohren, und die Andern<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[410/0096]
ter denken kann, eh wir den Papa zum Wort kommen
laſſen mit Beſuchen, die zu machen, mit Rückſichten,
die zu nehmen ſind, erlauben Sie uns das Vergnü-
gen, daß Agnes mir zuvörderſt das Haus vom Gie-
bel bis zum Keller, von der Scheune bis zum Gar-
ten, und Alles nach der Reihe wieder zeige, was mich
als Knaben glücklich machte. Was waren das doch
ſchöne Zeiten! Sie hatten ihrer vier Jungen im
Hauſe, lieber Vater, die beiden Z., dieſe wilden Brü-
der, mich und Amandus, der ja nun Pfarrer drü-
ben iſt in Halmedorf. Wie freu’ ich mich, ihn wie-
der zu ſehn! wir müſſen hinüber gleich in den näch-
ſten Tagen, hörſt du mein Schatz? hört ihr Papa?
da muß dann Jedes ſein Häufchen Erinnerung her-
zubringen, und es wird ein groß Stück Vergangen-
heit zuſammen geben.“ „Leider,“ ſagte Agnes, „kann
aus dieſer Zeit von mir noch nicht die Rede ſeyn;
ich hatte nur erſt ſieben Jahre, wie du zu uns kamſt.“
„Was? nicht die Rede? meinſt du, der Tag, der ver-
hängnißvolle, ſchwarze Unglücks-Sonntagnachmittag
werde nicht aufgeführt in unſern Schulannalen, wo
du mein Exercitienheft zur Hand kriegteſt, es auf dem
Schemel hinter den Ofen nahmſt und unmittelbar
hinter das rothe Pessime des Rektors hin mit unge-
lenker Feder, in beſter Meinung, eine ganze Front lan-
ger hakiger P’s und V’s malteſt? Welch ein Jammer,
da ich das Skandal gewahr wurde! Ich nahm dich,
Gott verzeih mir’s, bei den Ohren, und die Andern
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/96>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.