Leopold ging unter tiefen Betrachtungen nach der Stadt zurück. Er kommt an dem Garten des wun- derlichen Hofraths vorbei. Der Liebling des Leztern, ein zahmer Staar, sizt auf dem Spitz-Dache eines Pump- brunnens, über den sich eine Trauerweide neigt. Der Vogel stimmt, eben wie Leopold vorüber will, sein Stückchen an, mit einem spöttischen Zwischenruf, der offenbar ihm gilt: "Es reiten drei -- Spitzbub -- zum Thore hinaus;" zugleich wird das gepuderte Haupt des Hofraths sichtbar; derselbe ersucht den Bildhauer, einen Augenblick hereinzutreten. "Ich habe eine Neuig- keit," sagt er, "über deren angenehmen Inhalt Sie wohl dem Flegel da droben seine Unart vergessen werden. Monsieur Larkens wurde den Morgen schnell zu einem Verhöre berufen. Man darf sich auf ein er- wünschtes Resultat gefaßt halten; mir ward nur en passant und ganz im Allgemeinen, jedoch von sicherer Hand ein Wink gegeben. Bringen Sie den Leutchen diesen Trost, sagen es aber nicht weiter." Voll Freu- den dankte der Bildhauer und wollte eilends gehn, als der Hofrath, der heute seinen schönen Tag hatte, ihn noch am Rockknopf festhielt und sagte: "Widmen Sie doch dem Burschen da droben noch einen Blick! Be-
Leopold ging unter tiefen Betrachtungen nach der Stadt zurück. Er kommt an dem Garten des wun- derlichen Hofraths vorbei. Der Liebling des Leztern, ein zahmer Staar, ſizt auf dem Spitz-Dache eines Pump- brunnens, über den ſich eine Trauerweide neigt. Der Vogel ſtimmt, eben wie Leopold vorüber will, ſein Stückchen an, mit einem ſpöttiſchen Zwiſchenruf, der offenbar ihm gilt: „Es reiten drei — Spitzbub — zum Thore hinaus;“ zugleich wird das gepuderte Haupt des Hofraths ſichtbar; derſelbe erſucht den Bildhauer, einen Augenblick hereinzutreten. „Ich habe eine Neuig- keit,“ ſagt er, „über deren angenehmen Inhalt Sie wohl dem Flegel da droben ſeine Unart vergeſſen werden. Monſieur Larkens wurde den Morgen ſchnell zu einem Verhöre berufen. Man darf ſich auf ein er- wünſchtes Reſultat gefaßt halten; mir ward nur en paſſant und ganz im Allgemeinen, jedoch von ſicherer Hand ein Wink gegeben. Bringen Sie den Leutchen dieſen Troſt, ſagen es aber nicht weiter.“ Voll Freu- den dankte der Bildhauer und wollte eilends gehn, als der Hofrath, der heute ſeinen ſchönen Tag hatte, ihn noch am Rockknopf feſthielt und ſagte: „Widmen Sie doch dem Burſchen da droben noch einen Blick! Be-
<TEI><text><body><pbfacs="#f0009"n="[323]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="1"><head/><divn="2"><head/><p><hirendition="#g">Leopold</hi> ging unter tiefen Betrachtungen nach<lb/>
der Stadt zurück. Er kommt an dem Garten des wun-<lb/>
derlichen Hofraths vorbei. Der Liebling des Leztern,<lb/>
ein zahmer Staar, ſizt auf dem Spitz-Dache eines Pump-<lb/>
brunnens, über den ſich eine Trauerweide neigt. Der<lb/>
Vogel ſtimmt, eben wie <hirendition="#g">Leopold</hi> vorüber will, ſein<lb/>
Stückchen an, mit einem ſpöttiſchen Zwiſchenruf, der<lb/>
offenbar ihm gilt: „Es reiten drei — Spitzbub — zum<lb/>
Thore hinaus;“ zugleich wird das gepuderte Haupt<lb/>
des Hofraths ſichtbar; derſelbe erſucht den Bildhauer,<lb/>
einen Augenblick hereinzutreten. „Ich habe eine Neuig-<lb/>
keit,“ſagt er, „über deren angenehmen Inhalt Sie wohl<lb/>
dem Flegel da droben ſeine Unart vergeſſen werden.<lb/>
Monſieur <hirendition="#g">Larkens</hi> wurde den Morgen ſchnell zu<lb/>
einem Verhöre berufen. Man darf ſich auf ein er-<lb/>
wünſchtes Reſultat gefaßt halten; mir ward nur en<lb/>
paſſant und ganz im Allgemeinen, jedoch von ſicherer<lb/>
Hand ein Wink gegeben. Bringen Sie den Leutchen<lb/>
dieſen Troſt, ſagen es aber nicht weiter.“ Voll Freu-<lb/>
den dankte der Bildhauer und wollte eilends gehn, als<lb/>
der Hofrath, der heute ſeinen ſchönen Tag hatte, ihn<lb/>
noch am Rockknopf feſthielt und ſagte: „Widmen Sie<lb/>
doch dem Burſchen da droben noch einen Blick! Be-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[323]/0009]
Leopold ging unter tiefen Betrachtungen nach
der Stadt zurück. Er kommt an dem Garten des wun-
derlichen Hofraths vorbei. Der Liebling des Leztern,
ein zahmer Staar, ſizt auf dem Spitz-Dache eines Pump-
brunnens, über den ſich eine Trauerweide neigt. Der
Vogel ſtimmt, eben wie Leopold vorüber will, ſein
Stückchen an, mit einem ſpöttiſchen Zwiſchenruf, der
offenbar ihm gilt: „Es reiten drei — Spitzbub — zum
Thore hinaus;“ zugleich wird das gepuderte Haupt
des Hofraths ſichtbar; derſelbe erſucht den Bildhauer,
einen Augenblick hereinzutreten. „Ich habe eine Neuig-
keit,“ ſagt er, „über deren angenehmen Inhalt Sie wohl
dem Flegel da droben ſeine Unart vergeſſen werden.
Monſieur Larkens wurde den Morgen ſchnell zu
einem Verhöre berufen. Man darf ſich auf ein er-
wünſchtes Reſultat gefaßt halten; mir ward nur en
paſſant und ganz im Allgemeinen, jedoch von ſicherer
Hand ein Wink gegeben. Bringen Sie den Leutchen
dieſen Troſt, ſagen es aber nicht weiter.“ Voll Freu-
den dankte der Bildhauer und wollte eilends gehn, als
der Hofrath, der heute ſeinen ſchönen Tag hatte, ihn
noch am Rockknopf feſthielt und ſagte: „Widmen Sie
doch dem Burſchen da droben noch einen Blick! Be-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. [323]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/9>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.