Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

nelien that, davon schweigt Nolten mit Bedacht,
als wenn er selbst nicht darum wüßte. Er hatte sich
Zeit zu seiner Erzählung genommen, um so mehr,
als er das gespannteste Interesse bei seiner Neben-
sitzerin wahrnahm; auch wurde er, wie wohl zu
merken war, vollkommen gut verstanden. Die ganze
Geschichte, an sich abenteuerlich und unglaublich, ge-
wann durch einen gewandten und lebhaften Vortrag
die höchste Wahrheit. Endlich war er fertig, und
nach einigem Stillschweigen versezte die Gonvernantin
(während sie ihn mit einem Blick ansah, worin er
ihren Dank für die zarte Schonung lesen sollte, die
er gegen ihre Freundin und gewissermaßen gegen sie
selbst mit seiner Fabel beobachtet hatte): "Meint man
doch wahrlich ein Mährchen zu hören, so bunt ist
Alles hier gewoben!"

"Es stehen Beweise für die Wahrheit zu Dienste,"
erwiederte Theobald; "ja ich erbitte mir ausdrücklich
die Erlaubniß, Ihnen dieser Tage einige Papiere vor-
legen zu dürfen, welche Sie jedenfalls mit Interesse
durchlaufen werden."

"Vielleicht," antwortete die Gouvernantin, "kann
ich anderwärts Gebrauch davon machen, der Ihnen
wünschenswerth seyn dürfte."

"Was Sie thun werden, Gnädigste, habe meinen
innigsten Dank voraus!" versezte Nolten mit einiger
Hast, indem er ihr die Hand mit Ehrfurcht küßte.
Sie war indessen nachdenklich geworden. Unvermerkt

nelien that, davon ſchweigt Nolten mit Bedacht,
als wenn er ſelbſt nicht darum wüßte. Er hatte ſich
Zeit zu ſeiner Erzählung genommen, um ſo mehr,
als er das geſpannteſte Intereſſe bei ſeiner Neben-
ſitzerin wahrnahm; auch wurde er, wie wohl zu
merken war, vollkommen gut verſtanden. Die ganze
Geſchichte, an ſich abenteuerlich und unglaublich, ge-
wann durch einen gewandten und lebhaften Vortrag
die höchſte Wahrheit. Endlich war er fertig, und
nach einigem Stillſchweigen verſezte die Gonvernantin
(während ſie ihn mit einem Blick anſah, worin er
ihren Dank für die zarte Schonung leſen ſollte, die
er gegen ihre Freundin und gewiſſermaßen gegen ſie
ſelbſt mit ſeiner Fabel beobachtet hatte): „Meint man
doch wahrlich ein Mährchen zu hören, ſo bunt iſt
Alles hier gewoben!“

„Es ſtehen Beweiſe für die Wahrheit zu Dienſte,“
erwiederte Theobald; „ja ich erbitte mir ausdrücklich
die Erlaubniß, Ihnen dieſer Tage einige Papiere vor-
legen zu dürfen, welche Sie jedenfalls mit Intereſſe
durchlaufen werden.“

„Vielleicht,“ antwortete die Gouvernantin, „kann
ich anderwärts Gebrauch davon machen, der Ihnen
wünſchenswerth ſeyn dürfte.“

„Was Sie thun werden, Gnädigſte, habe meinen
innigſten Dank voraus!“ verſezte Nolten mit einiger
Haſt, indem er ihr die Hand mit Ehrfurcht küßte.
Sie war indeſſen nachdenklich geworden. Unvermerkt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0067" n="381"/>
nelien</hi> that, davon &#x017F;chweigt <hi rendition="#g">Nolten</hi> mit Bedacht,<lb/>
als wenn er &#x017F;elb&#x017F;t nicht darum wüßte. Er hatte &#x017F;ich<lb/>
Zeit zu &#x017F;einer Erzählung genommen, um &#x017F;o mehr,<lb/>
als er das ge&#x017F;pannte&#x017F;te Intere&#x017F;&#x017F;e bei &#x017F;einer Neben-<lb/>
&#x017F;itzerin wahrnahm; auch wurde er, wie wohl zu<lb/>
merken war, vollkommen gut ver&#x017F;tanden. Die ganze<lb/>
Ge&#x017F;chichte, an &#x017F;ich abenteuerlich und unglaublich, ge-<lb/>
wann durch einen gewandten und lebhaften Vortrag<lb/>
die höch&#x017F;te Wahrheit. Endlich war er fertig, und<lb/>
nach einigem Still&#x017F;chweigen ver&#x017F;ezte die Gonvernantin<lb/>
(während &#x017F;ie ihn mit einem Blick an&#x017F;ah, worin er<lb/>
ihren Dank für die zarte Schonung le&#x017F;en &#x017F;ollte, die<lb/>
er gegen ihre Freundin und gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen gegen &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t mit &#x017F;einer Fabel beobachtet hatte): &#x201E;Meint man<lb/>
doch wahrlich ein Mährchen zu hören, &#x017F;o bunt i&#x017F;t<lb/>
Alles hier gewoben!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Es &#x017F;tehen Bewei&#x017F;e für die Wahrheit zu Dien&#x017F;te,&#x201C;<lb/>
erwiederte <hi rendition="#g">Theobald</hi>; &#x201E;ja ich erbitte mir ausdrücklich<lb/>
die Erlaubniß, Ihnen die&#x017F;er Tage einige Papiere vor-<lb/>
legen zu dürfen, welche Sie jedenfalls mit Intere&#x017F;&#x017F;e<lb/>
durchlaufen werden.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Vielleicht,&#x201C; antwortete die Gouvernantin, &#x201E;kann<lb/>
ich anderwärts Gebrauch davon machen, der Ihnen<lb/>
wün&#x017F;chenswerth &#x017F;eyn dürfte.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Was Sie thun werden, Gnädig&#x017F;te, habe meinen<lb/>
innig&#x017F;ten Dank voraus!&#x201C; ver&#x017F;ezte <hi rendition="#g">Nolten</hi> mit einiger<lb/>
Ha&#x017F;t, indem er ihr die Hand mit Ehrfurcht küßte.<lb/>
Sie war inde&#x017F;&#x017F;en nachdenklich geworden. Unvermerkt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[381/0067] nelien that, davon ſchweigt Nolten mit Bedacht, als wenn er ſelbſt nicht darum wüßte. Er hatte ſich Zeit zu ſeiner Erzählung genommen, um ſo mehr, als er das geſpannteſte Intereſſe bei ſeiner Neben- ſitzerin wahrnahm; auch wurde er, wie wohl zu merken war, vollkommen gut verſtanden. Die ganze Geſchichte, an ſich abenteuerlich und unglaublich, ge- wann durch einen gewandten und lebhaften Vortrag die höchſte Wahrheit. Endlich war er fertig, und nach einigem Stillſchweigen verſezte die Gonvernantin (während ſie ihn mit einem Blick anſah, worin er ihren Dank für die zarte Schonung leſen ſollte, die er gegen ihre Freundin und gewiſſermaßen gegen ſie ſelbſt mit ſeiner Fabel beobachtet hatte): „Meint man doch wahrlich ein Mährchen zu hören, ſo bunt iſt Alles hier gewoben!“ „Es ſtehen Beweiſe für die Wahrheit zu Dienſte,“ erwiederte Theobald; „ja ich erbitte mir ausdrücklich die Erlaubniß, Ihnen dieſer Tage einige Papiere vor- legen zu dürfen, welche Sie jedenfalls mit Intereſſe durchlaufen werden.“ „Vielleicht,“ antwortete die Gouvernantin, „kann ich anderwärts Gebrauch davon machen, der Ihnen wünſchenswerth ſeyn dürfte.“ „Was Sie thun werden, Gnädigſte, habe meinen innigſten Dank voraus!“ verſezte Nolten mit einiger Haſt, indem er ihr die Hand mit Ehrfurcht küßte. Sie war indeſſen nachdenklich geworden. Unvermerkt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/67
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/67>, abgerufen am 22.11.2024.