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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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schämende, die ganze Pein dieses Verdachts: keine
Stunde mehr konnte er ruhen, der Boden brannte
unter seinen Füßen, er wollte eilen, wollte sich reini-
gen, es koste was es wolle. Aber das ging so schnell
nicht an. Wie sollte er an Constanzen gelangen?
wie war es möglich, sich zu rechtfertigen und doch zu-
gleich die höchste Delikatesse zu beobachten? Denn
gar leicht konnte die Gräfin ihn dergestalt mißverstehn,
als wenn er gekränkte Liebe bei ihr voraussezte, ein
Irrthum, der ihn, wie er meinte, zum lächerlichsten
Menschen in den Augen der schönen Frau machen
müßte. Er überlegte sich die Sache fleißig, und wollte
warten, bis ihm ein glücklicher Weg erschiene.


Am folgenden Tage fiel ihm ein, von dem Hof-
rath, dem er ohnehin einen Besuch schuldig war, die
Stimmung der Zarlin'schen zu erlauschen, und so-
gleich machte er sich auf den Weg.

Bei der Wohnung des Hofraths angelangt, fand
er zufällig die Hausthüre nur angelehnt, was ihn sehr
Wunder nahm, da es einen der ersten Grundsätze in
der Hausordnung dieses Mannes ausmachte, die Ein-
gänge jederzeit geschlossen zu halten. Außer dem
Briefträger und einer alten Magd, welche auswärts
wohnte, und zu gesezten Stunden mit dem Essen er-
schien, betrat nur selten ein Besuch die Schwelle, und
wenn jemals, so mußte die Glocke gezogen werden,

ſchämende, die ganze Pein dieſes Verdachts: keine
Stunde mehr konnte er ruhen, der Boden brannte
unter ſeinen Füßen, er wollte eilen, wollte ſich reini-
gen, es koſte was es wolle. Aber das ging ſo ſchnell
nicht an. Wie ſollte er an Conſtanzen gelangen?
wie war es möglich, ſich zu rechtfertigen und doch zu-
gleich die höchſte Delikateſſe zu beobachten? Denn
gar leicht konnte die Gräfin ihn dergeſtalt mißverſtehn,
als wenn er gekränkte Liebe bei ihr vorausſezte, ein
Irrthum, der ihn, wie er meinte, zum lächerlichſten
Menſchen in den Augen der ſchönen Frau machen
müßte. Er überlegte ſich die Sache fleißig, und wollte
warten, bis ihm ein glücklicher Weg erſchiene.


Am folgenden Tage fiel ihm ein, von dem Hof-
rath, dem er ohnehin einen Beſuch ſchuldig war, die
Stimmung der Zarlin’ſchen zu erlauſchen, und ſo-
gleich machte er ſich auf den Weg.

Bei der Wohnung des Hofraths angelangt, fand
er zufällig die Hausthüre nur angelehnt, was ihn ſehr
Wunder nahm, da es einen der erſten Grundſätze in
der Hausordnung dieſes Mannes ausmachte, die Ein-
gänge jederzeit geſchloſſen zu halten. Außer dem
Briefträger und einer alten Magd, welche auswärts
wohnte, und zu geſezten Stunden mit dem Eſſen er-
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[368/0054] ſchämende, die ganze Pein dieſes Verdachts: keine Stunde mehr konnte er ruhen, der Boden brannte unter ſeinen Füßen, er wollte eilen, wollte ſich reini- gen, es koſte was es wolle. Aber das ging ſo ſchnell nicht an. Wie ſollte er an Conſtanzen gelangen? wie war es möglich, ſich zu rechtfertigen und doch zu- gleich die höchſte Delikateſſe zu beobachten? Denn gar leicht konnte die Gräfin ihn dergeſtalt mißverſtehn, als wenn er gekränkte Liebe bei ihr vorausſezte, ein Irrthum, der ihn, wie er meinte, zum lächerlichſten Menſchen in den Augen der ſchönen Frau machen müßte. Er überlegte ſich die Sache fleißig, und wollte warten, bis ihm ein glücklicher Weg erſchiene. Am folgenden Tage fiel ihm ein, von dem Hof- rath, dem er ohnehin einen Beſuch ſchuldig war, die Stimmung der Zarlin’ſchen zu erlauſchen, und ſo- gleich machte er ſich auf den Weg. Bei der Wohnung des Hofraths angelangt, fand er zufällig die Hausthüre nur angelehnt, was ihn ſehr Wunder nahm, da es einen der erſten Grundſätze in der Hausordnung dieſes Mannes ausmachte, die Ein- gänge jederzeit geſchloſſen zu halten. Außer dem Briefträger und einer alten Magd, welche auswärts wohnte, und zu geſezten Stunden mit dem Eſſen er- ſchien, betrat nur ſelten ein Beſuch die Schwelle, und wenn jemals, ſo mußte die Glocke gezogen werden,

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/54>, abgerufen am 24.11.2024.