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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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Kopf gesezt, die heiligen Schriften alten und neuen
Testaments im Urtexte zu lesen, wobei es hauptsäch-
lich auf chiliastische Zwecke mochte abgesehen seyn.
Nach einem sehr mühsamen und wenig geordneten
Studium von mehreren Jahren sah er sich ungern
überzeugt, daß Alles eitel Stückwerk bei ihm sey und
das ganze schöne Unternehmen auf Nichts hinauslaufe.
Aus Verdruß über die verlorne Zeit warf er sich in
kecke ökonomische Spekulationen, dabei er denn zwar
keinen Schaden, doch auch nicht ganz seine Rechnung
fand. Seine Frau, eine kluge und stille Haushälterin,
wußte ihn mit guter Art zu lenken und zu leiten,
niemals rückte sie ihm seinen Irrthum ausdrücklich vor,
auch wenn sie ihn denselben fühlen ließ, und da ihm nichts
Unangenehmeres begegnen konnte, als wenn er irgend-
wie an die Nichtigkeit jenes wissenschaftlichen Trei-
bens erinnert ward, ja da er, um nur kein Unrecht
einzugestehn, sich auch wohl die Miene gab, als wür-
den ihm jene Forschungen seiner Zeit noch die reich-
lichsten Zinse abwerfen, so schonte das Weib diese
Schwachheit gerne und war heimlich zufrieden, wenn
sie ihm eine neue falsche Idee vergessen machen konnte.
Uebrigens kannte man ihn als einen muntern, redse-
ligen Gesellschafter, als den besten Gatten und Vater
seiner größtentheils schon wohlversorgten Familie.

Nolten sehnte sich nach der harmlosen Gegen-
wart eines menschlichen Wesens eben so sehr, als er
sich ungeschickt fühlte, an irgend einer Gesellschaft Theil

Kopf geſezt, die heiligen Schriften alten und neuen
Teſtaments im Urtexte zu leſen, wobei es hauptſäch-
lich auf chiliaſtiſche Zwecke mochte abgeſehen ſeyn.
Nach einem ſehr mühſamen und wenig geordneten
Studium von mehreren Jahren ſah er ſich ungern
überzeugt, daß Alles eitel Stückwerk bei ihm ſey und
das ganze ſchöne Unternehmen auf Nichts hinauslaufe.
Aus Verdruß über die verlorne Zeit warf er ſich in
kecke ökonomiſche Spekulationen, dabei er denn zwar
keinen Schaden, doch auch nicht ganz ſeine Rechnung
fand. Seine Frau, eine kluge und ſtille Haushälterin,
wußte ihn mit guter Art zu lenken und zu leiten,
niemals rückte ſie ihm ſeinen Irrthum ausdrücklich vor,
auch wenn ſie ihn denſelben fühlen ließ, und da ihm nichts
Unangenehmeres begegnen konnte, als wenn er irgend-
wie an die Nichtigkeit jenes wiſſenſchaftlichen Trei-
bens erinnert ward, ja da er, um nur kein Unrecht
einzugeſtehn, ſich auch wohl die Miene gab, als wür-
den ihm jene Forſchungen ſeiner Zeit noch die reich-
lichſten Zinſe abwerfen, ſo ſchonte das Weib dieſe
Schwachheit gerne und war heimlich zufrieden, wenn
ſie ihm eine neue falſche Idee vergeſſen machen konnte.
Uebrigens kannte man ihn als einen muntern, redſe-
ligen Geſellſchafter, als den beſten Gatten und Vater
ſeiner größtentheils ſchon wohlverſorgten Familie.

Nolten ſehnte ſich nach der harmloſen Gegen-
wart eines menſchlichen Weſens eben ſo ſehr, als er
ſich ungeſchickt fühlte, an irgend einer Geſellſchaft Theil

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[360/0046] Kopf geſezt, die heiligen Schriften alten und neuen Teſtaments im Urtexte zu leſen, wobei es hauptſäch- lich auf chiliaſtiſche Zwecke mochte abgeſehen ſeyn. Nach einem ſehr mühſamen und wenig geordneten Studium von mehreren Jahren ſah er ſich ungern überzeugt, daß Alles eitel Stückwerk bei ihm ſey und das ganze ſchöne Unternehmen auf Nichts hinauslaufe. Aus Verdruß über die verlorne Zeit warf er ſich in kecke ökonomiſche Spekulationen, dabei er denn zwar keinen Schaden, doch auch nicht ganz ſeine Rechnung fand. Seine Frau, eine kluge und ſtille Haushälterin, wußte ihn mit guter Art zu lenken und zu leiten, niemals rückte ſie ihm ſeinen Irrthum ausdrücklich vor, auch wenn ſie ihn denſelben fühlen ließ, und da ihm nichts Unangenehmeres begegnen konnte, als wenn er irgend- wie an die Nichtigkeit jenes wiſſenſchaftlichen Trei- bens erinnert ward, ja da er, um nur kein Unrecht einzugeſtehn, ſich auch wohl die Miene gab, als wür- den ihm jene Forſchungen ſeiner Zeit noch die reich- lichſten Zinſe abwerfen, ſo ſchonte das Weib dieſe Schwachheit gerne und war heimlich zufrieden, wenn ſie ihm eine neue falſche Idee vergeſſen machen konnte. Uebrigens kannte man ihn als einen muntern, redſe- ligen Geſellſchafter, als den beſten Gatten und Vater ſeiner größtentheils ſchon wohlverſorgten Familie. Nolten ſehnte ſich nach der harmloſen Gegen- wart eines menſchlichen Weſens eben ſo ſehr, als er ſich ungeſchickt fühlte, an irgend einer Geſellſchaft Theil

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/46>, abgerufen am 23.11.2024.