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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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Ohren lag. Mochte er sich Gewalt anthun so viel
und wie er wollte, die ärmliche Leier kehrte immer
wieder und schnurrte, vom Takte des Reitens unter-
stüzt, unbarmherzig in ihm fort. Weder im Zusam-
menhange zu denken, noch lebhaft zu empfinden war
ihm gegönnt; ein unerträglicher Zustand. "Um Got-
teswillen, was ist doch das?" rief er zähneknirschend,
indem er seinem Pferde die Sporen heftig in die Sei-
ten drückte, daß es schmerzhaft auffuhr und unauf-
haltsam dahinsprengte. "Bin ich's denn noch? kann
ich diesen Krampf nicht abschütteln, der mich so schnürt?
Und was ist's denn weiter? wie, darf diese Entdeckung
so ganz mich vernichten? was ist mir denn verloren,
seit ich das Alles weiß? genau besehen -- Nichts, ge-
wonnen -- Nichts -- ei ja doch, ein Mädchen, von
dem mir Jemand schreibt, sie sey ein wahres Gottes-
lamm, ein Sanspareil, ein Angelus!" Er lachte
herzlich über sich selbst, er jauchzte hell auf und lachte
über seine eignen Töne, die ganz ein andres Ich aus
ihm herauszustoßen schien.

Indem er noch so schwindelt und schwärmt, stellt
sich statt jener musikalischen Spuckerei eine andere
Sucht bei ihm ein, die wenigstens keine Plage war.
Seine aufgeregte Einbildungskraft führte ihm mit un-
begreiflicher Schnelligkeit eine ganze Schaar maleri-
scher Situationen zu, die er sich in fragmentarisch-
dramatischer Form, von dichterischen Worten lebhaft
begleitet, vorstellen und in großen Contouren hastig

Ohren lag. Mochte er ſich Gewalt anthun ſo viel
und wie er wollte, die ärmliche Leier kehrte immer
wieder und ſchnurrte, vom Takte des Reitens unter-
ſtüzt, unbarmherzig in ihm fort. Weder im Zuſam-
menhange zu denken, noch lebhaft zu empfinden war
ihm gegönnt; ein unerträglicher Zuſtand. „Um Got-
teswillen, was iſt doch das?“ rief er zähneknirſchend,
indem er ſeinem Pferde die Sporen heftig in die Sei-
ten drückte, daß es ſchmerzhaft auffuhr und unauf-
haltſam dahinſprengte. „Bin ich’s denn noch? kann
ich dieſen Krampf nicht abſchütteln, der mich ſo ſchnürt?
Und was iſt’s denn weiter? wie, darf dieſe Entdeckung
ſo ganz mich vernichten? was iſt mir denn verloren,
ſeit ich das Alles weiß? genau beſehen — Nichts, ge-
wonnen — Nichts — ei ja doch, ein Mädchen, von
dem mir Jemand ſchreibt, ſie ſey ein wahres Gottes-
lamm, ein Sanspareil, ein Angelus!“ Er lachte
herzlich über ſich ſelbſt, er jauchzte hell auf und lachte
über ſeine eignen Töne, die ganz ein andres Ich aus
ihm herauszuſtoßen ſchien.

Indem er noch ſo ſchwindelt und ſchwärmt, ſtellt
ſich ſtatt jener muſikaliſchen Spuckerei eine andere
Sucht bei ihm ein, die wenigſtens keine Plage war.
Seine aufgeregte Einbildungskraft führte ihm mit un-
begreiflicher Schnelligkeit eine ganze Schaar maleri-
ſcher Situationen zu, die er ſich in fragmentariſch-
dramatiſcher Form, von dichteriſchen Worten lebhaft
begleitet, vorſtellen und in großen Contouren haſtig

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[358/0044] Ohren lag. Mochte er ſich Gewalt anthun ſo viel und wie er wollte, die ärmliche Leier kehrte immer wieder und ſchnurrte, vom Takte des Reitens unter- ſtüzt, unbarmherzig in ihm fort. Weder im Zuſam- menhange zu denken, noch lebhaft zu empfinden war ihm gegönnt; ein unerträglicher Zuſtand. „Um Got- teswillen, was iſt doch das?“ rief er zähneknirſchend, indem er ſeinem Pferde die Sporen heftig in die Sei- ten drückte, daß es ſchmerzhaft auffuhr und unauf- haltſam dahinſprengte. „Bin ich’s denn noch? kann ich dieſen Krampf nicht abſchütteln, der mich ſo ſchnürt? Und was iſt’s denn weiter? wie, darf dieſe Entdeckung ſo ganz mich vernichten? was iſt mir denn verloren, ſeit ich das Alles weiß? genau beſehen — Nichts, ge- wonnen — Nichts — ei ja doch, ein Mädchen, von dem mir Jemand ſchreibt, ſie ſey ein wahres Gottes- lamm, ein Sanspareil, ein Angelus!“ Er lachte herzlich über ſich ſelbſt, er jauchzte hell auf und lachte über ſeine eignen Töne, die ganz ein andres Ich aus ihm herauszuſtoßen ſchien. Indem er noch ſo ſchwindelt und ſchwärmt, ſtellt ſich ſtatt jener muſikaliſchen Spuckerei eine andere Sucht bei ihm ein, die wenigſtens keine Plage war. Seine aufgeregte Einbildungskraft führte ihm mit un- begreiflicher Schnelligkeit eine ganze Schaar maleri- ſcher Situationen zu, die er ſich in fragmentariſch- dramatiſcher Form, von dichteriſchen Worten lebhaft begleitet, vorſtellen und in großen Contouren haſtig

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/44>, abgerufen am 21.11.2024.