sche ging, ohne seinen Herrn verstanden zu haben. Nach einer halben Stunde, während welcher Nol- ten, weder die übrigen Papiere anzusehen, noch sich einigermaßen zu beruhigen vermocht hatte, wieder- holte der Diener seine Anfrage. Rasch nahm der Maler Hut und Gerte, steckte die nöthigsten Papiere zu sich und entkam wie betrunken der Stadt. Wir wenden uns auf kurze Zeit von ihm und seinem trau- rigen Zustande weg und sehen inzwischen nach jenem wichtigen Schreiben.
Larkens an Nolten.
"Indem Du diese Zeilen liesest, ist der, der sie ge- schrieben, schon viele Meilen weit von Dir entfernt, und wenn er Dir denn die Absicht gesteht, daß er sich fortgestohlen, um so bald nicht wieder zu kehren, daß er seinen bisherigen Verhältnissen auf immer, und auch Dir, dem einzigen Freunde, vielleicht auf Jahre sich entziehen will, so soll folgendes Wenige diesen Schritt, so gut es kann, rechtfertigen.
Gewiß klingt es Dir selber bald nicht mehr wie ein hohles und frevelhaft übertriebenes Wort, was Du wohl sonst manchmal von mir hast hören müssen: mein Leben hat ausgespielt, ich habe angefangen, mich selber zu überleben. Das ist mir so klar geworden in der lezten Zeit, wo ja unser einer wahrhaftig schöne Gelegenheit hatte, die Resultate von dreißig Jahren wie Fäden mit den Fingern auszuziehn. Ich
ſche ging, ohne ſeinen Herrn verſtanden zu haben. Nach einer halben Stunde, während welcher Nol- ten, weder die übrigen Papiere anzuſehen, noch ſich einigermaßen zu beruhigen vermocht hatte, wieder- holte der Diener ſeine Anfrage. Raſch nahm der Maler Hut und Gerte, ſteckte die nöthigſten Papiere zu ſich und entkam wie betrunken der Stadt. Wir wenden uns auf kurze Zeit von ihm und ſeinem trau- rigen Zuſtande weg und ſehen inzwiſchen nach jenem wichtigen Schreiben.
Larkens an Nolten.
„Indem Du dieſe Zeilen lieſeſt, iſt der, der ſie ge- ſchrieben, ſchon viele Meilen weit von Dir entfernt, und wenn er Dir denn die Abſicht geſteht, daß er ſich fortgeſtohlen, um ſo bald nicht wieder zu kehren, daß er ſeinen bisherigen Verhältniſſen auf immer, und auch Dir, dem einzigen Freunde, vielleicht auf Jahre ſich entziehen will, ſo ſoll folgendes Wenige dieſen Schritt, ſo gut es kann, rechtfertigen.
Gewiß klingt es Dir ſelber bald nicht mehr wie ein hohles und frevelhaft übertriebenes Wort, was Du wohl ſonſt manchmal von mir haſt hören müſſen: mein Leben hat ausgeſpielt, ich habe angefangen, mich ſelber zu überleben. Das iſt mir ſo klar geworden in der lezten Zeit, wo ja unſer einer wahrhaftig ſchöne Gelegenheit hatte, die Reſultate von dreißig Jahren wie Fäden mit den Fingern auszuziehn. Ich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0037"n="351"/>ſche ging, ohne ſeinen Herrn verſtanden zu haben.<lb/>
Nach einer halben Stunde, während welcher <hirendition="#g">Nol-<lb/>
ten</hi>, weder die übrigen Papiere anzuſehen, noch ſich<lb/>
einigermaßen zu beruhigen vermocht hatte, wieder-<lb/>
holte der Diener ſeine Anfrage. Raſch nahm der<lb/>
Maler Hut und Gerte, ſteckte die nöthigſten Papiere<lb/>
zu ſich und entkam wie betrunken der Stadt. Wir<lb/>
wenden uns auf kurze Zeit von ihm und ſeinem trau-<lb/>
rigen Zuſtande weg und ſehen inzwiſchen nach jenem<lb/>
wichtigen Schreiben.</p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#g">Larkens</hi> an <hirendition="#g">Nolten</hi>.</head><lb/><p>„Indem Du dieſe Zeilen lieſeſt, iſt der, der ſie ge-<lb/>ſchrieben, ſchon viele Meilen weit von Dir entfernt,<lb/>
und wenn er Dir denn die Abſicht geſteht, daß er<lb/>ſich fortgeſtohlen, um ſo bald nicht wieder zu kehren,<lb/>
daß er ſeinen bisherigen Verhältniſſen <hirendition="#g">auf immer</hi>,<lb/>
und auch Dir, dem einzigen Freunde, vielleicht auf<lb/>
Jahre ſich entziehen will, ſo ſoll folgendes Wenige<lb/>
dieſen Schritt, ſo gut es kann, rechtfertigen.</p><lb/><p>Gewiß klingt es Dir ſelber bald nicht mehr wie<lb/>
ein hohles und frevelhaft übertriebenes Wort, was<lb/>
Du wohl ſonſt manchmal von mir haſt hören müſſen:<lb/>
mein Leben hat ausgeſpielt, ich habe angefangen, mich<lb/>ſelber zu überleben. Das iſt mir ſo klar geworden<lb/>
in der lezten Zeit, wo ja unſer einer wahrhaftig<lb/>ſchöne Gelegenheit hatte, die Reſultate von dreißig<lb/>
Jahren wie Fäden mit den Fingern auszuziehn. Ich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[351/0037]
ſche ging, ohne ſeinen Herrn verſtanden zu haben.
Nach einer halben Stunde, während welcher Nol-
ten, weder die übrigen Papiere anzuſehen, noch ſich
einigermaßen zu beruhigen vermocht hatte, wieder-
holte der Diener ſeine Anfrage. Raſch nahm der
Maler Hut und Gerte, ſteckte die nöthigſten Papiere
zu ſich und entkam wie betrunken der Stadt. Wir
wenden uns auf kurze Zeit von ihm und ſeinem trau-
rigen Zuſtande weg und ſehen inzwiſchen nach jenem
wichtigen Schreiben.
Larkens an Nolten.
„Indem Du dieſe Zeilen lieſeſt, iſt der, der ſie ge-
ſchrieben, ſchon viele Meilen weit von Dir entfernt,
und wenn er Dir denn die Abſicht geſteht, daß er
ſich fortgeſtohlen, um ſo bald nicht wieder zu kehren,
daß er ſeinen bisherigen Verhältniſſen auf immer,
und auch Dir, dem einzigen Freunde, vielleicht auf
Jahre ſich entziehen will, ſo ſoll folgendes Wenige
dieſen Schritt, ſo gut es kann, rechtfertigen.
Gewiß klingt es Dir ſelber bald nicht mehr wie
ein hohles und frevelhaft übertriebenes Wort, was
Du wohl ſonſt manchmal von mir haſt hören müſſen:
mein Leben hat ausgeſpielt, ich habe angefangen, mich
ſelber zu überleben. Das iſt mir ſo klar geworden
in der lezten Zeit, wo ja unſer einer wahrhaftig
ſchöne Gelegenheit hatte, die Reſultate von dreißig
Jahren wie Fäden mit den Fingern auszuziehn. Ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/37>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.