Veränderung entbehre. Die beiden Freunde Leopold und Ferdinand reis'ten indessen auch ab, und doppelt und dreifach ward jezt des Malers Verlangen geschärft, das Gleichgewicht seines Wesen vollkommen herzustellen. Der Entwurf eines neuen Werkes, wozu die erste Idee während der Gefangenschaft bei ihm entstanden war, lag auf dem Papier, und nun ging es an die Ausfüh- rung mit einer Lust, mit einem Selbstvertrauen, der- gleichen er nur in den glücklichsten Jahren seines ersten Strebens gehabt zu haben sich erinnerte. Dennoch mußte er nach und nach bemerken, daß ihm zu einer völligen Freiheit der Seele noch Vieles fehlte; er ward verdrießlich, er stellte die Arbeit unwillig zurück, er wußte nicht, was ihn hindere.
Eines Morgens bringt man ihm die Schlüssel zu den Zimmern des Schauspielers. Dieser hatte sie bei seiner Abreise einem dritten Freunde mit dem ausdrück- lichen Wunsche hinterlassen, daß er sie erst nach Verfluß einiger Tage an den Maler ausliefere, welcher dann nicht säumen möge, die Zimmer aufzuschließen und was darin sich vorfinde, theils in Empfang zu nehmen, theils zu besorgen. Zugleich erhielt Nolten ein Verzeichniß der sämmtlichen Effekten, nebst Angabe ihrer Bestim- mung. Er stuzte nicht wenig über diese sonderbare Kommission und befragte jene Mittelsperson mit eini- ger Aengstlichkeit: Was denn das Alles zu bedeuten hätte? Der junge Mensch aber wußte nicht viel weiter Bescheid zu geben und entfernte sich bald. Sogleich
Veränderung entbehre. Die beiden Freunde Leopold und Ferdinand reiſ’ten indeſſen auch ab, und doppelt und dreifach ward jezt des Malers Verlangen geſchärft, das Gleichgewicht ſeines Weſen vollkommen herzuſtellen. Der Entwurf eines neuen Werkes, wozu die erſte Idee während der Gefangenſchaft bei ihm entſtanden war, lag auf dem Papier, und nun ging es an die Ausfüh- rung mit einer Luſt, mit einem Selbſtvertrauen, der- gleichen er nur in den glücklichſten Jahren ſeines erſten Strebens gehabt zu haben ſich erinnerte. Dennoch mußte er nach und nach bemerken, daß ihm zu einer völligen Freiheit der Seele noch Vieles fehlte; er ward verdrießlich, er ſtellte die Arbeit unwillig zurück, er wußte nicht, was ihn hindere.
Eines Morgens bringt man ihm die Schlüſſel zu den Zimmern des Schauſpielers. Dieſer hatte ſie bei ſeiner Abreiſe einem dritten Freunde mit dem ausdrück- lichen Wunſche hinterlaſſen, daß er ſie erſt nach Verfluß einiger Tage an den Maler ausliefere, welcher dann nicht ſäumen möge, die Zimmer aufzuſchließen und was darin ſich vorfinde, theils in Empfang zu nehmen, theils zu beſorgen. Zugleich erhielt Nolten ein Verzeichniß der ſämmtlichen Effekten, nebſt Angabe ihrer Beſtim- mung. Er ſtuzte nicht wenig über dieſe ſonderbare Kommiſſion und befragte jene Mittelsperſon mit eini- ger Aengſtlichkeit: Was denn das Alles zu bedeuten hätte? Der junge Menſch aber wußte nicht viel weiter Beſcheid zu geben und entfernte ſich bald. Sogleich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0035"n="349"/>
Veränderung entbehre. Die beiden Freunde <hirendition="#g">Leopold</hi><lb/>
und <hirendition="#g">Ferdinand</hi> reiſ’ten indeſſen auch ab, und doppelt<lb/>
und dreifach ward jezt des Malers Verlangen geſchärft,<lb/>
das Gleichgewicht ſeines Weſen vollkommen herzuſtellen.<lb/>
Der Entwurf eines neuen Werkes, wozu die erſte Idee<lb/>
während der Gefangenſchaft bei ihm entſtanden war,<lb/>
lag auf dem Papier, und nun ging es an die Ausfüh-<lb/>
rung mit einer Luſt, mit einem Selbſtvertrauen, der-<lb/>
gleichen er nur in den glücklichſten Jahren ſeines erſten<lb/>
Strebens gehabt zu haben ſich erinnerte. Dennoch<lb/>
mußte er nach und nach bemerken, daß ihm zu einer<lb/>
völligen Freiheit der Seele noch Vieles fehlte; er ward<lb/>
verdrießlich, er ſtellte die Arbeit unwillig zurück, er<lb/>
wußte nicht, was ihn hindere.</p><lb/><p>Eines Morgens bringt man ihm die Schlüſſel zu<lb/>
den Zimmern des Schauſpielers. Dieſer hatte ſie bei<lb/>ſeiner Abreiſe einem dritten Freunde mit dem ausdrück-<lb/>
lichen Wunſche hinterlaſſen, daß er ſie erſt nach Verfluß<lb/>
einiger Tage an den Maler ausliefere, welcher dann<lb/>
nicht ſäumen möge, die Zimmer aufzuſchließen und was<lb/>
darin ſich vorfinde, theils in Empfang zu nehmen, theils<lb/>
zu beſorgen. Zugleich erhielt <hirendition="#g">Nolten</hi> ein Verzeichniß<lb/>
der ſämmtlichen Effekten, nebſt Angabe ihrer Beſtim-<lb/>
mung. Er ſtuzte nicht wenig über dieſe ſonderbare<lb/>
Kommiſſion und befragte jene Mittelsperſon mit eini-<lb/>
ger Aengſtlichkeit: Was denn das Alles zu bedeuten<lb/>
hätte? Der junge Menſch aber wußte nicht viel weiter<lb/>
Beſcheid zu geben und entfernte ſich bald. Sogleich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[349/0035]
Veränderung entbehre. Die beiden Freunde Leopold
und Ferdinand reiſ’ten indeſſen auch ab, und doppelt
und dreifach ward jezt des Malers Verlangen geſchärft,
das Gleichgewicht ſeines Weſen vollkommen herzuſtellen.
Der Entwurf eines neuen Werkes, wozu die erſte Idee
während der Gefangenſchaft bei ihm entſtanden war,
lag auf dem Papier, und nun ging es an die Ausfüh-
rung mit einer Luſt, mit einem Selbſtvertrauen, der-
gleichen er nur in den glücklichſten Jahren ſeines erſten
Strebens gehabt zu haben ſich erinnerte. Dennoch
mußte er nach und nach bemerken, daß ihm zu einer
völligen Freiheit der Seele noch Vieles fehlte; er ward
verdrießlich, er ſtellte die Arbeit unwillig zurück, er
wußte nicht, was ihn hindere.
Eines Morgens bringt man ihm die Schlüſſel zu
den Zimmern des Schauſpielers. Dieſer hatte ſie bei
ſeiner Abreiſe einem dritten Freunde mit dem ausdrück-
lichen Wunſche hinterlaſſen, daß er ſie erſt nach Verfluß
einiger Tage an den Maler ausliefere, welcher dann
nicht ſäumen möge, die Zimmer aufzuſchließen und was
darin ſich vorfinde, theils in Empfang zu nehmen, theils
zu beſorgen. Zugleich erhielt Nolten ein Verzeichniß
der ſämmtlichen Effekten, nebſt Angabe ihrer Beſtim-
mung. Er ſtuzte nicht wenig über dieſe ſonderbare
Kommiſſion und befragte jene Mittelsperſon mit eini-
ger Aengſtlichkeit: Was denn das Alles zu bedeuten
hätte? Der junge Menſch aber wußte nicht viel weiter
Beſcheid zu geben und entfernte ſich bald. Sogleich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/35>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.