wisse Umstände einen ängstlichern Werth legen wollte, auch nicht an andern Vermuthungen, die, anfänglich nur leise angedeutet, von den Vernünftigen belächelt oder streng verwiesen, in Kurzem gleichwohl mehr Beachtung und endlich stillschweigenden Glauben fanden.
Der Schwester ließ sich das Unglück nicht lange verbergen; es warf sie nieder als wär' es ihr eigener Tod. Margot hielt treulich bei ihr aus, doch frei- lich blieb hier wenig oder nichts zu trösten.
Henni befindet sich, zum wenigsten äußerlich, wieder wohl. Er scheint über einem ungeheuern Ein- druck zu brüten, dessen er nicht Herr werden kann. Ein regungsloses Vor-sich-Hinstaunen verschlingt den eigentlichen Schmerz bei ihm. Er weiß sich nicht zu helfen vor Ungeduld, sobald man ihn über sein ge- striges Benehmen befragt; er flieht die Gesellschaft, aber sogleich scheucht ihn eine Angst in die Nähe der Seinen zurück.
Der Präsident, in Hoffnung irgend eines neuen Aufschlusses über die traurige Begebenheit, befiehlt dem Knaben in Beiseyn des Gärtners, zu reden. Auch dann noch immer zaudernd und mit einer Art von trotzigem Unwillen, der an dem sanften Menschen auf- fiel, gab Henni, erst mit dürren Worten, dann aber in immer steigender Bewegung, ein seltsames Bekennt- niß, das den Präsidenten in sichtbare Verlegenheit sezte, wie er es aufzunehmen habe.
"Als ich," sprach nämlich der Befragte, "gestern
wiſſe Umſtände einen ängſtlichern Werth legen wollte, auch nicht an andern Vermuthungen, die, anfänglich nur leiſe angedeutet, von den Vernünftigen belächelt oder ſtreng verwieſen, in Kurzem gleichwohl mehr Beachtung und endlich ſtillſchweigenden Glauben fanden.
Der Schweſter ließ ſich das Unglück nicht lange verbergen; es warf ſie nieder als wär’ es ihr eigener Tod. Margot hielt treulich bei ihr aus, doch frei- lich blieb hier wenig oder nichts zu tröſten.
Henni befindet ſich, zum wenigſten äußerlich, wieder wohl. Er ſcheint über einem ungeheuern Ein- druck zu brüten, deſſen er nicht Herr werden kann. Ein regungsloſes Vor-ſich-Hinſtaunen verſchlingt den eigentlichen Schmerz bei ihm. Er weiß ſich nicht zu helfen vor Ungeduld, ſobald man ihn über ſein ge- ſtriges Benehmen befragt; er flieht die Geſellſchaft, aber ſogleich ſcheucht ihn eine Angſt in die Nähe der Seinen zurück.
Der Präſident, in Hoffnung irgend eines neuen Aufſchluſſes über die traurige Begebenheit, befiehlt dem Knaben in Beiſeyn des Gärtners, zu reden. Auch dann noch immer zaudernd und mit einer Art von trotzigem Unwillen, der an dem ſanften Menſchen auf- fiel, gab Henni, erſt mit dürren Worten, dann aber in immer ſteigender Bewegung, ein ſeltſames Bekennt- niß, das den Präſidenten in ſichtbare Verlegenheit ſezte, wie er es aufzunehmen habe.
„Als ich,“ ſprach nämlich der Befragte, „geſtern
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wiſſe Umſtände einen ängſtlichern Werth legen wollte,
auch nicht an andern Vermuthungen, die, anfänglich
nur leiſe angedeutet, von den Vernünftigen belächelt
oder ſtreng verwieſen, in Kurzem gleichwohl mehr
Beachtung und endlich ſtillſchweigenden Glauben fanden.
Der Schweſter ließ ſich das Unglück nicht lange
verbergen; es warf ſie nieder als wär’ es ihr eigener
Tod. Margot hielt treulich bei ihr aus, doch frei-
lich blieb hier wenig oder nichts zu tröſten.
Henni befindet ſich, zum wenigſten äußerlich,
wieder wohl. Er ſcheint über einem ungeheuern Ein-
druck zu brüten, deſſen er nicht Herr werden kann.
Ein regungsloſes Vor-ſich-Hinſtaunen verſchlingt den
eigentlichen Schmerz bei ihm. Er weiß ſich nicht zu
helfen vor Ungeduld, ſobald man ihn über ſein ge-
ſtriges Benehmen befragt; er flieht die Geſellſchaft,
aber ſogleich ſcheucht ihn eine Angſt in die Nähe der
Seinen zurück.
Der Präſident, in Hoffnung irgend eines neuen
Aufſchluſſes über die traurige Begebenheit, befiehlt
dem Knaben in Beiſeyn des Gärtners, zu reden. Auch
dann noch immer zaudernd und mit einer Art von
trotzigem Unwillen, der an dem ſanften Menſchen auf-
fiel, gab Henni, erſt mit dürren Worten, dann aber
in immer ſteigender Bewegung, ein ſeltſames Bekennt-
niß, das den Präſidenten in ſichtbare Verlegenheit ſezte,
wie er es aufzunehmen habe.
„Als ich,“ ſprach nämlich der Befragte, „geſtern
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 633. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/319>, abgerufen am 23.07.2024.
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