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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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streckt sie den rechten Arm entschlossen gegen ihn, faßt
leidenschaftlich seine Hand und drückt sie fest an ihren
Busen; der Maler liegt, eh' er sich's selbst versieht,
an ihrem Halse und saugt von ihren Lippen eine
Gluth, die von der Angst des Moments eine schau-
dernde Würze erhält; der Wahnsinn funkelt frohlockend
aus ihren Augen, Verzweiflung preßt dem Freunde
das himmlische Gut, eh' sich's ihm ganz entfremde,
noch Einmal -- ja er fühlt's, zum lezten Mal, in
die zitternden Arme.

Aber Agnes fängt schon an unruhig zu werden,
sich seinen Küssen leise zu entziehen, sie hebt ängstlich
den Kopf in die Höhe: "Was flüstert denn bei dir?
was spricht aus dir? ich höre zweierlei Stimmen --
Hülfe! zu Hülfe! du tückischer Satan, hinweg --!
Wie bin ich, wie bin ich betrogen! -- O nun ist
Alles, Alles mit mir aus. -- Der Lügner wird hin-
gehn, mich zu beschimpfen bei meinem Geliebten, als
wär' ich kein ehrliches Mädchen, als hätt' ich mit Wissen
und Willen dieß Scheusal geküßt -- O Theobald!
wärest du hier, daß ich dir Alles sagte! Du weiß't
nicht, wie's die Schlangen machten! und daß man mir
den Kopf verrückte, mir, deinem unerfahrnen, armen,
verlassenen Kind!" Sie kniete aufrecht im Bette,
weinte bitterlich und ihre losgegangenen Haare be-
deckten ihr die glühende Wange. Nolten ertrug
den Anblick nicht, er eilte weinend hinaus: "Ja lache
nur in deine Faust und geh' und mach' dich lustig mit

ſtreckt ſie den rechten Arm entſchloſſen gegen ihn, faßt
leidenſchaftlich ſeine Hand und drückt ſie feſt an ihren
Buſen; der Maler liegt, eh’ er ſich’s ſelbſt verſieht,
an ihrem Halſe und ſaugt von ihren Lippen eine
Gluth, die von der Angſt des Moments eine ſchau-
dernde Würze erhält; der Wahnſinn funkelt frohlockend
aus ihren Augen, Verzweiflung preßt dem Freunde
das himmliſche Gut, eh’ ſich’s ihm ganz entfremde,
noch Einmal — ja er fühlt’s, zum lezten Mal, in
die zitternden Arme.

Aber Agnes fängt ſchon an unruhig zu werden,
ſich ſeinen Küſſen leiſe zu entziehen, ſie hebt ängſtlich
den Kopf in die Höhe: „Was flüſtert denn bei dir?
was ſpricht aus dir? ich höre zweierlei Stimmen —
Hülfe! zu Hülfe! du tückiſcher Satan, hinweg —!
Wie bin ich, wie bin ich betrogen! — O nun iſt
Alles, Alles mit mir aus. — Der Lügner wird hin-
gehn, mich zu beſchimpfen bei meinem Geliebten, als
wär’ ich kein ehrliches Mädchen, als hätt’ ich mit Wiſſen
und Willen dieß Scheuſal geküßt — O Theobald!
wäreſt du hier, daß ich dir Alles ſagte! Du weiß’t
nicht, wie’s die Schlangen machten! und daß man mir
den Kopf verrückte, mir, deinem unerfahrnen, armen,
verlaſſenen Kind!“ Sie kniete aufrecht im Bette,
weinte bitterlich und ihre losgegangenen Haare be-
deckten ihr die glühende Wange. Nolten ertrug
den Anblick nicht, er eilte weinend hinaus: „Ja lache
nur in deine Fauſt und geh’ und mach’ dich luſtig mit

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[614/0300] ſtreckt ſie den rechten Arm entſchloſſen gegen ihn, faßt leidenſchaftlich ſeine Hand und drückt ſie feſt an ihren Buſen; der Maler liegt, eh’ er ſich’s ſelbſt verſieht, an ihrem Halſe und ſaugt von ihren Lippen eine Gluth, die von der Angſt des Moments eine ſchau- dernde Würze erhält; der Wahnſinn funkelt frohlockend aus ihren Augen, Verzweiflung preßt dem Freunde das himmliſche Gut, eh’ ſich’s ihm ganz entfremde, noch Einmal — ja er fühlt’s, zum lezten Mal, in die zitternden Arme. Aber Agnes fängt ſchon an unruhig zu werden, ſich ſeinen Küſſen leiſe zu entziehen, ſie hebt ängſtlich den Kopf in die Höhe: „Was flüſtert denn bei dir? was ſpricht aus dir? ich höre zweierlei Stimmen — Hülfe! zu Hülfe! du tückiſcher Satan, hinweg —! Wie bin ich, wie bin ich betrogen! — O nun iſt Alles, Alles mit mir aus. — Der Lügner wird hin- gehn, mich zu beſchimpfen bei meinem Geliebten, als wär’ ich kein ehrliches Mädchen, als hätt’ ich mit Wiſſen und Willen dieß Scheuſal geküßt — O Theobald! wäreſt du hier, daß ich dir Alles ſagte! Du weiß’t nicht, wie’s die Schlangen machten! und daß man mir den Kopf verrückte, mir, deinem unerfahrnen, armen, verlaſſenen Kind!“ Sie kniete aufrecht im Bette, weinte bitterlich und ihre losgegangenen Haare be- deckten ihr die glühende Wange. Nolten ertrug den Anblick nicht, er eilte weinend hinaus: „Ja lache nur in deine Fauſt und geh’ und mach’ dich luſtig mit

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/300>, abgerufen am 22.11.2024.