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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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einandergehenden Zimmer herbei. Er staunt -- Ag-
ues
ist's, die sich nähert. Sie geht baarfuß; sonst
aber nicht nachlässig angethan; nur Eine Flechte ihres
Haars hängt vorn herab, davon sie das äußerste Ende
gedankenvoll lauschend an's Kinn hält. Ein ganzer
Himmel voll Erbarmung scheint mit stummer Klagge-
bärde ihren schleichenden Gang zu begleiten, die Fal-
ten selber ihres Kleids mitleidend die liebe Gestalt zu
umfließen.

Nolten ist aufgestanden; doch ihr entgegenzu-
gehen darf er nicht wagen; all' seine Seele hält den
Athem an. Das Mädchen ist bis unter die Thüre
des Saals vorgeschritten, hier bleibt sie stehen und
lehnt sich in bequem-gefälliger Stellung mit dem Kopf
an die Pfoste. So schaut sie aufmerksam zu ihm hin-
über. Der rührende Umriß ihrer Figur, so wie die
Blässe des Gesichts wird noch reizender, süßer durch
die Dämmerung des grünen Zimmers bei den gegen
die schwüle Morgensonne verschlossenen Fensterladen.
So ihn betrachtend, spricht sie erst für sich: "Er gleicht
ihm sehr, er hat ihn gut gefaßt, ein Ei gleicht dem
andern nicht so, aber Eines von beiden ist hohl."
Dann sagte sie laut und höhnisch: "Guten Morgen,
Heideläufer! Guten Morgen Höllenbrand! Nun, stell'
Er sich nicht so einfältig! Schon gut, schon gut! ich
bin unbeschreiblich gerührt. Er bekommt ein Trink-
geld für's Hokuspokus. -- Bleib er nur -- bitte ge-
horsamst, ich seh's recht gut, nur immer zwölf Schritt

einandergehenden Zimmer herbei. Er ſtaunt — Ag-
ues
iſt’s, die ſich nähert. Sie geht baarfuß; ſonſt
aber nicht nachläſſig angethan; nur Eine Flechte ihres
Haars hängt vorn herab, davon ſie das äußerſte Ende
gedankenvoll lauſchend an’s Kinn hält. Ein ganzer
Himmel voll Erbarmung ſcheint mit ſtummer Klagge-
bärde ihren ſchleichenden Gang zu begleiten, die Fal-
ten ſelber ihres Kleids mitleidend die liebe Geſtalt zu
umfließen.

Nolten iſt aufgeſtanden; doch ihr entgegenzu-
gehen darf er nicht wagen; all’ ſeine Seele hält den
Athem an. Das Mädchen iſt bis unter die Thüre
des Saals vorgeſchritten, hier bleibt ſie ſtehen und
lehnt ſich in bequem-gefälliger Stellung mit dem Kopf
an die Pfoſte. So ſchaut ſie aufmerkſam zu ihm hin-
über. Der rührende Umriß ihrer Figur, ſo wie die
Bläſſe des Geſichts wird noch reizender, ſüßer durch
die Dämmerung des grünen Zimmers bei den gegen
die ſchwüle Morgenſonne verſchloſſenen Fenſterladen.
So ihn betrachtend, ſpricht ſie erſt für ſich: „Er gleicht
ihm ſehr, er hat ihn gut gefaßt, ein Ei gleicht dem
andern nicht ſo, aber Eines von beiden iſt hohl.“
Dann ſagte ſie laut und höhniſch: „Guten Morgen,
Heideläufer! Guten Morgen Höllenbrand! Nun, ſtell’
Er ſich nicht ſo einfältig! Schon gut, ſchon gut! ich
bin unbeſchreiblich gerührt. Er bekommt ein Trink-
geld für’s Hokuspokus. — Bleib er nur — bitte ge-
horſamſt, ich ſeh’s recht gut, nur immer zwölf Schritt

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[590/0276] einandergehenden Zimmer herbei. Er ſtaunt — Ag- ues iſt’s, die ſich nähert. Sie geht baarfuß; ſonſt aber nicht nachläſſig angethan; nur Eine Flechte ihres Haars hängt vorn herab, davon ſie das äußerſte Ende gedankenvoll lauſchend an’s Kinn hält. Ein ganzer Himmel voll Erbarmung ſcheint mit ſtummer Klagge- bärde ihren ſchleichenden Gang zu begleiten, die Fal- ten ſelber ihres Kleids mitleidend die liebe Geſtalt zu umfließen. Nolten iſt aufgeſtanden; doch ihr entgegenzu- gehen darf er nicht wagen; all’ ſeine Seele hält den Athem an. Das Mädchen iſt bis unter die Thüre des Saals vorgeſchritten, hier bleibt ſie ſtehen und lehnt ſich in bequem-gefälliger Stellung mit dem Kopf an die Pfoſte. So ſchaut ſie aufmerkſam zu ihm hin- über. Der rührende Umriß ihrer Figur, ſo wie die Bläſſe des Geſichts wird noch reizender, ſüßer durch die Dämmerung des grünen Zimmers bei den gegen die ſchwüle Morgenſonne verſchloſſenen Fenſterladen. So ihn betrachtend, ſpricht ſie erſt für ſich: „Er gleicht ihm ſehr, er hat ihn gut gefaßt, ein Ei gleicht dem andern nicht ſo, aber Eines von beiden iſt hohl.“ Dann ſagte ſie laut und höhniſch: „Guten Morgen, Heideläufer! Guten Morgen Höllenbrand! Nun, ſtell’ Er ſich nicht ſo einfältig! Schon gut, ſchon gut! ich bin unbeſchreiblich gerührt. Er bekommt ein Trink- geld für’s Hokuspokus. — Bleib er nur — bitte ge- horſamſt, ich ſeh’s recht gut, nur immer zwölf Schritt

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 590. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/276>, abgerufen am 25.11.2024.