Aber fassen Sie sich, o seyn Sie ein Mann! Wie es damals vorüber gegangen, so wird es auch dieß- mal." "Nein, nimmer, nimmermehr! Sie ist das Opfer meiner Tollheit! -- Also das noch! Zu schrecklich! zu gräßlich! -- Was? und das soll ich mit ansehn? mit diesen Augen das sehn und soll leben? -- Nun, sey's! Sey's drum; es geht mit uns Beiden zur Neige. Ich bin es gewärtig, bin's völlig zufrieden, daß morgen Jemand kommt und mir sagt: Deine Braut hat Ruhe, Agnes ist gestorben." Er schwieg eine Weile, fuhr auf und riß im unbändigsten Aus- bruch von Zorn und von Thränen, nicht wissend, was er wollte oder that, die Schwester wild an sich her -- "Wie stehst du da? was gaffst du da?" "Herr, nicht so! das ist grausam," ruft Margot entrüstet und nimmt die Zitternde in Schutz, die er wie rasend von sich weggeschleudert hat. "O," ruft er, die Faust vor die Stirne geschlagen, "warum wüthet Niemand gegen mich? warum steh' ich so ruhig, so matt und erbärmlich in kalter Vernichtung? Ha, würfe mir irgend ein grimmiger Feind meinen Schmerz in's Gesicht, vor die Füße! und schölte mich den gottver- lass'nen Thoren, der ich bin, den dummen Mörder, der ich bin! streute mir Salz und Glut in die Wunde -- das sollte mir wohl thun, das sollte mich stärken" --
"Wir überlassen Sie sich selbst, mein Freund," versezte ganz ruhig der Präsident, "und wollen Ihnen
Aber faſſen Sie ſich, o ſeyn Sie ein Mann! Wie es damals vorüber gegangen, ſo wird es auch dieß- mal.“ „Nein, nimmer, nimmermehr! Sie iſt das Opfer meiner Tollheit! — Alſo das noch! Zu ſchrecklich! zu gräßlich! — Was? und das ſoll ich mit anſehn? mit dieſen Augen das ſehn und ſoll leben? — Nun, ſey’s! Sey’s drum; es geht mit uns Beiden zur Neige. Ich bin es gewärtig, bin’s völlig zufrieden, daß morgen Jemand kommt und mir ſagt: Deine Braut hat Ruhe, Agnes iſt geſtorben.“ Er ſchwieg eine Weile, fuhr auf und riß im unbändigſten Aus- bruch von Zorn und von Thränen, nicht wiſſend, was er wollte oder that, die Schweſter wild an ſich her — „Wie ſtehſt du da? was gaffſt du da?“ „Herr, nicht ſo! das iſt grauſam,“ ruft Margot entrüſtet und nimmt die Zitternde in Schutz, die er wie raſend von ſich weggeſchleudert hat. „O,“ ruft er, die Fauſt vor die Stirne geſchlagen, „warum wüthet Niemand gegen mich? warum ſteh’ ich ſo ruhig, ſo matt und erbärmlich in kalter Vernichtung? Ha, würfe mir irgend ein grimmiger Feind meinen Schmerz in’s Geſicht, vor die Füße! und ſchölte mich den gottver- laſſ’nen Thoren, der ich bin, den dummen Mörder, der ich bin! ſtreute mir Salz und Glut in die Wunde — das ſollte mir wohl thun, das ſollte mich ſtärken“ —
„Wir überlaſſen Sie ſich ſelbſt, mein Freund,“ verſezte ganz ruhig der Präſident, „und wollen Ihnen
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Aber faſſen Sie ſich, o ſeyn Sie ein Mann! Wie
es damals vorüber gegangen, ſo wird es auch dieß-
mal.“ „Nein, nimmer, nimmermehr! Sie iſt das Opfer
meiner Tollheit! — Alſo das noch! Zu ſchrecklich!
zu gräßlich! — Was? und das ſoll ich mit anſehn?
mit dieſen Augen das ſehn und ſoll leben? — Nun,
ſey’s! Sey’s drum; es geht mit uns Beiden zur
Neige. Ich bin es gewärtig, bin’s völlig zufrieden,
daß morgen Jemand kommt und mir ſagt: Deine
Braut hat Ruhe, Agnes iſt geſtorben.“ Er ſchwieg
eine Weile, fuhr auf und riß im unbändigſten Aus-
bruch von Zorn und von Thränen, nicht wiſſend, was
er wollte oder that, die Schweſter wild an ſich her
— „Wie ſtehſt du da? was gaffſt du da?“ „Herr,
nicht ſo! das iſt grauſam,“ ruft Margot entrüſtet
und nimmt die Zitternde in Schutz, die er wie raſend
von ſich weggeſchleudert hat. „O,“ ruft er, die Fauſt
vor die Stirne geſchlagen, „warum wüthet Niemand
gegen mich? warum ſteh’ ich ſo ruhig, ſo matt und
erbärmlich in kalter Vernichtung? Ha, würfe mir
irgend ein grimmiger Feind meinen Schmerz in’s
Geſicht, vor die Füße! und ſchölte mich den gottver-
laſſ’nen Thoren, der ich bin, den dummen Mörder,
der ich bin! ſtreute mir Salz und Glut in die
Wunde — das ſollte mir wohl thun, das ſollte mich
ſtärken“ —
„Wir überlaſſen Sie ſich ſelbſt, mein Freund,“
verſezte ganz ruhig der Präſident, „und wollen Ihnen
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/274>, abgerufen am 25.11.2024.
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