behauptete er, sey auf die Kranke vom übelsten Ein- fluß, indem sie sich dadurch in ihrem eingebilde- ten Elend, in ihrer Mitleidswürdigkeit nur immer mehr müsse bestärkt fühlen.
Inzwischen erreichte man doch mehrere Vortheile über sie. Die Mädchen durften ungehindert bei ihr aus- und eingehn; nur gegen das Fräulein, trotz der schwesterlichsten Liebe, womit diese ihr stets nahe zu seyn wünschte, verrieth sie ein deutliches Mißtrauen. Sie verließ ihr Zimmer manchmal und ging an die fri- sche Luft, wenn sie versichert seyn konnte, Theobalden nicht zu begegnen. Ihn aber hie und da von der Ferne zu beobachten, war ihr offenbar nicht zuwider, ja man wollte bemerken, daß sie sich die Gelegenheit hiezu geflissentlich ersehe. Stundenlang las der Prä- sident ihr vor; sie bezeugte sich immer sehr ernst, doch gefällig und dankbar. Ein Hinterhalt in ihren Ge- danken, ein schlaues Ausweichen, je nachdem ein Ge- genstand zur Sprache kam, war unverkennbar; sie führte irgend etwas im Schilde und schien nur den günstigen Zeitpunkt abzuwarten.
Diese geheime Absicht offenbarte sich denn auch gar bald. Der alte Gärtner machte eines Tags dem Präsidenten in aller Stille die Entdeckung: Agnes habe ihn auf das Flehentlichste beschworen, daß er ihr Gelegenheit verschaffe, aus dem Schlosse zu ent- kommen und nach ihrer Heimath zu reisen. Dabei habe sie ihm alles Mögliche versprochen, auch selbst
behauptete er, ſey auf die Kranke vom übelſten Ein- fluß, indem ſie ſich dadurch in ihrem eingebilde- ten Elend, in ihrer Mitleidswürdigkeit nur immer mehr müſſe beſtärkt fühlen.
Inzwiſchen erreichte man doch mehrere Vortheile über ſie. Die Mädchen durften ungehindert bei ihr aus- und eingehn; nur gegen das Fräulein, trotz der ſchweſterlichſten Liebe, womit dieſe ihr ſtets nahe zu ſeyn wünſchte, verrieth ſie ein deutliches Mißtrauen. Sie verließ ihr Zimmer manchmal und ging an die fri- ſche Luft, wenn ſie verſichert ſeyn konnte, Theobalden nicht zu begegnen. Ihn aber hie und da von der Ferne zu beobachten, war ihr offenbar nicht zuwider, ja man wollte bemerken, daß ſie ſich die Gelegenheit hiezu gefliſſentlich erſehe. Stundenlang las der Prä- ſident ihr vor; ſie bezeugte ſich immer ſehr ernſt, doch gefällig und dankbar. Ein Hinterhalt in ihren Ge- danken, ein ſchlaues Ausweichen, je nachdem ein Ge- genſtand zur Sprache kam, war unverkennbar; ſie führte irgend etwas im Schilde und ſchien nur den günſtigen Zeitpunkt abzuwarten.
Dieſe geheime Abſicht offenbarte ſich denn auch gar bald. Der alte Gärtner machte eines Tags dem Präſidenten in aller Stille die Entdeckung: Agnes habe ihn auf das Flehentlichſte beſchworen, daß er ihr Gelegenheit verſchaffe, aus dem Schloſſe zu ent- kommen und nach ihrer Heimath zu reiſen. Dabei habe ſie ihm alles Mögliche verſprochen, auch ſelbſt
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behauptete er, ſey auf die Kranke vom übelſten Ein-
fluß, indem ſie ſich dadurch in ihrem eingebilde-
ten Elend, in ihrer Mitleidswürdigkeit nur immer mehr
müſſe beſtärkt fühlen.
Inzwiſchen erreichte man doch mehrere Vortheile
über ſie. Die Mädchen durften ungehindert bei ihr
aus- und eingehn; nur gegen das Fräulein, trotz der
ſchweſterlichſten Liebe, womit dieſe ihr ſtets nahe zu
ſeyn wünſchte, verrieth ſie ein deutliches Mißtrauen.
Sie verließ ihr Zimmer manchmal und ging an die fri-
ſche Luft, wenn ſie verſichert ſeyn konnte, Theobalden
nicht zu begegnen. Ihn aber hie und da von der
Ferne zu beobachten, war ihr offenbar nicht zuwider,
ja man wollte bemerken, daß ſie ſich die Gelegenheit
hiezu gefliſſentlich erſehe. Stundenlang las der Prä-
ſident ihr vor; ſie bezeugte ſich immer ſehr ernſt, doch
gefällig und dankbar. Ein Hinterhalt in ihren Ge-
danken, ein ſchlaues Ausweichen, je nachdem ein Ge-
genſtand zur Sprache kam, war unverkennbar; ſie
führte irgend etwas im Schilde und ſchien nur den
günſtigen Zeitpunkt abzuwarten.
Dieſe geheime Abſicht offenbarte ſich denn auch
gar bald. Der alte Gärtner machte eines Tags dem
Präſidenten in aller Stille die Entdeckung: Agnes
habe ihn auf das Flehentlichſte beſchworen, daß er
ihr Gelegenheit verſchaffe, aus dem Schloſſe zu ent-
kommen und nach ihrer Heimath zu reiſen. Dabei
habe ſie ihm alles Mögliche verſprochen, auch ſelbſt
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/272>, abgerufen am 25.11.2024.
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