Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

sogleich den angenehmen Eindruck vollkommener Sicher-
heit erweckt. Das Uebergewicht einer kräftigen, mehr
verneinenden als bejahenden Natur, die Rechtlichkeit
eines resoluten Charakters, sogar die eigenthümliche
Atmosphäre, welche Rang und Vermögen um sie ver-
breiten, dieß Alles scheint nicht nur sie selber zu Her-
ren jedes bösen Zufalls zu machen, sondern ihre Ge-
genwart wirkt auch auf Andere, die sich ihres Wohl-
wollens nur einigermaßen bewußt sind, mit der Magie
eines kräftigen Talismans: herzlich gern möchten wir
solch einen Glücksmann immer auch ein wenig in un-
sere Sorge und Gefahr verflochten sehn, denn nicht
nur etwas Tröstliches, sondern wirklich Reizendes liegt
darin, sich eine Person, die uns in jedem Betracht
überlegen und unzugänglich scheint, nun durch gemein-
same Noth auf Einmal so menschlich nahe zu fühlen.
Das kleinste Wort aus diesem Munde, der unbedeu-
tendste Trost thut Wunder; ja Einige wollen behaup-
ten, daß selbst die körperliche Berührung durch die
weichere Hand, durch das weichere Kleid eines dieser
Vornehmen zuweilen etwas Unwiderstehliches habe,
und desto mehr, je seltener sie vorkomme. Dieß nun
empfand Nannette wirklich, als der Präsident vor-
hin -- einer lange still fortgesezten Gedankenkette
gleichsam den lezten Ring anschließend -- mit etwas
ermuntertem Gesicht von seinem Stuhle aufstand und
so im Vorbeigehn mit einer wehmüthigen Freundlich-
keit das Mädchen unter'm Kinn anfaßte; sie war von

ſogleich den angenehmen Eindruck vollkommener Sicher-
heit erweckt. Das Uebergewicht einer kräftigen, mehr
verneinenden als bejahenden Natur, die Rechtlichkeit
eines reſoluten Charakters, ſogar die eigenthümliche
Atmoſphäre, welche Rang und Vermögen um ſie ver-
breiten, dieß Alles ſcheint nicht nur ſie ſelber zu Her-
ren jedes böſen Zufalls zu machen, ſondern ihre Ge-
genwart wirkt auch auf Andere, die ſich ihres Wohl-
wollens nur einigermaßen bewußt ſind, mit der Magie
eines kräftigen Talismans: herzlich gern möchten wir
ſolch einen Glücksmann immer auch ein wenig in un-
ſere Sorge und Gefahr verflochten ſehn, denn nicht
nur etwas Tröſtliches, ſondern wirklich Reizendes liegt
darin, ſich eine Perſon, die uns in jedem Betracht
überlegen und unzugänglich ſcheint, nun durch gemein-
ſame Noth auf Einmal ſo menſchlich nahe zu fühlen.
Das kleinſte Wort aus dieſem Munde, der unbedeu-
tendſte Troſt thut Wunder; ja Einige wollen behaup-
ten, daß ſelbſt die körperliche Berührung durch die
weichere Hand, durch das weichere Kleid eines dieſer
Vornehmen zuweilen etwas Unwiderſtehliches habe,
und deſto mehr, je ſeltener ſie vorkomme. Dieß nun
empfand Nannette wirklich, als der Präſident vor-
hin — einer lange ſtill fortgeſezten Gedankenkette
gleichſam den lezten Ring anſchließend — mit etwas
ermuntertem Geſicht von ſeinem Stuhle aufſtand und
ſo im Vorbeigehn mit einer wehmüthigen Freundlich-
keit das Mädchen unter’m Kinn anfaßte; ſie war von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0270" n="584"/>
&#x017F;ogleich den angenehmen Eindruck vollkommener Sicher-<lb/>
heit erweckt. Das Uebergewicht einer kräftigen, mehr<lb/>
verneinenden als bejahenden Natur, die Rechtlichkeit<lb/>
eines re&#x017F;oluten Charakters, &#x017F;ogar die eigenthümliche<lb/>
Atmo&#x017F;phäre, welche Rang und Vermögen um &#x017F;ie ver-<lb/>
breiten, dieß Alles &#x017F;cheint nicht nur &#x017F;ie &#x017F;elber zu Her-<lb/>
ren jedes bö&#x017F;en Zufalls zu machen, &#x017F;ondern ihre Ge-<lb/>
genwart wirkt auch auf Andere, die &#x017F;ich ihres Wohl-<lb/>
wollens nur einigermaßen bewußt &#x017F;ind, mit der Magie<lb/>
eines kräftigen Talismans: herzlich gern möchten wir<lb/>
&#x017F;olch einen Glücksmann immer auch ein wenig in un-<lb/>
&#x017F;ere Sorge und Gefahr verflochten &#x017F;ehn, denn nicht<lb/>
nur etwas Trö&#x017F;tliches, &#x017F;ondern wirklich Reizendes liegt<lb/>
darin, &#x017F;ich eine Per&#x017F;on, die uns in jedem Betracht<lb/>
überlegen und unzugänglich &#x017F;cheint, nun durch gemein-<lb/>
&#x017F;ame Noth auf Einmal &#x017F;o men&#x017F;chlich nahe zu fühlen.<lb/>
Das klein&#x017F;te Wort aus die&#x017F;em Munde, der unbedeu-<lb/>
tend&#x017F;te Tro&#x017F;t thut Wunder; ja Einige wollen behaup-<lb/>
ten, daß &#x017F;elb&#x017F;t die körperliche Berührung durch die<lb/>
weichere Hand, durch das weichere Kleid eines die&#x017F;er<lb/>
Vornehmen zuweilen etwas Unwider&#x017F;tehliches habe,<lb/>
und de&#x017F;to mehr, je &#x017F;eltener &#x017F;ie vorkomme. Dieß nun<lb/>
empfand <hi rendition="#g">Nannette</hi> wirklich, als der Prä&#x017F;ident vor-<lb/>
hin &#x2014; einer lange &#x017F;till fortge&#x017F;ezten Gedankenkette<lb/>
gleich&#x017F;am den lezten Ring an&#x017F;chließend &#x2014; mit etwas<lb/>
ermuntertem Ge&#x017F;icht von &#x017F;einem Stuhle auf&#x017F;tand und<lb/>
&#x017F;o im Vorbeigehn mit einer wehmüthigen Freundlich-<lb/>
keit das Mädchen unter&#x2019;m Kinn anfaßte; &#x017F;ie war von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[584/0270] ſogleich den angenehmen Eindruck vollkommener Sicher- heit erweckt. Das Uebergewicht einer kräftigen, mehr verneinenden als bejahenden Natur, die Rechtlichkeit eines reſoluten Charakters, ſogar die eigenthümliche Atmoſphäre, welche Rang und Vermögen um ſie ver- breiten, dieß Alles ſcheint nicht nur ſie ſelber zu Her- ren jedes böſen Zufalls zu machen, ſondern ihre Ge- genwart wirkt auch auf Andere, die ſich ihres Wohl- wollens nur einigermaßen bewußt ſind, mit der Magie eines kräftigen Talismans: herzlich gern möchten wir ſolch einen Glücksmann immer auch ein wenig in un- ſere Sorge und Gefahr verflochten ſehn, denn nicht nur etwas Tröſtliches, ſondern wirklich Reizendes liegt darin, ſich eine Perſon, die uns in jedem Betracht überlegen und unzugänglich ſcheint, nun durch gemein- ſame Noth auf Einmal ſo menſchlich nahe zu fühlen. Das kleinſte Wort aus dieſem Munde, der unbedeu- tendſte Troſt thut Wunder; ja Einige wollen behaup- ten, daß ſelbſt die körperliche Berührung durch die weichere Hand, durch das weichere Kleid eines dieſer Vornehmen zuweilen etwas Unwiderſtehliches habe, und deſto mehr, je ſeltener ſie vorkomme. Dieß nun empfand Nannette wirklich, als der Präſident vor- hin — einer lange ſtill fortgeſezten Gedankenkette gleichſam den lezten Ring anſchließend — mit etwas ermuntertem Geſicht von ſeinem Stuhle aufſtand und ſo im Vorbeigehn mit einer wehmüthigen Freundlich- keit das Mädchen unter’m Kinn anfaßte; ſie war von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/270
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/270>, abgerufen am 24.11.2024.