sogleich den angenehmen Eindruck vollkommener Sicher- heit erweckt. Das Uebergewicht einer kräftigen, mehr verneinenden als bejahenden Natur, die Rechtlichkeit eines resoluten Charakters, sogar die eigenthümliche Atmosphäre, welche Rang und Vermögen um sie ver- breiten, dieß Alles scheint nicht nur sie selber zu Her- ren jedes bösen Zufalls zu machen, sondern ihre Ge- genwart wirkt auch auf Andere, die sich ihres Wohl- wollens nur einigermaßen bewußt sind, mit der Magie eines kräftigen Talismans: herzlich gern möchten wir solch einen Glücksmann immer auch ein wenig in un- sere Sorge und Gefahr verflochten sehn, denn nicht nur etwas Tröstliches, sondern wirklich Reizendes liegt darin, sich eine Person, die uns in jedem Betracht überlegen und unzugänglich scheint, nun durch gemein- same Noth auf Einmal so menschlich nahe zu fühlen. Das kleinste Wort aus diesem Munde, der unbedeu- tendste Trost thut Wunder; ja Einige wollen behaup- ten, daß selbst die körperliche Berührung durch die weichere Hand, durch das weichere Kleid eines dieser Vornehmen zuweilen etwas Unwiderstehliches habe, und desto mehr, je seltener sie vorkomme. Dieß nun empfand Nannette wirklich, als der Präsident vor- hin -- einer lange still fortgesezten Gedankenkette gleichsam den lezten Ring anschließend -- mit etwas ermuntertem Gesicht von seinem Stuhle aufstand und so im Vorbeigehn mit einer wehmüthigen Freundlich- keit das Mädchen unter'm Kinn anfaßte; sie war von
ſogleich den angenehmen Eindruck vollkommener Sicher- heit erweckt. Das Uebergewicht einer kräftigen, mehr verneinenden als bejahenden Natur, die Rechtlichkeit eines reſoluten Charakters, ſogar die eigenthümliche Atmoſphäre, welche Rang und Vermögen um ſie ver- breiten, dieß Alles ſcheint nicht nur ſie ſelber zu Her- ren jedes böſen Zufalls zu machen, ſondern ihre Ge- genwart wirkt auch auf Andere, die ſich ihres Wohl- wollens nur einigermaßen bewußt ſind, mit der Magie eines kräftigen Talismans: herzlich gern möchten wir ſolch einen Glücksmann immer auch ein wenig in un- ſere Sorge und Gefahr verflochten ſehn, denn nicht nur etwas Tröſtliches, ſondern wirklich Reizendes liegt darin, ſich eine Perſon, die uns in jedem Betracht überlegen und unzugänglich ſcheint, nun durch gemein- ſame Noth auf Einmal ſo menſchlich nahe zu fühlen. Das kleinſte Wort aus dieſem Munde, der unbedeu- tendſte Troſt thut Wunder; ja Einige wollen behaup- ten, daß ſelbſt die körperliche Berührung durch die weichere Hand, durch das weichere Kleid eines dieſer Vornehmen zuweilen etwas Unwiderſtehliches habe, und deſto mehr, je ſeltener ſie vorkomme. Dieß nun empfand Nannette wirklich, als der Präſident vor- hin — einer lange ſtill fortgeſezten Gedankenkette gleichſam den lezten Ring anſchließend — mit etwas ermuntertem Geſicht von ſeinem Stuhle aufſtand und ſo im Vorbeigehn mit einer wehmüthigen Freundlich- keit das Mädchen unter’m Kinn anfaßte; ſie war von
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ſogleich den angenehmen Eindruck vollkommener Sicher-
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verneinenden als bejahenden Natur, die Rechtlichkeit
eines reſoluten Charakters, ſogar die eigenthümliche
Atmoſphäre, welche Rang und Vermögen um ſie ver-
breiten, dieß Alles ſcheint nicht nur ſie ſelber zu Her-
ren jedes böſen Zufalls zu machen, ſondern ihre Ge-
genwart wirkt auch auf Andere, die ſich ihres Wohl-
wollens nur einigermaßen bewußt ſind, mit der Magie
eines kräftigen Talismans: herzlich gern möchten wir
ſolch einen Glücksmann immer auch ein wenig in un-
ſere Sorge und Gefahr verflochten ſehn, denn nicht
nur etwas Tröſtliches, ſondern wirklich Reizendes liegt
darin, ſich eine Perſon, die uns in jedem Betracht
überlegen und unzugänglich ſcheint, nun durch gemein-
ſame Noth auf Einmal ſo menſchlich nahe zu fühlen.
Das kleinſte Wort aus dieſem Munde, der unbedeu-
tendſte Troſt thut Wunder; ja Einige wollen behaup-
ten, daß ſelbſt die körperliche Berührung durch die
weichere Hand, durch das weichere Kleid eines dieſer
Vornehmen zuweilen etwas Unwiderſtehliches habe,
und deſto mehr, je ſeltener ſie vorkomme. Dieß nun
empfand Nannette wirklich, als der Präſident vor-
hin — einer lange ſtill fortgeſezten Gedankenkette
gleichſam den lezten Ring anſchließend — mit etwas
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/270>, abgerufen am 24.11.2024.
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